# taz.de -- Kommentar Soziale Klimapolitik: Linke in der Wachstumsfalle
       
       > Immer mehr für alle – das galt lange als Prämisse sozial gerechter
       > Wirtschaftspolitik. In der Klimakrise zeigt sich nun, wie hoch der Preis
       > dafür ist.
       
 (IMG) Bild: Braucht Deutschland wirklich jedes Jahr Hunderte neuer Umgehungsstraßen?
       
       Seit Klimaschutz für die Bevölkerung immer wichtiger wird, verlieren die
       SPD und auch die Linkspartei immer mehr Stimmen an die Grünen. Nun wollen
       sich die Sozialdemokraten stärker um den Klimaschutz kümmern, sagt
       Interimsfraktionschef Rolf Mützenich. Doch die neuen Bekenntnisse klingen
       wenig entschlossen.
       
       Die Linkspartei hat zwar Klimaschutz im Programm, doch von einer offensiven
       sozial-ökologischen Strategie kann nicht die Rede sein. In der
       Brandenburger Landesregierung verteidigen die Linken sogar den
       Braunkohleabbau. Und von den Industriegewerkschaften hört man fast gar
       nichts zum Klimaschutz. Im Zweifel schützen sie mit den Auto- und
       Energiekonzernen alte Produktionsstrukturen gegen Umweltschützer, wie in
       der Dieselkrise oder beim Kohleausstieg.
       
       Dass Sozialdemokraten, Gewerkschaften, Linke und auch viele
       linksorientierte Ökonomen auf die Klimafrage keine Antwort haben, hat einen
       Grund: Sie stecken mindestens so tief in der [1][Wachstumsfalle] wie
       Konservative oder Liberale.
       
       Seit Jahrzehnten setzen linke Bewegungen in ihrem wichtigen Kampf für mehr
       soziale Gerechtigkeit auf ein radikales Wachstumskonzept aus dem letzten
       oder sogar vorletzten Jahrhundert. Ob marxistisch inspiriert oder nicht:
       Sie wollen die Produktivkräfte der Wirtschaft so weit wie möglich zur
       Entfaltung bringen, damit diese möglichst hohe Erträge erwirtschaftet.
       Diese Erträge wollen sie möglichst gerecht auf möglichst viele Menschen
       verteilen.
       
       ## Die Massenproduktion wurde perfektioniert
       
       Dazu fordern die Gewerkschaften höhere Löhne, um die Gewinne nicht allein
       den Unternehmern zu überlassen. Sozialdemokraten treten für höhere
       Sozialleistungen ein wie derzeit für die Grundrente, um den Lebensstandard
       der kleinen Leute zu verbessern. Und vor allem in Krisenzeiten setzen Linke
       auf zusätzliche staatliche Investitionen, vor allem in Bildung und
       Gesundheit, aber auch in die Infrastruktur, in Straßen und Schienen.
       
       Mehr produzieren, mehr arbeiten, mehr kaufen – und alles wird gut. Diesen
       Traum des „Immer mehr für alle“ träumen auch die meisten Sozialdemokraten
       und Gewerkschafter. Zu ihrer Vision von sozialer Gerechtigkeit zählt auch
       die möglichst weitgehende Demokratisierung des Konsums: Möglichst viele
       Menschen sollen sich möglichst viel leisten können.
       
       Und ihre Politik war durchaus erfolgreich. Auch wenn Armut und
       Arbeitslosigkeit nicht ganz vermieden werden konnten, so hat diese
       Strategie den Menschen in Industriestaaten wie Deutschland doch ein ständig
       steigendes Lebensniveau beschert. Die Massenproduktion wurde so
       perfektioniert und globalisiert, dass vor allem technische Geräte ständig
       billiger werden – und damit für mehr Menschen verfügbar.
       
       Doch heute merken alle, wie hoch der Preis für diese Wachstumspolitik ist.
       Alle Untersuchungen über die Ursachen der Erderwärmung machen deutlich,
       dass das ständige Streben nach Mehr seit Jahren an ökologische Grenzen
       stößt. Regelmäßige Lohnerhöhungen treiben den Kreislauf von Massenkonsum
       und Massenproduktion und auf diese Weise die ständige Übernutzung von
       Ressourcen an, die das Klima aufheizen.
       
       ## Investitionen verbessern nicht per se den Klimaschutz
       
       Darauf angesprochen, setzen linke Politiker und Ökonomen immer wieder auf
       das Zauberwort „Investition“. Doch Investitionen verbessern nicht per se
       den Klimaschutz. Nichts spricht gegen mehr Geld für Schulen, Kitas,
       Krankenhäuser und Pflegeheime. Und schon gar nichts spricht klimapolitisch
       gegen mehr Geld für erneuerbare Energien. Aber braucht Deutschland wirklich
       39 [2][Flughäfen] und jedes Jahr Hunderte neuer Umgehungsstraßen und
       Gewerbegebiete? Die dann noch mehr Verkehr erzeugen und neue Gelüste nach
       Umgehungsstraßen.
       
       Braucht Deutschland wirklich immer mehr Wegwerfwaren, den ständigen
       Austausch technischer Geräte durch ein neues Gerät? Braucht dieses reiche
       Land immer noch mehr Investitionen in die Massentierhaltung, obwohl auf der
       anderen Seite Lebensmittel weggeworfen werden? Diese Fragen zeigen:
       Inzwischen sind Ziele wie die Demokratisierung des Konsums und die
       Steigerung der Produktivkräfte nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des
       Problems. Und die Linken stecken in der Wachstumsfalle.
       
       Damit es keine Missverständnisse gibt: Die linken Forderungen nach mehr
       sozialer Gerechtigkeit bleiben gerade für die Klimapolitik wichtig.
       Ansonsten zahlen die Ärmeren die Zeche für den Klimaschutz, während die
       Reichen weiter konsumieren wie zuvor. Aber eine pauschale Politik des
       „Immer mehr für alle“, wie sie derzeit noch immer betrieben und propagiert
       wird, ist nicht zukunftsfähig.
       
       Im Gegenteil. Ein [3][nachhaltiger Klimaschutz] erfordert von manchem
       weniger: weniger Verbrennung von Öl, Kohle und Gas; weniger Autos; weniger
       Flugzeuge, weniger Wegwerfkonsum; weniger Transport; weniger Fleisch,
       weniger globale Produkte mit hohem Transportaufwand.
       
       ## Mehr renovieren statt abreißen
       
       Andererseits darf es von manchem auch viel mehr sein als heute: mehr Teilen
       von Gütern wie zum Beispiel Carsharing; mehr reparieren statt wegwerfen;
       mehr renovieren statt abreißen; mehr langlebige Waren statt
       Wegwerfprodukte; mehr Zeit durch kürzere Arbeitszeiten statt höherer Löhne;
       mehr Radwege, Bahnen und Busse; mehr regionale Produkte mit weniger
       Transportaufwand.
       
       Die Klimawende ist mit den herkömmlichen Vorstellungen von maximalem
       Wachstum nicht vereinbar. Sie erfordert grundsätzliche Veränderungen der
       Wirtschafts- und Lebensweise. Akzeptiert werden diese Veränderungen jedoch
       nur, wenn sich die Menschen gerecht behandelt fühlen. Wer sonst sollte
       diese Gerechtigkeit garantieren, wenn nicht die Linken? Doch dieser Aufgabe
       können sie so lange nicht nachkommen, wie sie keine sozial-ökologische
       Wirtschaftsstrategie entwerfen und einfach nur an den Wachstumsdogmen aus
       dem letzten Jahrhundert festhalten.
       
       9 Jul 2019
       
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