# taz.de -- Kohleausstieg wird attraktiver: Selbst RWE will schneller raus
       
       > Wegen höherer CO2-Preise rechnen sich Braunkohle-Kraftwerke derzeit kaum
       > noch. Doch bevor sie abschalten, wollen die Betreiber Geld vom Bund.
       
 (IMG) Bild: Ende-Gelände-Demo vorm RWE-Kraftwerk Neurath. Vielleicht ist auch bald der RWE-Chef dabei
       
       Berlin taz | Wenn KlimaaktivistInnen darauf drängen, dass der Kohleausstieg
       schneller geht, ist das wenig überraschend. Auch dass Bayerns
       Ministerpräsident Markus Söder (CSU) plötzlich für ein [1][früheres
       Kohle-Aus] plädiert, verwundert kaum – in Bayern spielt die Kohle
       schließlich keine Rolle. Dass aber selbst die Betreiber der Kohlekraftwerke
       auf einmal auf Tempo drücken, erstaunt dagegen schon.
       
       „Wenn es nach mir geht, sollten wir dringend einen Zahn zulegen“, sagte
       RWE-Chef Rolf Martin Schmitz kürzlich in der Rheinischen Post zum Tempo des
       Kohleausstiegs – und machte auch deutlich, an wem das scheitert: „Den Takt
       gibt die Bundesregierung vor.“ In persönlichen Gesprächen, so berichten
       mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen der taz, sei Schmitz noch
       konkreter geworden: Das Unternehmen hätte noch dieses Jahr die ersten
       Braunkohleblöcke abschalten können, zitieren diese ihn – doch das sei am
       Tempo der Politik gescheitert.
       
       Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will von solchen Problemen
       nichts wissen. „Die Gespräche mit RWE sind vorangeschritten und laufen sehr
       konstruktiv“, sagte er am Dienstag. Mit Ergebnissen ist aber kurzfristig
       nicht zu rechnen: Erst im Herbst soll feststehen, welches Kraftwerk wann
       stillgelegt wird; das Gesetz könne dann bis Jahresende verabschiedet
       werden, hofft man im Wirtschaftsministerium.
       
       Warum die Betreiber ihre Kraftwerke gern früher vom Netz nehmen würden,
       zeigt sich beim Blick auf die aktuellen Strommärkte: Im ersten Halbjahr
       2019 haben die deutschen Braunkohlekraftwerke 21 Prozent weniger Strom
       produziert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres; im Juni waren die
       Kapazitäten gerade mal zur Hälfte ausgelastet.
       
       „Die gestiegenen Kosten für CO2-Zertifikate zusammen mit den gesunkenen
       Preisen an der Strombörse machen die Braunkohle zunehmend
       unwirtschaftlich“, erläutert Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für
       Solare Energiesysteme. Ersetzt wurde der Braunkohlestrom zum einen durch
       stärkere Produktion in Gaskraftwerken sowie Wind- und Solaranlagen, zum
       anderen durch einen starken Rückgang des Stromexports.
       
       ## Braunkohle rechnet sich nicht
       
       Dass sich selbst moderne Braunkohlekraftwerke derzeit nicht rechnen, zeigt
       sich im sächsischen Lippendorf: Dort steht einer von zwei Blöcken des
       Großkraftwerks still. Das sei eine „betriebswirtschaftliche Entscheidung“,
       die sich unter anderem aus Großhandelspreis, CO2-Preis und Stromnachfrage
       ergebe, sagte EnBW-Sprecher Hans-Jörg Groscurth. Die Entscheidung sei nicht
       dauerhaft, werde aber wohl auch nicht kurzfristig revidiert. „Die
       Besonderheit im Moment besteht darin, dass die relevanten Rahmenbedingungen
       vermutlich längere Zeit andauern“, sagt Groscurth.
       
       Noch wirtschaftlicher als eine kurzfristige Drosselung, bei der Personal-
       und Fixkosten überwiegend weiterlaufen, wäre für die Unternehmen die
       komplette Stilllegung einzelner Kraftwerke. Doch aus freien Stücken wird es
       dazu kaum kommen – schließlich hat der Bund zumindest für die ersten
       Abschaltungen finanzielle Entschädigungen angekündigt.
       
       Deutlich schneller als beim Gesetz zum Kohleausstieg kommt die Regierung
       bei dem Gesetz voran, das den Strukturwandel in den betroffenen Regionen
       mit Bundesmitteln in Höhe von 40 Milliarden Euro erleichtern soll. Hierfür
       hat das Bundeskabinett bereits Eckpunkte verabschiedet; der Gesetzentwurf
       soll unmittelbar nach der Sommerpause folgen. Diese Reihenfolge hält die
       Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock für einen Fehler. „Wenn das Geld
       bewilligt wird, bevor der Ausstiegsplan steht, gibt die Bundesregierung ein
       wichtiges Druckmittel aus der Hand“, sagte sie der taz.
       
       ## Konflikte in der Regierung
       
       Auch innerhalb der Bundesregierung zeichnet sich beim Kohleausstieg ein
       Konflikt ab. Damit das frühere Abschalten der Kraftwerke in Deutschland
       nicht dazu führt, dass die Emissionen an anderer Stelle steigen können, hat
       die Kohlekommission gefordert, dass die durch den Ausstieg frei werdenden
       CO2-Zertifikate von der Regierung stillgelegt werden. Diese Möglichkeit ist
       mit der jüngsten Reform des EU-Emissionshandels geschaffen worden.
       
       Obwohl die Bundesregierung angekündigt hat, dass die Empfehlungen der
       Kohlekommission eins zu eins umgesetzt werden sollen, lässt das
       Wirtschaftsministerium derzeit aber offen, ob tatsächlich, wie von der
       Kommission gefordert, Zertifikate stillgelegt werden. Zunächst würden die
       „Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die nationalen und europäischen
       Treibhausgasemissionen intensiv beobachtet und analysiert“, teilte das
       Ministerium mit.
       
       Im SPD-geführten Umweltministerium sieht man das anders.
       „Selbstverständlich müssen beim Kohleausstieg in entsprechendem Umfang
       Emissionszertifikate stillgelegt werden“, sagte Umwelt-Staatssekretär
       Jochen Flasbarth der taz. „Sonst macht das für den Klimaschutz keinen
       Sinn.“
       
       3 Jul 2019
       
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