# taz.de -- Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Kriegsschiffe am Horizont
       
       > Die „#Yachtfleet“ erreicht die Grenze zwischen maltesischer und libyscher
       > Such- und Rettungszone. Die Crews halten Ausschau nach Ertrinkenden.
       
 (IMG) Bild: Auf weiter See trifft man zuweilen auch Kriegsschiffe
       
       Mittelmeer taz | Mit den Schmetterlingen kommt das Kriegsschiff. Wasser in
       alle Richtungen, meilenweit. Sonnenaufgang auf dem Mittelmeer. Die braunen
       Schmetterlinge flattern von der „Matteo S.“ zur „Sebastian K.“ und zurück,
       manchmal über den Köpfen der Deckwachen herum. Mitten auf dem Meer.
       
       „Ich globb, dis sind Zugschmedderlinge“, sagt der Maschinist Richard
       Brenner auf der „Matteo S“. Er lacht und zündet sich eine Zigarette an. Es
       ist Mittwochmorgen. In der Nacht, die gerade zu Ende geht, haben die beiden
       Boote der „[1][#Yachtfleet]“-Demo für Seenotrettung ihr Ziel erreicht.
       
       Die Grenze. Genau auf der Linie zwischen maltesischer und libyscher Such-
       und Rettungszone (SAR) segeln sie jetzt gen Westen. Die Schmetterlinge
       flattern mit. Am Horizont taucht ein Schatten auf, kommt näher. Ein Schiff.
       Es sieht aus wie eine schwimmende Stadt: grau, ein bisschen Weiß, ein
       bisschen Schwarz, viele Antennen.
       
       „‚Sebastian K.‘, ‚Sebastian K.‘, hier ist das Nato-Kriegsschiff Delta 347“,
       meldet sich eine Stimme über offenen Funk. Britisches Englisch. „Delta 347“
       bittet um Kooperation bei einer Routine-Anfrage zu Schiffsdaten. „Sebastian
       K.“ kooperiert. „Sie funken auch Fischerboote an“, sagt Michele Angioni,
       der Koordinator der Demo. „Ganz normal.“
       
       ## Die EU teilt Libyen energiepolitisch unter sich auf
       
       Das Nato-Kriegsschiff „Delta 347“ gehört zur [2][Nato-Operation Sea
       Guardian], einer Paralleloperation der [3][EU-Mission Sophia]. Sophia setzt
       keine Schiffe mehr ein, Sea Guardian ist noch unterwegs. Um russische
       Schiffe zu beobachten.
       
       „Meistens rufen sie die Libyer, wenn sie ein Boot in Seenot sehen“, sagt
       Angioni. Hannes Neubauer, der verantwortlich für die Einsatz-Schnellboote
       RHIB ist, fügt hinzu: „Ob sie selbst helfen, hängt vom Kommandanten ab.
       Viele wollen ihre Karriere nicht ruinieren und retten lieber nicht.“
       
       Die Anwesenheit des Kriegsschiffs ist bedingt durch die Situation in
       Libyen: Bürgerkrieg. Russland unterstützt den Milizengeneral Chalifa Haftar
       im Osten. Die Nato unterstützt die Regierung unter Fajes al-Serradsch im
       Westen. Ebenso die EU, offiziell.
       
       „Offiziell“, weil die EU das Land energiepolitisch unter sich aufgeteilt
       hat. Aus dem Westen holt der italienische Energiekonzern Eni Rohstoffe. Eni
       ist mit einem Marktanteil von 45 Prozent der größte ausländische Öl- und
       Gasförderer in Libyen.
       
       Aus dem Osten holt das französische Unternehmen Total Rohstoffe.
       Marktanteil aktuell: 10 Prozent, Tendenz steigend. Total hat sich weitere
       Ölfelder im libyschen Osten gesichert.
       
       ## „Seenotrettung ist Pflicht für alle“
       
       Für eine Besprechung treffen sich die beiden Crews auf der „Sebastian K.“
       Zwei Crewmitglieder steuern derweil die „Matteo S.“ Am vierten von fünf
       Demotagen lautet das Thema: „Seenotrettung ist Pflicht für alle“. Der
       Slogan fasst internationales Seerecht zusammen. Es priorisiert über allem,
       dass Menschen einander nicht ertrinken lassen.
       
       „Das Kriegsschiff kommt auf uns zu“, sagt die Kommunikatorin Andrea Quaden.
       Die Crews unterbrechen die Besprechung. Es geht ein bisschen durcheinander.
       „Die haben sogar einen Helikopter mit Landeplatz.“ – „Sie lassen zwei RHIB
       zu Wasser.“
       
       Die beiden RHIB der Royal Navy brausen heran. Sieben Soldaten im vorderen,
       sechs im hinteren plus eine aufgesetzte Maschinenpistole. Das vordere
       bittet um Erlaubnis, neben der „Sebastian K.“ ranfahren zu dürfen. Das
       hintere bleibt zurück.
       
       „Wissen die, wer wir sind?“ Die Blicke der Crew wandern zu den
       Mission-Lifeline-Bannern an den Schiffen. „Ich denke, ja“, sagt Angioni.
       
       „Wir sind eins von drei Schiffen gerade“, sagt ein Soldat. Das RHIB fährt
       nahe neben der „Sebastian K.“ her. Man unterhält sich. „Es gibt noch ein
       spanisches und ein französisches hier. Könnte sein, dass ihr die trefft.
       Nur dass ihr Bescheid wisst.“ Zum Abschied überreicht er dem Skipper der
       Sebastian S., Bernd Nawrata, eine geprägte Münze der Royal Navy und wünscht
       viel Erfolg.
       
       ## Die billigsten Rettungswesten
       
       Für die Crews der „#Yachtfleet“ bedeutet die Nähe zur libyschen SAR-Zone
       nicht nur Kriegsschiffe am Horizont, sondern auch: Sie haben mehr zu tun.
       Radar checken. Ausschau halten. Wellen beobachten. Die Crew der „Matteo S.“
       kehrt zurück auf ihr Boot.
       
       „Wasserflasche treibt Steuerbord!“, ruft Steuerfrau Blawert. „Aber nur
       eine. Und sie ist groß.“ An dem, was im Wasser treibt, kann die Besatzung
       erkennen, ob vielleicht ein Gummiboot in der Nähe ist. „Letzten Juni, als
       wir mit der ‚Lifeline‘ auf Mission waren, haben wir 'n Boot in Seenot
       gefunden, weil wir der Spur aus kleinen 0,5-Wasserflaschen und leeren
       Treibstoffkanistern gefolgt sind“, sagt Brenner. Andere Spuren deuten auf
       ein untergegangenes Boot hin. Persönliche Gegenstände, zum Beispiel.
       
       „Wenn du ins Wasser gehst, lässt du alles zurück. Und am Ende verlierst du
       dein Leben“, sagt Skipper Thomas Nuding. „Was auch oft rumtreibt, sind die
       ‚Rettungswesten‘. Die verdienen den Namen nich. Die billigsten aus China.
       Blau, mit roten oder orangenen Streifen. Oft sind's dann alles
       verschiedene. Die Seenotrettung hat einheitliche in Orange.“
       
       Erste Hinweise auf Boote in Seenot kämen in der Regel nicht durch solche
       Spuren, sondern durch Flugzeuge, beispielsweise die NGO-Aufklärer „Kolibri“
       und „Moonbird“, sagt Nuding. Oder durch die Organisation „Alarm Phone“.
       „Auf dem Radar sehen wir Boote auf bis zu sechs Seemeilen. Per Fernglas aus
       maximal zwei Seemeilen Entfernung. Das is' wenig. Beides. Da müssen die
       schon extrem Glück haben.“
       
       Die Farbe der Gummiboote sei da nicht hilfreich. Drei Arten aus mehrlagigem
       PVC würden die Schleuser benutzen, sagt Nuding. „Hellgrau: Die erkennst du
       kaum. Dunkelgrau: Die siehst du schlecht. Und Blau: Die siehst du so
       ziemlich gar nich.“
       
       ## Nicht zu retten ist unterlassene Hilfeleistung
       
       Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags stellen in einem Bericht von
       2017 die „allgemeine Pflicht zur Seenotrettung“ laut Seevölkerrecht fest.
       Um möglichst das gesamte Meer abzudecken, ist es unter angrenzenden Staaten
       in SAR-Zonen aufgeteilt, die mit je 74 Seemeilen Abstand zur Küste auch
       internationale Gewässer umfassen.
       
       In dieser Zone hat der jeweilige Staat die Hauptverantwortung für
       Seenotfälle, aber „keine exklusive Rettungskompetenz“, so die Dienste. Ob
       Reederei, Militär oder Kreuzfahrt: Wer vor Ort ist, hat zu alarmieren und
       zu helfen.
       
       Das gelte im Zweifelsfall sogar innerhalb der Territorialgewässer eines
       Staates, also innerhalb der Zone zwölf Seemeilen von der Küste. „Die
       Pflicht zur Seenotrettung überlagert – ebenso wie das Recht auf friedliche
       Durchfahrt – das Territorialprinzip.“
       
       Nicht zu retten, wenn man könnte, ist unterlassene Hilfeleistung. Die EU
       allerdings behandelt das Menschen-im-Mittelmeer-ertrinken-Lassen inzwischen
       wie Milliarden-Steuerbetrug: eine Straftat auf dem Papier, die für Täter
       praktisch ohne Konsequenzen bleibt.
       
       In der Vergangenheit mussten selbst Schiffe großer Reedereien nach einer
       Rettung von Seenotfällen knapp zwei Wochen auf See warten, weil sie
       nirgendwo in Europa anlegen durften. In der EU des 21. Jahrhunderts ist
       Menschen sterben zu lassen [4][ein Kavaliersdelikt geworden].
       
       Wonach auch immer die anderen gucken: Der Maschinist Brenner hält Ausschau
       nach Delfinen. „Die treiben sich öfter mal in der Nähe von Booten in Seenot
       rum“, sagt er. „Einmal hatten wir eine Rettung, da hat eine ganze
       Delfinschule das Gummiboot begleitet. Ringsum, überall. Die haben
       aufgepasst. Deshalb sind mir die Delfine so wichtig. Das is‘ ganz
       eingebrannt bei mir.“
       
       19 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
       
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