# taz.de -- Tourismus-Boom in Travemünde: Urlaub auf der Baustelle
       
       > Der Strandort Travemünde wird derzeit radikal umgebaut: Touristische
       > Anlagen sprießen aus dem Boden, die Infrastruktur für Anwohner
       > verschwindet.
       
 (IMG) Bild: Vom kleinen Seebad zum urbanen Touristenort: Travemünde verändert sich
       
       Travemünde taz | Der stahlgraue Himmel hängt tief an diesem ungewöhnlich
       kühlen Maitag. Möwen kreischen nervös, durch die noch leeren Balkons der
       Baustelle pfeift der Wind. „Diese Häuser waren doch letztes Mal noch nicht
       hier“, sagt der Mann mit der Seemannsmütze zu seiner Frau. Sie sitzen auf
       der Fähre, die von Travemünde zum Priwall übersetzt.
       
       Hier ist alles neu außer der „Passat“, dem mächtigen Museumsschiff und
       Wahrzeichen der Halbinsel Priwall. Lange war die Viermastbark der einzige
       Grund für Touristen, die 2,80 Euro Fährgeld hin und zurück zu bezahlen. Der
       Priwall lag in einer Art Dornröschenschlaf: Es gab das Schiff und hinter
       Kiefernwäldern eine Berufsschule und eine Natur-Werkstatt, sonst war hier
       nicht viel. Seit 2016 ragt hinter dem Yachthafen eine Großbaustelle auf,
       zwischen Kränen und Mischmaschinen wächst Glas, grauer Beton, rote
       Holzverschalungen. Einige Anwohner nennen das, was hier entstanden ist,
       „Würfelhusten“, oder auch: „Klein New York“.
       
       Obwohl sich erst erahnen lässt, wie es hier aussehen wird, wohnen in
       einigen der 507 Ferienwohnungen schon Touristen. Der Hamburger Lukas
       Levinsky macht mit seiner Familie Urlaub und war zuerst erschrocken, als er
       ankam: „Im Katalog stand nichts davon, dass wir hier in einer Baustelle
       wohnen.“ Trotzdem mag er den Ort, „wir sind Ostsee-Fans“, sagt er.
       
       Die Anlage ist eines der Großprojekte, die Lübeck in den letzten Jahren in
       seinem nördlichsten Stadtteil Travemünde geplant hat. Diese Projekte haben
       Travemünde zur „größten touristischen Baustelle des Nordens“ gemacht, wie
       die Infotafel eines Investors stolz verkündet. Noch, heißt es darauf, könne
       man die Wohnungen als Geldanlage kaufen. 100 Quadratmeter Penthouse-Wohnung
       für 590.000 Euro – günstig sind sie eher nicht.
       
       ## Die Industrialisierung des Tourismus
       
       Wer dort eine Wohnung beziehe, sagt Eckhard Erdmann, dürfe nichts an der
       Einrichtung verändern. Zwei große Firmen verwalten und vermieten sie – „das
       ist Betongeld“, sagt Erdmann, auch wenn die bauliche Qualität umstritten
       sei. Erdmann ist Vorsitzender der „Gemeinschaft der Priwallbewohner“, ein
       Verein, der die Interessen der alteingesessenen Bewohner vertritt. „Wir
       sind das kleine gallische Dorf“, sagt er.
       
       Allerdings scheint im Dorf der Zaubertrank zu fehlen. „Die Öffentlichkeit
       war bei den Planungen hier nicht beteiligt. Viele finden, das passt alles
       nicht hierher“, sagt er und zeigt auf die Baustelle. Gewerbesteuer, Jobs –
       dadurch, dass Investoren und Verwalter nicht von hier kommen, fließe viel
       Gewerbesteuer ab, „und es entstehen hauptsächlich schlecht bezahlte Jobs“.
       Wer hier arbeite, könne sich ein Leben auf dem Priwall nicht leisten,
       „schon allein die Fähre kostet etliche hundert Euro im Jahr“. Sein Kollege
       Frank Scharlaug ergänzt: „Der Priwall war immer attraktiv durch seine
       Natur. Das wird jetzt weniger.“
       
       Viele kritisieren, dass der Priwall und der ganze Stadtteil seinen
       Charakter verändert. Besonders sichtbar ist das aus dem 24. Stock: Schwarze
       Riegel, graue Würfel, viel versiegelte Fläche und dazwischen künstlich
       aufgeschüttete Dünen. Karl Erhard Vögele hat eine Wohnung im
       Maritim-Hochhaus, dem Wahrzeichen Travemündes. Er ist so etwas wie der
       Chronist des Stadtteils, von seinem Balkon aus macht er Fotos für das
       Stadtteil-Magazin. Er deutet nach links: „Dort, wo das breite Strandstück
       endet, war die Grenze. Das war ein FKK-Strand, und wir lagen nur ein paar
       Meter vor dem Wachzaun“. Nach dem Mauerfall passierte lange Jahre nichts
       mit dem Stadtteil, während die Seebäder in Mecklenburg im Bauboom an
       Travemünde vorbeizogen. Jetzt geht es den meisten Bewohnern zu schnell.
       „Die Leute schauen übers Wasser und erkennen den Priwall nicht wieder.“
       
       Auch am Fuß des Hochhauses haben gerade zwei neue Hotels eröffnet, und
       überall sprießen neue Ressorts, Ferienhäuser oder Residenzen aus dem Boden.
       Dass es Debatten über Ästhetik gibt, erinnert Vögele an die Kontroversen um
       das Hotel, in dem er wohnt. Die ästhetische Kritik kann er verstehen, auch
       wenn er sie nicht unbedingt teilt. Er sieht noch etwas anderes, das sich
       verändert: „Den Tourismus von früher, als man bei sich bei einer Familie im
       Haus einmietete und sich kannte, den gibt es immer weniger. Jetzt haben wir
       große Vermarkter, das ist industrieller Tourismus.“
       
       Vögele sieht auch, dass es das Neue ist, was viele Touristen anzieht. Denn
       mit den Ressorts entsteht Entertainment im großen Stil: Event-Gastronomie,
       Indoor-Spielplätze, ein Golfplatz. Und dann natürlich: „Das Meer, die
       großen Schiffe ganz aus der Nähe, das ist ein Benefit“. Christian Martin
       Lukas, Leiter der Lübecker Marketing GmbH, ergänzt: „Es gibt die
       Naturstrände, Kinderangebote, und wenn es regnet, ist die Innenstadt mit
       ihrer Kultur nur eine Stadtbus-Fahrt entfernt.“ Die Touristen lieben diese
       Kombination offenbar.
       
       Außerdem ist da das besondere Licht und die Weite, in die hat sich Gudrun
       Wiemann verliebt. Sie überzeugte ihren Partner, im Ruhestand nach
       Travemünde zu ziehen. Das Paar liebt den Ort, aber sie finden es
       unheimlich, wie er sich in den letzten zwei Jahren gentrifiziert hat: „Die
       meisten Häuser, die frei werden, werden von Investoren gekauft“, sagt
       Michael Wiemann. „Die Mietpreise haben dadurch extrem angezogen.“ Er
       fürchtet, dass die Bewohner in Randgebiete abgedrängt werden und die
       Nachbarschaften zerfallen, die für ihn auch Lebensqualität bedeuten. „Bei
       der Planung denkt man hier mehr an die Touristen als an die Bürger“.
       
       Was fehle, sei beispielsweise ein Verkehrskonzept. „Die Radwege sind
       katastrophal, und es ist ein Problem, mit dem Auto durchzukommen.“ Auch die
       kulturellen Angebote sind weniger geworden: Dort, wo das neue Ressort
       gerade eröffnet hat, stand einmal ein Schwimmbad. Ein Kletterpark und das
       Theater wurden schon im Jahr 2017 geschlossen.
       
       ## Touristen bald in der Überzahl
       
       Das ist ein Grund, warum vor allem Rentner herziehen und wenig junge Leute.
       Von den 13.500 Einwohnern ist die Hälfte über 65 Jahre alt. Gehen die Pläne
       auf, könnten die Einheimischen bald in der Minderzahl sein. „Wir erleben
       die größte Umwälzung, die Travemünde je hatte“, sagt Ulf Freiherr von
       Danckelmann, Vorsitzender der örtlichen Wirtschaftsgemeinschaft. „Aus einem
       kleinen Seebad wird gerade ein urbaner Touristenort.“ Früher sei Travemünde
       mit dem inzwischen geschlossenen Kasino ein exklusiver Badeort gewesen,
       „heute geht es in Richtung Massentourismus“.
       
       Danckelmanns Verein vertritt die Unternehmen vor Ort, auch
       Gastronomiebetriebe und Hotels, das Wachstum der letzten Jahre hat er
       mitgetragen. „Wir sind die Badewanne für Hamburg“, sagt er. „Wir haben das
       historische Zentrum, das Meer, die dicken Pötte. Aber jetzt müssen wir
       schauen, was wir den Touristen bieten können.“
       
       Den Touristen – und den Bewohnern. Einst war Travemünde die Bastion der
       reichen Hansestadt gegen Piraten-Angriffe. Heute bringt das Seebad mit der
       Altstadt aus rotem Backstein und weißen Holzgiebeln der Stadt Devisen, fast
       ein Viertel der Lübeck-Touristen kommt hierher. Sie werden vielleicht nicht
       wiederkommen, wenn aus dem Stadtteil eines Tages ein Geisterort wird, weil
       die Bewohner sich ein Leben hier nicht mehr leisten können.
       
       29 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Grabitz
       
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