# taz.de -- Rainer Schäfer Radikale Weine: Auf Umwegen zur Terrassenmosel
       
       Am Anfang mussten Rebecca Materne und Janina Schmitt Zettel in Bäckereien
       und anderen Geschäften aufhängen: Weinberge zum Pachten gesucht. Und wenn
       jemand antwortete? „Dann bekamen wir angeboten, was keiner mehr machen
       wollte“, erzählt Materne. Vor allem Steillagen, die mühsam von Büschen und
       Hecken befreit werden mussten.
       
       Überhaupt schlug den beiden Winzerinnen an der zwischen Eifel und Hunsrück
       gelegenen Terrassenmosel anfangs viel Misstrauen entgegen, weil sie
       naturnah arbeiten und gänzlich auf Herbizide und Insektizide verzichten
       wollten: „Alle haben behauptet, dass das nicht geht“, sagt Janina Schmitt,
       „wir machen es trotzdem, mit hundert Prozent Handarbeit.“ Einige
       Einheimische glaubten sogar, dass sie die Weinberge kaputt machen würden.
       Doch das Gegenteil ist der Fall: Zwischen den Reben von Schmitt und
       Materne sprießen Rauke, wilder Thymian und Mauerpfeffer. Die Lagen sind
       auch ökologische Nischen für Eulen oder den stark bedrohten Apollofalter.
       
       Die beiden Frauen haben einen anderen Blick auf den Wein, vermutlich auch,
       weil sie nicht aus Winzerfamilien stammen: Materne, 1982 geboren, wuchs im
       Ruhrgebiet auf. Schmitt, Jahrgang 1980, stammt aus Nordhessen. Auf Umwegen
       verschlug es sie nach Geisenheim, wo sie sich beim Weinbaustudium kennen
       lernten. „Unser großes Steckenpferd ist Riesling“, sagt Schmitt, den
       wollten sie gemeinsam herstellen. 2012 bewarben sie sich auf die
       Kellermeisterstelle im Weingut Heymann-Löwenstein in Winningen – einer
       Moselecke, die etwas „in den Dornröschenschlaf gefallen ist“, wie Schmitt
       sagt. Den Sprung in die Selbstständigkeit wagten die beiden zwei Jahre
       später mit einem halben Hektar Reben. Mittels Crowdfunding wurde Geld
       gesammelt, um weitere Weinberge bewirtschaften zu können. Aber ohne ihre
       Familien, „die uns tatkräftig unterstützten und auch noch den Kühlschrank
       füllten“, wäre es nicht gegangen, sagt Materne. Inzwischen kultivieren sie
       in und um Winningen 3,5 Hektar mit unterschiedlichen Schieferböden. Ihre
       Rieslinge werden mit natürlichen Hefen vergoren, nicht angereichert,
       geschönt, ent- oder gesäuert. „Sie sollen ihre Herkunft zeigen und den
       Jahrgang spiegeln“, sagt Schmitt. Das Wunschkind ist der Einstiegs-Riesling
       der Winzerinnen, eine Cuvée aus verschiedenen Steillagen, die nach Apfel
       und Zitrus riecht und am Gaumen feine Schieferwürze und einen
       stahlig-klaren Charakter zeigt.
       
       An der Terrassenmosel werden Materne und Schmitt nun längst respektiert.
       Immer wieder werden ihnen Lagen angeboten – ganz ohne Aushänge in der
       Bäckerei.
       
       18 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rainer Schäfer
       
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