# taz.de -- Sehnsuchtsfilm mit Sheila Hancock: Wenn der Berg ruft
       
       > Eine alte Frau beginnt eine Reise nach Schottland. Dort trifft sie auf
       > einen jungen Mann – und eine wunderbare Freundschaft beginnt.
       
 (IMG) Bild: Sheila Hancock als Edie
       
       Edie (Sheila Hancock) ist 83 Jahre alt und verwitwet. Ihren Mann hat sie
       nach einem Schlaganfall 30 Jahre lang gepflegt. Jetzt wird ihr Haus
       verkauft, denn auf Betreiben ihrer Tochter soll Edie ins Altersheim
       umziehen. Beim Aufräumen entdeckt sie auf dem Dachboden ihre alte
       Wanderausrüstung und erinnert sich an einen nie verwirklichten Jugendtraum:
       Einmal auf den Mount Suilven im nördlichen Schottland zu steigen.
       
       Kurzentschlossen packt sie ein paar Sachen und steigt in den nächsten Zug
       nach Inverness.„Für dich ist es nie zu spät, Edie“, hatte nämlich der
       Frittenbrater in ihrem Londoner Stammimbiss gesagt, als sie am
       fortgeschrittenen Vormittag noch ein deftiges englisches Frühstück zu sich
       genommen hatte (das die Tochter ihr der Gesundheit wegen verbietet). Im
       Grunde ist es eine klassische (weibliche) Emanzipationsgeschichte, die
       Regisseur Simon Hunter hier erzählt, nur dass die Protagonistin deutlich
       älter ist als, sagen wir mal, Ridley Scotts Heldinnen Thelma und Louise, da
       sie es eben nicht geschafft hat, sich frühzeitig aus der ihr zugeteilten
       Rolle in einer schlechten Ehe zu lösen, sondern brav den natürlichen Tod
       des Gatten abgewartet hat.
       
       Edie raubt keine Bank aus, fährt nicht einmal Auto und macht rein gar
       nichts Verrücktes – abgesehen von ehrgeiziger Bergwanderei in
       fortgeschrittenem Alter. Aber das ist für die treusorgende bescheidene
       Hausfrau, die sie immer gewesen ist, ein wahrhaft gigantisches Abenteuer.
       Und wo Thelma und Louise einander hatten, muss Edie allein hinaus in die
       Welt, was sie erst recht zur Heldin macht.
       
       ## Humoristisches Potenzial
       
       Natürlich bleibt es nicht bei diesem Alleinsein, denn dies ist ein Film
       fürs Herz. Eine etwas unwahrscheinliche, aber, klar doch, wunderbare
       Freundschaft wird sich zwischen Edie und ihrem jungen Outdoor-Trainer
       Johnny (Kevin Guthrie) entwickeln. Der Zusammenprall von Generationen und
       Lebenswelten hat dabei auch humoristisches Potenzial, und die Annäherung
       der so unterschiedlichen Menschen bleibt nicht völlig unkitschig, wird aber
       nie unangenehm rührselig.
       
       Ein Drehbuch (Elizabeth O’Halloran) mit Sinn für psychologischen Realismus
       sorgt dafür, dass Edies Entwicklung in all ihren Facetten gezeigt wird.
       Edies Freude am neuen Aktivleben und ihren tollen neuen Outdoorklamotten
       (für das aufdringliche Product Placement eines bekannten Herstellers gibt
       es Abzüge in der B-Note!) bleibt keineswegs ungetrübt, sondern wird immer
       wieder von Phasen des Zweifels und der Schwäche unterbrochen. Ihr
       Eigensinn, sei er nun alters- oder persönlichkeitsbedingt, hilft dabei
       einerseits bei der Verfolgung ihres Ziels, steht ihr aber auch im Weg.
       Edies Entscheidung, den Mount Suilven am Ende ohne Begleitung zu erwandern,
       ist jedenfalls weniger von Altersweisheit als von Altersstarrsinn getragen
       …
       
       Die zweite Hauptfigur, Johnny, bleibt neben der so liebevoll mit ihren
       Macken porträtierten Edie ein wenig konturlos, ohne dass so richtig klar
       würde, ob genau das die Absicht war. Als junger Mann vom Lande hat er noch
       wenig erlebt; er ist sozusagen Naturbursche von Beruf. Der Laden für
       Outdoorbedarf, den er zusammen mit seiner Freundin führt, wird
       hauptsächlich von ihr gemanagt, während es ihm ein wenig an Geschäftssinn
       mangelt. Die Begegnung mit Edie ermöglicht dem freundlichen, aber auch
       etwas langweiligen jungen Mann, selbst einmal Verantwortung zu übernehmen.
       
       Vielleicht war es ja so gemeint. Man ist aber schnell geneigt, über die
       Schwächen in der Story großzügig hinwegzusehen, denn sobald die
       atemberaubende schottische Landschaft ins Bild kommt, ist alles andere
       egal. Übrigens ist Hauptdarstellerin Sheila Hancock für den Film
       tatsächlich auf den Mount Suilven gestiegen. Das lässt auf jeden Fall für
       die Zukunft hoffen.
       
       23 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schottland
 (DIR) Freundschaft
 (DIR) Filmrezension
 (DIR) Historienfilm
 (DIR) Schottland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Film „Under the Tree“: Ein Baum und ein Nachbarschaftsstreit
       
       Das Drama „Under the Tree“ zerlegt eine Vorortidylle in Island: Neben
       Trollen und Elfen lauern auch gewaltige Probleme.
       
 (DIR) Historienfilm „Maria Stuart“ – ein Trend: Angst vor der Frau mit der Krone
       
       Filme über historische Stoffe wie „Maria Stuart“ liegen im Trend. Können
       sie ernsthaft Verständnis für politische Zusammenhänge vermitteln?
       
 (DIR) Geschichtstourismus in Schottland: 16 Männer, keine Frau – noch nicht
       
       Vom Wallace Monument hat man einen Blick über Scotland in a Nutshell. In
       seinem Inneren herrscht noch ein wenig Gleichstellungsbedarf.