# taz.de -- Prozesse gegen rechte Hooligans: „Wir sind wegen den Zecken hier!“
       
       > Der Angriff von über 200 Neonazis auf Leipzig-Connewitz beschäftigt seit
       > einem Jahr die Gerichte. Am Anfang gab es Haftstrafen, dann wurde es
       > milder.
       
 (IMG) Bild: Da lang: Am Amtsgericht Leipzig findet der Großteil der Connewitz-Prozesse statt
       
       Leipzig taz | Um aufzuzählen, was die Angreifer angerichtet haben, braucht
       die Staatsanwaltschaft sieben Minuten. In jedem Prozess. Sie reiht
       Hausnummern, Autokennzeichen und Schäden aneinander. 113.000 Euro Schaden,
       19 demolierte Autos, 23 beschädigte Kneipen und Geschäfte: So lautet die
       offizielle Bilanz des Angriffs von mehr als 200 rechten Hooligans und
       Neonazis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz.
       
       Am 11. Januar 2016 war die größtenteils vermummte und bewaffnete Gruppe
       [1][durch den alternativ geprägten Stadtteil gezogen]. Die Polizei setzte
       215 der meist ortsunkundigen Angreifer fest. Sie waren vor den anrückenden
       Beamten in eine Seitenstraße geflüchtet, an deren Ende eine Polizeistation
       liegt. Doch bis die ersten von ihnen wegen des Angriffs vor einem Leipziger
       Gericht standen, vergingen mehr als zweieinhalb Jahre.
       
       Es ist eine Mammutaufgabe für die sächsische Justiz: In 103 Verfahren an
       Amtsgerichten in Leipzig und Umgebung müssen sich meist zwei Angeklagte
       gleichzeitig für den „Sturm auf Connewitz“ verantworten. Gegen neun
       Personen wird gesondert in Dresden verhandelt. Die Zwischenbilanz: 30 der
       Angreifer wurden bislang in Leipzig wegen „besonders schwerem
       Landfriedensbruch“ verurteilt. Was zunächst hart klingt, ist tatsächlich
       relativ milde. Dabei wirkten die Gerichte zu Beginn noch konsequent.
       
       ## Haftstrafe zum Auftakt
       
       Ein Jahr und acht Monate Haft ohne Bewährung lautete das erste Urteil am
       23. August 2018. Angesichts der massiven Zerstörungen sei dem Bürger auf
       der Straße eine Bewährungsstrafe nicht zu vermitteln, führte Richter Marcus
       Pirk in der Urteilsbegründung aus. Die Verteidigung hatte Freispruch für
       beide Angeklagten gefordert. Ihre Mandanten äußerten sich nicht zu den
       Tatvorwürfen.
       
       Bereits drei Wochen nach dem ersten Urteil zeigt sich am Amtsgericht aber
       ein anderes Bild. Erneut ging es um den Angriff auf Connewitz, doch schon
       vor Verhandlungsbeginn stand fest, dass an diesem Tag keine Haftstrafen
       verhängt würden. In einer Verfahrensabsprache hatten sich Verteidigung,
       Staatsanwaltschaft und Gericht geeinigt, dass die Angeklagten
       Bewährungsstrafen erhalten, sofern sie gestehen. Dies entlaste vor allem
       potenzielle Zeugen, auf deren Befragung verzichtet werden kann, sagte
       Richter Pirk zur Begründung.
       
       „Dass der Richter sich auf einen Deal mit einem einschlägig bekannten
       Neonazianwalt einlässt, ist ein Skandal“, kommentierte die
       Linken-Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel und verwies auf die
       mögliche Rolle von Verteidiger Olaf Klemke. Im NSU-Prozess trat er als
       Anwalt von Ralf Wohlleben auf, seit seinem Auftritt am Leipziger
       Amtsgericht scheinen die Weichen für den weiteren Verlauf der
       Connewitzprozesse gestellt.
       
       ## Nur das nötigste gestanden
       
       „Geständige Einlassung gegen Bewährung“ scheint die Formel fortan zu
       lauten. Für den Deal reichen bereits minimale Einlassungen. Kaum ein
       Angeklagter gibt wesentlich mehr preis, als dass er am Tatabend vor Ort
       war. Nur eine Person räumt ein, selbst etwas beschädigt zu haben. Einige
       wollen den Gewaltexzess von ihrem Standpunkt aus kaum mitbekommen haben.
       Auf die Frage, in welchem Teil der Gruppe sie sich befanden, lautet die
       Antwort entweder „hinten“, „ganz hinten“, „im hinteren Teil“ oder „in der
       letzten Reihe“.
       
       Zuweilen scheint es, dass dem Gericht mehr an effizienter Abarbeitung der
       Fälle als an neuen Erkenntnissen liegt. Aufgrund der Absprache dauern die
       Verhandlungen nicht mehrere Tage, sondern nur noch wenige Stunden.
       
       Der Rekord liegt bei zwei Stunden zwischen Eröffnung und Urteilsverkündung
       – inklusive 45-minütiger Unterbrechung: Beide Angeklagten ließen innerhalb
       von dreieinhalb Minuten durch ihre Verteidiger erklären, dass sie am
       besagten Abend in Connewitz waren und mit der Gruppe mitgelaufen sind.
       
       „Streng genommen sind wir als Gericht gar nicht in der Lage, all diese
       Verfahren vollumfänglich zu führen“, gesteht Richter Pirk zum Schluss der
       aktuellsten Verhandlung Mitte Juni ein. Eigentlich wollte er lediglich
       ausführen, warum die Geständnisse als wesentliche Erleichterung für Gericht
       und Zeugen strafmildernd zu werten seien. Letzten Endes legen seine Worte
       das zentrale Dilemma der Prozessreihe offen.
       
       ## Nur Sachschäden im Fokus
       
       Eine Zahl findet sich jedes Mal in der Schadensliste: 516,73 Euro. Es sind
       die Kosten für das zerstörte Fenster einer Wohnung. Was unter den Tisch
       fällt: Hinter dem Fenster, das mit einer Rauchpatrone durchschossen wurde,
       stand der Bewohner. Entgegen der in fast jedem Termin geäußerten
       Wahrnehmung, nur durch Glück sei niemand verletzt worden, gab es an dem
       Abend keineswegs nur Sachschäden.
       
       [2][Erst als die taz und das Leipziger Stadtmagazin kreuzer berichteten],
       dass ein Anwohner durch ein Rauchgeschoss verletzt wurde und dies den
       Behörden nachweislich bekannt ist, lud das Amtsgericht ihn kurzfristig als
       Zeugen zu einem der Prozesse. Es blieb bei einer einmaligen Aussage.
       
       Der Mann ist nicht die einzige Person, die am Tatabend angegriffen und
       verletzt wurde. Bei den Verhandlungen am Landgericht Dresden spielen
       Angriffe auf Menschen auch eine entscheidende Rolle. So hat die
       Generalstaatsanwaltschaft dort gegen acht Personen nicht nur Anklage wegen
       besonders schwerem Landfriedensbruch erhoben, sondern auch wegen
       gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen. Bei der
       Staatsanwaltschaft Leipzig heißt es dagegen, diese Körperverletzungen
       hätten das Gesamtgeschehen „nicht wesentlich geprägt“.
       
       ## Zaunlatten und Totschläger
       
       Dass einige der Angreifer keineswegs nur auf Sachbeschädigungen aus waren,
       war schon vor Beginn der juristischen Aufarbeitung klar. Noch am Tatabend
       stellte die Polizei zahlreiche Messer, mit Nägeln gespickte Zaunlatten,
       Totschläger und mindestens eine Axt sicher. Mit Zahnschutz und
       Quarzhandschuhen ausgestattet, schienen mehrere Angreifer auf eine
       körperliche Auseinandersetzung bestens vorbereitet. Polizeivideos zeigen,
       wie eine vermummte Person mit Holzlatte in der Hand den Beamten
       entgegenbrüllt: „Wir sind wegen den Zecken hier! Die wollen wir haben!“
       
       In Chats der Angreifer wird das Bedrohungspotenzial ebenso offensichtlich.
       »Es ist Krieg«, schrieb ein Leipziger Hooligan nur wenige Stunden vor dem
       Angriff an einen Bekannten, um zu beratschlagen, welche Waffen sie
       mitnehmen. Vor Gericht spielten diese Nachrichten anfangs kaum eine Rolle,
       obwohl sie Planungen, Verabredungen zu Gewalttaten und Klarnamen enthalten.
       
       ## Ende frühestens 2023
       
       Ein Ende der Prozessreihe ist nicht in Sicht. Zwar verhandelt das
       Amtsgericht mittlerweile zuweilen nicht nur zwei, sondern gleich vier
       Angeklagte auf einmal. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es schneller
       vorangeht. Zahlreiche Personen, die seit Jahren wichtige Rollen in der
       Neonazi-Szene einnehmen, warten noch auf ihren Prozess. Ob diese sich auf
       einen Deal mit der Justiz einlassen und den szeneüblichen Schweigekodex
       brechen, ist fraglich.
       
       Wie aufwendig sich solche Prozesse gestalten können, zeigte sich, als im
       Februar mit Dirk Waldschmidt ein weiterer NSU-Anwalt in Leipzig auftrat.
       Waldschmidt beantragte, die Richterin wegen Befangenheit abzulehnen. Sie
       habe den Verhandlungstermin vorsätzlich auf neun Uhr morgens gelegt, obwohl
       er und sein Mandant eine mehrstündige Anreise haben. Es folgten weitere
       Anträge, Beschwerden und Rügen der Verteidigung.
       
       Diese Verfahrensverzögerung zelebrierte Waldschmidt bereits bei dem Prozess
       gegen die Neonazi-Organisation „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Koblenz, mit 26
       Angeklagten einer der größten Prozesse dieser Art. Das Verfahren, in dem
       bisher über tausend solcher Anträge gestellt wurden, zieht sich seit 2012
       hin. Diese Erfahrung mag einer der Gründe dafür sein, dass in Leipzig statt
       eines Riesenprozesses lieber auf viele kleine Verfahren zum
       Connewitzangriff gesetzt wird.
       
       Doch geht es im aktuellen Tempo weiter, würde das letzte erstinstanzliche
       Urteil frühestens 2023 fallen, sieben Jahre nach dem Angriff. Zudem sind
       bislang nur 17 Urteile rechtskräftig. Acht Personen schwiegen bislang und
       wurden zu Haftstrafen verurteilt, alle haben Berufung eingelegt. In diesen
       Fällen muss am Landgericht erneut verhandelt werden. Termine dafür gibt es
       bisher nicht.
       
       1 Jul 2019
       
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