# taz.de -- Die Wahrheit: Schmunzelnder Weltenschänder
       
       > Der Fälschungsskandal um den „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius wird
       > endlich mit prominenter Besetzung verfilmt.
       
 (IMG) Bild: Relotius-Darsteller Matthias Schweighöfer übt die Kunst der Wiederbelebung an der Actrice Ruby O. Fee
       
       Weltweit steigen die Ursachen für Flucht und Emigration. Die
       Permafrostböden tauen auf und setzen noch mehr CO2 frei. Antibiotika wirken
       nicht mehr. Hinter diesen katastrophalen Nachrichten erscheint zum Glück
       ein gewaltiger Silberstreif am Horizont: Die Kinofabrik Ufa will den Fall
       Relotius verfilmen. Vorlage wird das im Herbst erscheinende Buch „Tausend
       Zeilen Lüge“ seines Kollegen Juan Moreno sein, das sich mit ebendiesem Fall
       beschäftigt.
       
       Claas Relotius, wir erinnern uns dunkel, war ein erfolgreicher Journalist,
       der seinen Reportagen für prominente deutsche Presseorgane die eine oder
       andere Prise Fantasie beimengte, die das Ganze überhaupt erst genießbar
       machte. Dafür wurde der Mann arg angegangen, obwohl er nur beherzigt hatte,
       was auch alle seine Kollegen schon immer taten: Papier ist geduldig, der
       Leser ist es nicht. Folgerichtig gibt es selbst in dieser Zeitung gerade
       mal eine Seite, auf der garantiert die Wahrheit steht. Und das ist immerhin
       schon eine Seite mehr als in allen anderen Blättern zusammen.
       
       ## Schlichter Schachzug
       
       Doch natürlich bietet die Verfilmung die einmalige Gelegenheit, nun endlich
       auch die menschliche Seite von Claas Relotius zu zeigen, die in dem
       Kesseltreiben derjenigen, die bislang noch nicht erwischt wurden,
       unterzugehen drohte. So hat die Öffentlichkeit stets den Satan, den
       Verbrecher, den Weltenschänder Relotius vor Augen und gar nicht mehr den
       Menschen, den es ja ebenfalls gibt: den Claas Relotius, der gern mal über
       einen gelungenen Witz schmunzelte, der oft und lange sinnierend aufs Meer
       hinausblickte (um anschließend augenzwinkernd zu berichten, er hätte einen
       Parkplatz besichtigt), oder einfach mal ein kühles Malzbier trank.
       
       Mit einem schlichten Schachzug bringt uns das Drehbuch ein weitaus
       vielschichtigeres Bild der Person Relotius und ihrer Motive näher: Denn
       erzählt wird die Handlung aus der Sicht Hannas (gespielt von Jasna Fritzi
       Bauer), einer jungen Sekretärin beim Spiegel, die immer Relotius’
       Spesenabrechnungs-Mails weiterleitet. Sie berichtet, wie freundlich, wie
       charmant, wie rücksichtsvoll der Vielgescholtene sich gerade gegenüber den
       kleinen Angestellten im kalten und unpersönlichen System Spiegel verhielt.
       Ganz nebenbei erfährt man, dass Claas Relotius sich vegan ernährte, keinen
       Alkohol trank und dem Kätzchen der Tochter seiner Putzhilfe eine teure
       Augenoperation bezahlte – anonym versteht sich, er stand nicht gern im
       Mittelpunkt, und Hilfe war für ihn stets etwas Selbstverständliches.
       
       ## In der Badewanne ertränkt
       
       Jammerschade, dass Bruno Ganz schon tot ist, der es bekanntermaßen wie kein
       Zweiter verstand, einer bis dahin durch und durch dämonisierten Figur neue
       und überraschende Facetten hinzuzufügen. Aber einem Matthias Schweighöfer
       wird das sicher kongenial gelingen. Wem sonst, wenn nicht ihm? So sehen wir
       dem Mimen staunend dabei zu, wie er eine zögernde alte Dame noch schnell
       bei Rot über die Straße geleitet und ihr anschließend den Angstschweiß von
       der Stirn wischt. Einfach so. Ihren Dank wehrt er mit einem nonchalanten
       Lächeln ab. Er hat nur seine Pflicht als freier Spiegel-Autor getan.
       
       Freilich bleibt der Film kritisch und betreibt keine undifferenzierte
       Reinwaschung. So gibt es durchaus auch irritierende Momente, wie den, als
       Relotius einen hilflosen Epileptiker in seiner eigenen Badewanne mit der
       Hand so lange unter Wasser drückt, bis er ertrinkt, um daraufhin ein
       aufwühlendes Stück über den Alltag der Rettungsschwimmer an der
       französischen Atlantikküste zu verfassen. Schließlich muss er fühlen, um zu
       begreifen; begreifen, um zu schreiben; und schreiben, um zu fühlen.
       
       ## Albträume in Rückblende
       
       Des Weiteren gibt es seltsame Andeutungen über eine nie aufgeklärte
       Mordserie an Prostituierten, die Regisseur Henckel von Donnersmarck in
       wiederkehrenden Albtraumsequenzen aufblitzen lässt. Hier kommt nun Juan
       Moreno (George Clooney) ins Spiel. Man sieht ihn nachts in seiner Kemenate
       übermüdet am Schreibtisch sitzen. Im Kerzenlicht schiebt er auf einem
       weißen Blatt stundenlang Ausschnitte von Spiegel-Artikeln hin und her, um
       sie am Ende mit einem Klebestift zu fixieren. Doch dann zeigt eine
       Rückblende den zehnjährigen Claas, wie er in einem Brief an das Jugendamt
       die häuslichen Verhältnisse beschönigt, um seine depressive Mutter zu
       decken. Damit dürfte die wohl herzzerreißendste Szene von „Denn sie wissen,
       was sie tun“ (Arbeitstitel) genannt sein.
       
       Die Botschaft ist klar, ein Lehrfilm wider die Folgen der Hexenjagd: Ein
       Relotius mag seine Ecken und Kanten haben, doch er ist längst nicht das
       Monster, zu dem ihn eine selbstgerechte Meute stempeln will. Da können die
       Leute sagen, was sie wollen. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.
       Vorzugsweise in den nächsten Spiegel.
       
       2 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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