# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Arbeitslos die Welt retten
       
       > Der Absturz bei Boeing rüttelt unangenehm an der eigenen Doppel- und
       > Dreifachmoral. Hilfe fände sich in der Totalverweigerung – auch bei der
       > Arbeit.
       
 (IMG) Bild: Hoffnung findet sich nicht über den Wolken sonder auf der Straße der Tatsachen
       
       Das, worüber in dieser Woche wohl am meisten geredet wurde, würde ich am
       liebsten beschweigen. Angst vorm Fliegen hab ich ohnehin schon. Danke,
       Boeing! Ganz gleich, was du verbockt hast, die Ausbildung deiner Piloten,
       dein automatisches Steuerungssystem oder beides oder was ganz anderes –
       bring es in Ordnung!
       
       Klar ist: Wenn bei so wenig Kenntnis der Details und Fakten so viel geredet
       und geschrieben wird wie jetzt beim Absturz der Boeing 737 Max 8 in
       Äthiopien, geht es meist um niederste Instinkte. Um etwas, was an die
       Urängste kratzt und selbst die zynischsten Journalisten kopflos werden
       lässt.
       
       Dazu braucht es bei mir nicht viel. Schon ohne an die beiden
       Boeing-Abstürze zu denken – unter normalen Bedingungen also –, helfen mir
       auf Flügen nicht einmal zwei Tavor. Manche schlafen von den kleinen blauen
       Pillen ein, der Wirkstoff hilft sogar bei epileptischen Anfällen – mein
       innerer Autopilot aber ignoriert die Gesetze der Chemie und rast einfach
       weiter, unaufhaltsam, in den Panikmodus. Die Gesetze der Vernunft
       ignoriert er gleich mit: Fliegen ist die sicherste Art der Fortbewegung.
       Anders als etwa Fahrrad fahren in Berlin. Trotzdem denke ich, wenn ich mich
       hier morgens aufs Rad schwinge, nicht eine Sekunde nach, ja nicht einmal
       daran, einen Helm aufzusetzen.
       
       Auch der andere – nicht der rationale, sondern der ethische – Flügel der
       Vernunft trägt mich aber nicht: Es wäre natürlich gut und käme meinen
       Nerven zugute, gar nicht mehr zu fliegen. Bei jedem kleinen Billigflug
       schleudere ich allein 0,75 Tonnen CO2 in die Atmosphäre und zerstöre die
       Zukunft der Menschheit und die meiner Kinder. Der Klimawandel ist in der
       Reihe meiner Neurosen nach dem Fliegen fast schon the next big thing.
       Fliege ich deshalb seltener? Nein. Warum nur?
       
       ## Taub vom kleinherzigen Gepicke
       
       Wenn ich die streikenden Schüler von Fridays for Future sehe, [1][bin ich
       beschämt]. Und ich erinnere mich an die Wut und dieses ohnmächtige
       Unverständnis, das ich – als Kind der 80er Jahre – angesichts von saurem
       Regen, Tschernobyl und Kaltem Krieg hatte: Wie kann es sein, dass die
       Erwachsenen wissen, was vernünftig wäre, und es trotzdem nicht tun? Das hat
       mich fertiggemacht, aber dann hab ich wohl den Abzweig verpasst.
       
       Vielleicht ist es eine déformation professionelle. Wer sich ständig mit den
       irrationalen Ängsten anderer – Migration, Gender-„Wahnsinn“ oder was sonst
       noch an kleinherzigem Gepicke geboten wird – auseinandersetzen muss,
       dagegen argumentieren muss, verliert irgendwann den Blick für den eigenen
       Wahnsinn. Sich umgucken, Abgleich mit der Realität, könnte da helfen, wenn
       die Realität noch irgendwo rational wäre. Ist sie aber nicht, zumindest
       nicht rational in einem tieferen Sinn. Kurzfristig mag es ja schlau
       erscheinen: an der Braunkohle festhalten (Arbeitsplätze),
       Freihandelsabkommen aufkündigen (Arbeitsplätze für US-Bürger), aus der
       Europäischen Union austreten (Arbeitsplätze für Briten). Langfristig
       [2][führt alles ins Chaos].
       
       Fast könnte man bei den großen Fragen unserer Zeit – Brexit, Handelsstreit,
       Klimapolitik sind nur ein paar davon – auf die Idee kommen, dass das mit
       der Arbeit das Problem ist. Auf deren Logik, „Auf Anstrengung folgt
       Profit“, [3][basiert noch immer unser ganzes Tun]. Würden wir Arbeit nicht
       länger zum Sinn und Zweck unseres Lebens verklären, hätten wir vielleicht
       Zeit, uns mit dem Erhalt des Lebens zu beschäftigen. Es gibt eine Menge,
       wovor man derzeit mehr als genug Angst haben sollte. Flugzeuge gehören eher
       nicht dazu. Rassisten, Raketen und Klimawandel schon.
       
       Deshalb sollten wir – statt gerührt und von unserer eigenen Rührung bewegt,
       über die für ihre Zukunft streikenden Schüler eifrig Artikel hinzukritzeln
       – selbst die Arbeit niederlegen. Klar, bis die Erde komplett kaputt ist,
       sind wir, die Erwachsenen, längst tot. Und alles, worauf wir hoffen können,
       ist, ein paar weise, schlaumeierische Texte zu hinterlassen. Wenn sie, als
       Relikte des Printzeitalters, noch gedruckt wurden, brennen sie in der
       Apokalypse immerhin gut.
       
       ## Auf der Straße könnten wir uns selbst begegnen
       
       Aber so egoistisch, zu denken: „Nach mir die Sintflut“, sind nicht mal die
       überzeugtesten Kinderlosen. Warum also hat noch niemand, der jetzt so
       begeistert von Fridays for Future schwärmt, zum Generalstreik aufgerufen?
       Sind wir Erwachsenen einfach zu faul, zu schlaff, zu ängstlich? Was könnte
       schlimmstenfalls passieren? Dass uns, wie mir beim Fliegen, [4][die eigene
       Doppel- und Dreifachmoral] unangenehm auffällt? Dass unser schön
       durchorganisiertes Erwachsenenleben ein bisschen unbequemer wird? Dass wir
       am Ende gar erkennen, wie wenig Sinn unser tägliches Tun (wir nennen es
       Arbeit) ganz generell und angesichts des klimatischen Sinkflugs der Welt
       hat?
       
       Vielleicht würde uns auf der Straße, außerhalb unserer Büros, auffallen,
       wie viel mehr Sinn möglich gewesen wäre in unseren Leben. Aber noch ist es
       nicht zu spät. In diesem Sinne – ein frohes Wochenende!
       
       15 Mar 2019
       
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