# taz.de -- Doping im Ski-Sport: Die Praxis des Betrugs
       
       > Bei den Dopingermittlungen im Rahmen der Ski-WM ist eine Erfurter
       > Arztpraxis von zentraler Bedeutung. Spuren führen in die DDR und die BRD.
       
 (IMG) Bild: Immer rein in die Vene
       
       Erfurt taz | Es ist still rings um die Arztpraxis in der Hasenwende im
       Norden Erfurts. Nur wenige Passanten sind auf der Straße. Ab und zu kommt
       ein Patient heraus. Letzte Woche war eine Razzia hier. „Die haben wohl den
       Hals nicht voll genug kriegen können“, platzt es aus einem Nachbarn heraus.
       
       Zu den Habgierigen zählen nach aktuellen Stand der Dinge einer der Ärzte
       der Gemeinschaftspraxis. Er wurde festgenommen, weil er Blutdoping in
       größerem Stil betrieben haben soll. „Wir haben Blutbeutel gefunden, mehr
       als 40 Stück. Dazu Kanülen und eine Blutzentrifuge“, erzählt die Münchner
       Staatsanwaltschaft.
       
       Es ist das Besteck einer Blutdopingbude. Einen der Kunden, den
       österreichischen Langläufer Max Hauke, traf die Polizei im Hotelzimmer bei
       der Ski-WM in Seefeld noch mit einer [1][Kanüle im Arm] und dem Blutbeuten
       daneben auf dem Tisch an. Hauke durfte nach einem Geständnis die Haft
       verlassen.
       
       Ebenfalls wieder frei ist der Este Karel Tammjärv. Er gab zu, seit drei
       Jahren in Kontakt zum festgenommenen Arzt Mark S. zu stehen. Im Sommer 2016
       ließ er sich erstmals Blut entnehmen und führte es sich pünktlich zur WM im
       Februar 2017 in Lahti wieder zu. Dass nur für ihn, Hauke und die anderen
       drei in Seefeld verhafteten Sportler die sichergestellten 40 Blutbeutel
       gedacht waren, ist unwahrscheinlich. Die Münchner Staatsanwaltschaft
       kündigte DNA-Tests zur Identifizierung an.
       
       ## Er dopte und starb beinahe
       
       In Erfurt ist die Aufregung nicht besonders groß. „Jetzt werde ich mir wohl
       einen anderen Hausarzt suchen müssen“, brummt ein Anwohner. Momentan wird
       die Praxis von der Mutter des festgenommenen Mediziners weitergeführt.
       Heidrun S. hat ebenfalls Erfahrung in der Sportmedizin. „Ich kann mich an
       sie noch aus meiner aktiven Zeit als Sportler bei Turbine Erfurt erinnern.
       Sie fing dort gerade als Assistenzärztin im sportmedizinischen Dienst an“,
       erzählt Uwe Trömer.
       
       Trömer war Radsportler zu DDR-Zeiten. Er dopte, starb beinahe daran und
       wurde Antidopingaktivist. Heidrun S. hat er im alten Klub nicht bei der
       unmittelbaren Dopingtätigkeit erlebt. Schwer vorstellbar ist allerdings
       auch, dass sie gar nichts mitbekommen hat vom staatlich organisierten
       Dopingsystem.
       
       „Die Ärzte kannten doch die Blutwerte, sie konnten das doch einschätzen“,
       meint Trömer. Wer nimmt da nicht eine Weitergabe von Dopingwissen über die
       Generationen und die Systemgrenzen hinweg an? Zu einem Gespräch mit der taz
       war Heidrun S. nicht bereit. „Verlassen Sie die Praxis“, ruft die
       Sprechstundenhilfe. Und ein Patient im Warteraum macht mit der Hand die
       Geste: Raus, raus!
       
       Der Praxispartner, der Sohn, der jetzt einsitzt, fiel schon 2009 auf, als
       Teamarzt des dopingverseuchten Rennstalls Gerolsteiner. Juristisch boxte
       ihn damals sein Vater Ansgar S. heraus, der letzte Woche ebenfalls
       verhaftet wurde. „Ihm legen wir logistische Hilfeleistung beim Dopen, aber
       auch Beteiligung an einer Bluttransfusion zur Last“, erklärte die
       Staatsanwaltschaft München. Ein Anwalt, der Dopern hilft, und offenbar
       selbst die Kanüle anlegt – das spricht für eine bemerkenswerte
       Kompetenzbandbreite.
       
       ## Strafe im Westen, Karriere im Osten
       
       Ansgar S. war bis Ende letzten Jahres Anwalt bei der renommierten Thüringer
       Kanzlei Spilker & Collegen. Chef Hans-Jochen Spilker war in den 1980er
       Jahren Leichtathletiktrainer in der Bundesrepublik. Er wollte seine
       Sprinterinnen schnell machen und ermunterte sie zum Anabolika-Doping. Er
       handelte sich eine Geldstrafe wegen Verletzung des Arzneimittelgesetzes
       ein.
       
       Trotz der Strafe im Westen machte er Karriere im Osten, etwa als
       Vizepräsident des Landessportbundes Thüringen. Hätte Ansgar S. nicht Ende
       letzten Jahres aus Altersgründen die Kanzlei verlassen, wäre der Titel
       „Doping-Kanzlei“ nicht unzutreffend. In der Kanzlei arbeiten übrigens auch
       ein ehemaliger Innenminister und ein ehemaliger Justizminister Thüringens.
       Spekulierte Ansgar S. darauf, dass ihn seine gut vernetzten Kollegen im
       Zweifelsfalle schon heraushauen würden? Aus der Kanzlei war niemand zu
       einem Gespräch bereit.
       
       Im Thüringer Sport schon. Stefan Hügel, Präsident des Landessportbundes
       Thüringen, sagte: „Der Landessportbund, und ich glaube, ich kann für den
       gesamten Thüringer Sport sprechen, ist total entsetzt über diese
       Dopinggeschichte in Erfurt. Wir hätten uns das in diesem Ausmaß auch nicht
       vorstellen können.“
       
       ## Dopingwillige Nachwuchsathleten casten
       
       Hügel weiß, dass auch deutsche Athleten in der Praxis waren. Sie hatte eine
       Lizenz des Landessportbunds zur Eignungsuntersuchung für Kinder und
       Jugendliche. „Da ging es nicht um Leistungsdiagnostik, sondern nur um eine
       grundsätzliche Untersuchung, ob die Kinder und Jugendlichen für den
       Leistungssport geeignet sind“, schränkt Hügel zwar ein. Aber ob sich die
       Praxis darauf beschränkte oder nicht doch dopingwillige Nachwuchsathleten
       castete, weiß derzeit niemand.
       
       Der Präsident des Landessportbundes sagt: „Wir wollen diese Woche ein
       Treffen mit den Kindern, den Eltern und dem Sportfachverband organisieren.
       Wir müssen analysieren, was passiert ist, und wo wir helfen können. Und
       natürlich werden wir die Eltern und Athleten ermuntern auszupacken, wenn es
       etwas zu erzählen gibt. Dann heißt es Feuer frei.“
       
       4 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5577041/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Doping
 (DIR) Ski
 (DIR) Leistungssport
 (DIR) Radsport
 (DIR) Doping im Spitzensport
 (DIR) Schwerpunkt Sport trotz Corona
 (DIR) Langlauf
 (DIR) Langlauf
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Radprofi zeigt sich wegen Doping selbst an: Unerträgliches Geheimnis
       
       Im Zuge der Ermittlungen bei der Ski-WM macht der Radsportler Georg
       Preidler eine Selbstanzeige. Er spricht von einem „internationalen
       Erdbeben“.
       
 (DIR) Kolumne Pressschlag: Die Rückkehr des Dopings
       
       Leistungsmanipulation ist immanenter Bestandteil des Sports. Beinahe hätten
       wir es vergessen. Dabei sitzt das wahre Böse in Deutschland.
       
 (DIR) Doping im Skisport: Mit der Nadel im Arm
       
       Österreichs Polizei nimmt am Rande der Ski-WM fünf Langläufer fest. Es geht
       um Doping. Die Spur führt nach Erfurt. Auch da gibt es Festnahmen.
       
 (DIR) Doping im Langlauf: Blutdoping auf der A8
       
       Der österreichische Langläufer Johannes Dürr bekennt sich öffentlich zum
       Doping. Die Behörden ermitteln. Doch welche Rolle spielte sein Verband?