# taz.de -- Leukämie-Patient über seine Krankheit: „Es gibt eine Chance für mich“
       
       > Die Diagnose Leukämie änderte Sören Jäckels Leben. Ein Gespräch über
       > fremdbestimmte Todesurteile, Kampfeswillen und seine Strichliste der
       > Beileidsfloskeln.
       
 (IMG) Bild: Wollte erstmal ein eigenes Auto, wenn er aus dem Krankenhaus kommt: Sören Jäckel
       
       taz: Herr Jäckel, wie viele Menschen haben sich für Sie als
       Knochenmarkspender registrieren lassen? 
       
       Sören Jäckel: Es waren 601 neue Spender.
       
       Kennen Sie alle persönlich? 
       
       Bei Weitem nicht. Wir haben die Aktion beim Sportfest der Uni Hannover
       stattfinden lassen und die meisten Leute waren spontan dabei. Das endete
       auch in absurden Szenen: Es lief das Fußballturnier und die Spieler der
       Mannschaften, die gerade nicht gespielt haben, sind durchgeschwitzt
       reingekommen, haben sich registrieren lassen und sind wieder aufs Feld.
       
       Wie kam es zu der Idee? 
       
       Das haben Freunde von mir organisiert. Die haben mitbekommen, dass ich
       einen Spender brauche und haben Kontakt zur Deutschen
       Knochenmarkspenderdatei (DKMS) hergestellt. Das Ganze ging relativ schnell
       los. Die haben sich um die Örtlichkeit, um Tische und Stühle gekümmert –
       ein paar Vorgaben mussten erfüllt sein – und los ging’s.
       
       Wann haben Sie erfahren, dass Sie an Leukämie erkrankt sind? 
       
       Es hat ganz lächerlich angefangen mit Rückenschmerzen. Erst habe ich
       gedacht, ich hätte mich verlegen. Das ist dann ausgestrahlt Richtung Hüfte,
       sodass ich irgendwann nicht mehr laufen konnte. Ich war beim Hausarzt, der
       hat mir sehr starke Schmerzmittel verschrieben und meinte, ich solle zum
       Orthopäden gehen, damit er nochmal drauf schaut und mich einrenkt. Hat er
       auch getan – war sehr angenehm, hat aber gar nicht geholfen.
       
       Und dann? 
       
       Am 3. Januar 2018 bin ich ins Krankenhaus gekommen. Ich konnte nicht mehr
       laufen vor Schmerzen. Ich habe Diabetes und meine Blutzuckerwerte waren
       durcheinander. Das ist meistens ein Alarmsignal. Da hat meine damalige
       Freundin den Rettungswagen gerufen – und mir damit vermutlich das Leben
       gerettet. Es hätte sonst böse enden können. Das Krankenhaus hat mich nach
       einem Bluttest zur MHH geschickt, das ist eine Spezialklinik unter anderem
       für Leukämie. Da gingen die ganzen Untersuchungen erst richtig los und da
       ist festgestellt worden, dass es Leukämie ist. Das hieß erst einmal zwei
       Monate Krankenhausaufenthalt in der Leukämie-Station.
       
       Was passiert bei der Krankheit im Körper?
       
       Das kann man sich so vorstellen, dass die Stammzellen einen kleinen Defekt
       entwickeln. Normalerweise wird das vom Immunsystem bekämpft, weil es den
       Fehler erkennt. Bei mir hat das Immunsystem nicht reagiert. Das heißt, die
       kaputte Zelle hat sich geteilt und ausgebreitet. So wird eine Art
       Kettenreaktion gestartet. Bei mir waren am Ende 98 Prozent der Zellen
       kaputt.
       
       Und was wurde dann gemacht? 
       
       Ich habe erst eine sehr starke Chemotherapie bekommen. Da werden die
       gesunden und die Krebszellen getötet. Man hofft darauf, dass danach alle
       defekten Zellen weg sind und sich nur noch gesunde Zellen regenerieren.
       Meine Leukämie-Art, das ist die Akute Lymphatische Leukämie, ist oft
       durch eine solche Chemo zu heilen.
       
       Bei Ihnen war das anders? 
       
       Bei mir wurde nach vier Monaten festgestellt, dass die Chemo es nicht
       schafft, alle Krebszellen zu vernichten. Das ist die schlechtmöglichste
       Botschaft. Es bedeutet, dass man ohne eine Stammzellenspende auf jeden Fall
       sterben wird.
       
       Wie ging es Ihnen damit? 
       
       Ich habe die Frage, wie lange ich noch habe, oft im Kopf gehabt, sie mir
       aber nie wirklich gestellt. Ich wollte es nicht wissen. Dann dreht man ja
       komplett durch. Ich dachte, man wird es dann schon merken. Und so lange es
       nicht total bergab geht, will ich das Leben noch genießen.
       
       Was war Ihre erste Reaktion auf diese schlechteste aller Botschaften? 
       
       Kampfeswille. Als klar war, dass ich eine Stammzellenspende brauche, bekam
       ich eine leichte Form von Chemo, die sich nicht so stark auf den Körper
       auswirkt. Währenddessen konnte ich zu Hause sein. Es gab relativ schnell
       eine Spenderübereinstimmung, aber der hat sich nicht zurückgemeldet. Das
       war für mich sehr tragisch, weil das einem fremdbestimmten Todesurteil
       gleich kommt. Ende Mai wurde ein zweiter Spender gefunden – in Dänemark. Er
       hatte zwölf von zwölf Genen passend, also wirklich ein hundertprozentiger
       Spender. Da wurde fleißig angestoßen. Es war klar: Für mich ist doch nicht
       in einem Jahr Feierabend, sondern es gibt eine Chance.
       
       Wie geht es Ihnen seit der Transplantation? 
       
       Die meisten denken, das ist eine Operation. Das stimmt nicht. Das ist total
       unspektakulär, man wird sechs Stunden an den Tropf angeschlossen. Das sieht
       so aus, als bekäme man normales Blut als Infusion. Keine Narkose oder so.
       Man denkt schon: Das soll es gewesen sein? Bis die Ärzte dir erklären, dass
       die wirklichen Herausforderungen erst nach der Transplantation anfangen.
       
       Wieso? 
       
       Es könnten Abstoßreaktionen ausgelöst werden. Da die gespendeten Zellen
       Immunzellen sind, kann es eben passieren, das sie den Körper als Feind
       sehen und angreifen. Dagegen gibt es starke Medikamente, die heftige
       Nebenwirkungen auslösen.
       
       Das heißt, Ihnen geht es besser, aber Sie sind immer noch nicht gesund? 
       
       Genau. Die nächsten vier Jahre sind noch kritisch. Wenn ich so lange keinen
       Krebs mehr habe, gelte ich als geheilt. Jetzt gerade muss ich noch alle
       vier Wochen in die Ambulanz und bin noch in so einer Art Gefährdetengruppe.
       Für mich heißt es: Kräfte und Muskeln aufbauen.
       
       Kennen Sie Ihren Spender? 
       
       Nein. Ich weiß nur, dass er aus Dänemark kommt, dass er 1967 geboren und
       männlich ist. In zwei bis drei Jahren darf ich Kontakt aufnehmen und dann
       möchte ich ihn unbedingt kennenlernen.
       
       Warum müssen Sie so lange warten? 
       
       Das ist eine Schutzmaßnahme der DKMS. Die geben die Daten vorher nicht
       raus. Denn wenn ich Kontakt zu ihm hätte und dann die Leukämie zurückkäme,
       könnten Gedanken kommen wie: Seine Zellen waren nicht gut genug. Oder meine
       Familienmitglieder könnten durchdrehen und ihm die Schuld geben. Deshalb
       gibt es so eine Art Pufferzone.
       
       Wie war das Ganze denn für Ihre Freunde und Familie? 
       
       Meine Eltern hat es wirklich heftig getroffen, das habe ich denen
       angemerkt. Ganz am Anfang konnten die damit gar nicht umgehen, waren in
       einem Schockzustand. Das hat sich vor allem in Vergesslichkeit geäußert.
       Wenn sie bei einem Besuch was von Zuhause mitbringen sollten, kamen die
       manchmal an und hatten nichts mit, weil die das nicht mehr koordinieren
       konnten. Sie haben sich auch Urlaub genommen, weil ihre Gedanken nur noch
       um meine Krankheit kreisten. Bei meinen Freunden war es auch erst ein
       Schockzustand, aber danach war die Reaktion meistens direkt auch: Was kann
       man machen? So kam auch die DKMS-Aktion relativ zügig zustande. Die wollten
       mehr machen, als nur an meinem Bett zu sitzen und Händchen zu halten.
       
       Die Spendenaktion haben Ihre Freunde organisiert? 
       
       Ja, die haben Kontakt mit DKMS aufgebaut und alles organisiert. Durch
       Mundpropaganda hat sich das rumgesprochen. Das hat sich wie ein
       Schneeballsystem ausgebreitet. Es wurden Flyer gedruckt und in meinem
       Heimatort ausgeteilt und in Firmen an schwarze Bretter angepinnt. Es
       wussten irgendwann wirklich alle Bescheid.
       
       Ist das nicht auch nervig? Wenn alle wissen, wie krank man ist? 
       
       Es melden sich halt super viele Menschen. Da entwickelt man schon so eine
       gewisse Professionalität im Annehmen von Mitleidsbekundungen. Und man nimmt
       das auch an von denen, die man eigentlich nicht mag. Da gibt man dann eine
       klassische 0815-Antwort und ist wieder aus dem Schneider.
       
       Wie lenken Sie sich ab? 
       
       Im Krankenhaus habe ich enorm viel Musik gehört und da gibt es inzwischen
       einige Lieder, die ich gar nicht mehr hören kann. Da kommen Gefühle hoch,
       das ist nicht gut auszuhalten.
       
       Gab es auch einen Spruch, den Sie irgendwann nicht mehr hören konnten? 
       
       Ich hatte irgendwann mal im Handy eine Liste mit Sprüchen und habe mir
       immer einen Strich gemacht, wenn einer von denen gesagt wurde. Es ist echt
       witzig, wie oft die gleichen Worte gewählt werden, auch wenn die Leute sich
       gar nicht kennen. Daran merkt man, wie schwer es offenbar ist, die
       richtigen Worte zu finden.
       
       Was machen Sie beruflich? 
       
       Ich bin Fachinformatiker im öffentlichen Dienst. Ich arbeite an Computern
       und sorge dafür, dass die Server laufen. Damit habe ich im Dezember 2017
       angefangen, habe vier Wochen gearbeitet und bin im Januar 2018 ins
       Krankenhaus gekommen. Da war klar, dass ich ein Jahr mindestens nicht mehr
       arbeiten kann. Ich war noch voll in der Probezeit und die haben trotzdem
       gesagt, dass es in Ordnung ist und dass ich mir keinen Kopf wegen einer
       Krankschreibung machen soll. Die stehen hinter mir. Das fand ich sehr
       beeindruckend.
       
       Wann fängt die Arbeit wieder an? 
       
       Noch nicht, ich will aber unbedingt wieder arbeiten. Ich habe schon
       angefangen, meine Wohnung komplett aufzuräumen. Richtige
       Streber-Langeweile-Arbeit. Hoffentlich kann ich im März wieder
       durchstarten.
       
       Was haben Sie denn in Zukunft vor? 
       
       Meinen ersten Zukunftsplan habe ich schon umgesetzt. Im Krankenhaus gab es
       irgendwann einen Punkt, da war ich mental und körperlich völlig am Boden.
       Da habe ich überlegt, was ich in näherer Zukunft erreichen kann. Das Ziel
       war: Ein eigenes Auto zu kaufen, wenn ich überlebe und aus dem Krankenhaus
       rauskomme. Genau das habe ich gemacht und flitze damit jetzt durch die
       Gegend. Sonst habe ich mir vorgenommen, nicht mehr zu zögern. Das klingt
       jetzt sehr dumm, aber ich habe vorher oft gedacht: Ach, mach ich später
       oder nächstes Jahr. Genau das will ich nicht mehr. Ich weiß gar nicht
       sicher, ob es ein nächstes Jahr gibt. Die Einstellung hat in meiner Familie
       auch schon Fuß gefasst.
       
       25 Feb 2019
       
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