# taz.de -- Debatte Gewalt an Schulen: Mobber genießen die Macht
       
       > Schulen brauchen verbindliche Standards und Mobbing-Interventionsteams.
       > Kinder haben ein Recht darauf, angst- und gewaltfrei zu lernen.
       
 (IMG) Bild: Erlebte Verletzungen wirken noch lange nach
       
       [1][Der aktuelle Fall eines elfjährigen Mädchens in Berlin] hat dem Thema
       Mobbing neue Aufmerksamkeit verschafft. Das Kind wurde wahrscheinlich
       gemobbt und starb an den Folgen eines Suizidversuchs. Ich arbeite seit elf
       Jahren als Trainerin und Dozentin zu Mobbing an den unterschiedlichsten
       Schulen. Nach meiner Erfahrung sind alle Schulformen und alle Altersgruppen
       betroffen. Gerade auch an vielen Grundschulen ist Mobbing ein großes Thema.
       
       Immer wieder erlebe ich in Schülertrainings, dass Kinder in der
       weiterführenden Schule in Klasse 5 oder 6 weinend zusammenbrechen, weil sie
       über Monate oder sogar Jahre in der Grundschule gemobbt worden sind und nie
       Hilfe erfahren haben. Diese erlebten Verletzungen wirken noch lange nach
       und sind oft noch nicht verarbeitet.
       
       Mobbing kann jeden treffen und hängt mit den Regeln einer Gruppe zusammen.
       Deswegen ist Mobbing auch so unberechenbar und willkürlich; es ist eine
       Form von einseitig ausgeübter Gewalt einer Gruppe gegenüber einem einzelnen
       Schüler. Dadurch entsteht schnell ein Machtungleichgewicht, aus dem sich
       der oder die Betroffene nach einer gewissen Zeit nicht mehr alleine
       befreien kann. Um zu verstehen, wie Mobbing wirkt, muss man sich zunächst
       klarmachen, dass es hier um ein systemisches Gruppenphänomen geht.
       
       Alle in einer Gruppe nehmen unterschiedliche Rollen ein. Dies bedeutet,
       dass auch Schüler, die gerne helfen wollen, nicht aus ihrer Rolle
       herauskönnen und schnell hilflos werden. Sie bekommen Angst, selbst Opfer
       zu werden und nicht mehr dazuzugehören, weil die Dynamik von Mobbing sehr
       massiv wirkt und einschüchtert.
       
       ## Ein gemeinsames Ziel
       
       Es können auch gewalttätige Übergriffe auftreten, systematisch, anhaltend
       und regelmäßig. Diejenigen, die mobben, empfinden ihr Handeln als
       Lustgewinn. Das bedeutet konkret: Mobbing macht ihnen Spaß, sie fühlen sich
       mächtig, und diese Machtgefühle wirken gegen ihre Langeweile. Zudem fühlt
       eine Gruppe sich oft stärker, wenn es ein Mobbingopfer gibt. Sie hat ein
       gemeinsames Ziel: das Opfer fertigzumachen. Schüler, die mobben, werden ihr
       Verhalten kaum verändern, nur weil die Erwachsenen es so wollen.
       
       Mobbing entsteht zuweilen aus herkömmlichen Konflikten, weil auch sie sich
       massiv verhärten können. Doch Konflikte betreffen meist nur einzelne
       Schüler untereinander. Sie sind nicht geplant und entstehen situativ, weil
       Bedürfnisse nicht erfüllt werden oder Meinungen auseinandergehen. Konflikte
       erzeugen auf beiden Seiten negative Gefühle. Das ist beim Mobbing anders:
       Die Mobber genießen ihr Tun, während das Opfer leidet. Konflikte können
       ebenfalls lange andauern und gewalttätig werden. Deswegen muss im
       Einzellfall genau hingeschaut werden.
       
       Meine Haltung ist sehr klar: [2][Die Schule steht in der Verantwortung, den
       Mobbing-Prozess aufzulösen,] denn jedes Kind hat ein Recht darauf, in einem
       gesunden Umfeld zu lernen und sich zu entwickeln. Dazu benötigen die
       Schulen, die bisher auf sich allein gestellt sind, Unterstützung.
       
       Es gibt keine schnellen Lösungen, wenn Mobbing erst einmal aufgetreten ist.
       Sowohl Prävention als auch Intervention benötigen Zeit, Raum und Ausdauer.
       Vorzubeugen ist naturgemäß immer besser als im akuten Fall eingreifen zu
       müssen. Wenn in Klassen schon frühzeitig und regelmäßig zu Mobbing
       gearbeitet wird, zahlt sich dies aus. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass
       jede Schule für sich mit dem Problem Mobbing umgehen und fertig werden muss
       – und dafür fehlen Standards. Solche Qualitätsstandards sind aber dringend
       nötig – am besten deutschlandweit und verbindlich für alle Schulen. Und
       klar ist auch, dass es dafür Finanzierung sowie personelle und räumliche
       Kapazitäten geben muss.
       
       ## Ohne Schuldzuweisung und Bestrafung
       
       Wie kann das konkret aussehen? Zunächst einmal sollte das Thema Mobbing
       fester Bestandteil aller Fortbildungen sein – vom Lehrer bis zum
       Schulsozialarbeiter müssen alle auf dem gleichen Wissensstand sein.
       Außerdem sind Kennenlerntage für neue Klassen eine Möglichkeit, damit
       Gruppen sich finden und ein guter Umgang miteinander entsteht. Darüber
       hinaus sollte ein Mobbing-Interventionsteam an jeder Schule Standard sein;
       Lehrer, die genügend Kapazitäten haben, um mit dem Phänomen Mobbing
       effektiv zu arbeiten.
       
       Dazu empfiehlt es sich, zwei bis fünf Lehrer pro Schule ausbilden zu
       lassen. Es gibt sehr gute Methoden, mit denen im akuten Fall gearbeitet
       werden kann, etwa der No-Blame-Approach, ein Lösungsansatz ohne
       Schuldzuweisung und Bestrafung, bei dem Auswege aus der Gruppe heraus
       entwickelt werden. Oder die Farsta-Methode, ein Ansatz, bei dem die
       Mobbenden mit ihrem Handeln konfrontiert werden.
       
       Regelmäßige soziale Trainings in den Klassen – auch durch externe Trainer –
       sind ebenfalls eine sinnvolle und fruchtbare Investition, um zu
       sensibilisieren und den Klassenzusammenhalt zu stärken. Anonyme
       Fragebogenaktionen können den Lehrkräften und der Schulleitung helfen
       herauszufinden, ob es akute Mobbing-Fälle gibt und ob jemand auf diesem Weg
       um Unterstützung bittet. Denn Mobbing ist von den Mobbenden so inszeniert,
       dass es die Lehrer nicht mitbekommen sollen. Deswegen ist es auch für die
       Lehrer nicht immer einfach, Mobbing zu erkennen. Und in nicht wenigen
       Fällen wird Mobbing sogar durch Lehrer unbewusst verstärkt.
       
       Eine weitere wichtige Hilfe sind Schulsozialarbeiter, die es aber leider an
       vielen deutschen Schulen gar nicht gibt. Oder sie sind mit einem so
       geringen Stellenschlüssel für mehrere Schulen unterwegs, dass sie kaum
       präsent sind und nicht wahrgenommen werden. [3][Um Mobbing ernsthaft
       entgegenzutreten,] müssten Schulsozialarbeiter flächendeckend eingesetzt
       werden. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, Mobbing zu bekämpfen.
       Kinder haben ein Recht darauf, dass alles getan wird, um sie zu schützen.
       Mobbingprävention und Mobbingintervention dürfen keine Tagesveranstaltungen
       bleiben.
       
       12 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommentar-Mobbing-an-Schule-in-Berlin/!5567457
 (DIR) [2] /Psychologe-ueber-Mobbing-und-Schulen/!5567366
 (DIR) [3] /Mobbing-an-Schulen/!5511693
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Leye
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mobbing
 (DIR) Gewalt in der Schule
 (DIR) Gewalt gegen Kinder
 (DIR) Gewalt
 (DIR) Schule
 (DIR) Schule
 (DIR) Mobbing
 (DIR) Bildungspolitik
 (DIR) Schule
 (DIR) Mobbing
 (DIR) Mobbing
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Institution Schule: „Ein Widerspruch in sich“
       
       Immer wieder sind Schüler:innen von Mobbing betroffen. Oft fehle Zeit
       für die Betroffenen, sagt die Autorin und Vertrauenslehrerin Ursula
       Pickener.
       
 (DIR) Todesfall einer Elfjährigen in Berlin: Schülerin war kein Mobbingopfer
       
       Die Schulleiterin der Hausotter-Grundschule äußert sich zum vermeintlichen
       Suizidfall. Senatorin Scheeres (SPD) verwahrt sich gegen „Untätigkeit“.
       
 (DIR) Mobbingfreie Schulen in Berlin?: Bildungssenatorin wird zur Utopistin
       
       Sandra Scheeres (SPD) will die Schulen in Berlin mobbingfrei machen. Das
       dürften viele als naiv empfinden. Schlecht ist es nicht.
       
 (DIR) Kommentar Mobbing an Schule in Berlin: Quälerei ist kein Kinderkram
       
       Häufig verlassen Mobbingopfer ihre Schule. Die Täter bleiben. Deshalb
       müssen klare und verbindliche Regeln sowie echte Verpflichtungen her.
       
 (DIR) Mobbing an Berliner Schule: Schule unter Schock
       
       Nach dem Tod einer Schülerin geht die Schulverwaltung Mobbingvorwürfen
       nach. Ein Sprecher sagt, sie nähmen den Fall sehr ernst.
       
 (DIR) Psychologe über Mobbing und Schulen: „Es gibt keine pauschale Antwort“
       
       Was den Tod der elfjährigen Schülerin in Berlin betrifft, warnt
       Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer vor voreiligen
       Schlussfolgerungen.