# taz.de -- Die Wahrheit: Derricks Doppelleben
       
       > Einst hielt er die Welt des TV-Krimis in Atem: Unverhoffte neue
       > Einsichten in die bewegte Vergangenheit eines Fernsehkommissars.
       
       Die Überraschung war groß, als sich im April 2013 herausstellte, dass der
       fünf Jahre zuvor verstorbene Schauspieler Horst Tappert, weltweit bekannt
       als Darsteller des Münchner Oberinspektors Stephan Derrick, in jungen
       Jahren der Waffen-SS angehört hatte. „Erst die Serie ‚Derrick‘ integrierte
       einen Mittäter des ‚Dritten Reiches‘ unauffällig in das runderneuerte
       Deutschland, das sich von der milden Autorität in Tapperts wässrigem Blick
       gern beaufsichtigen ließ“, schreibt der Publizist Willi Winkler in seinem
       soeben veröffentlichten Buch „Das braune Netz. Wie die Bundesrepublik von
       früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde“.
       
       Nach Recherchen des Soziologen Jörg Becker diente Tappert unter anderem in
       dem SS-Panzergrenadierregiment „Totenkopf“, was er nach dem Krieg
       wohlweislich verschwieg; stattdessen gab er an, dass er nur als
       Sanitätssoldat zum Einsatz gekommen sei. Und wie es der Zufall wollte,
       hatte in derselben Waffen-SS-Division Herbert Reinecker gedient, der
       Verfasser aller Drehbücher der „Derrick“-Serie.
       
       Nun gibt es abermals verblüffende Neuigkeiten. Der Hamburger Historiker
       Alexander Buckauer war auf die ausgefallene Idee gekommen, auch einmal nach
       der Vergangenheit des Oberinspektors Derrick zu forschen. Also nicht nach
       der seines Darstellers, sondern nach der des berühmten Kriminalisten
       selbst.
       
       Eine Anfrage bei der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der
       nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht
       (WASt) in Berlin-Borsigwalde erbrachte zwar keine Hinweise auf einen
       Kriegseinsatz des 1923 geborenen Stephan Derrick, aber in den Unterlagen
       fand sich sein Name in Verbindung mit einer Telefonnummer. Und siehe da: Es
       war die eines Nebenanschlusses im Wittelsbacher Palais, der damaligen
       Zentrale der Geheimen Staatspolizei in München.
       
       ## Denunziant der Gestapo
       
       Eine heiße Spur. Als Buckauer ihr nachging, entdeckte er im Münchner
       Staatsarchiv Stephan Derricks Personalakte, aus der sogleich vieles
       Wissenswerte hervorging: Am 1. Oktober 1943 war Derrick als
       Kriminalassistentenanwärter im Vorbereitungsdienst in die Gestapo
       aufgenommen und bereits ein Jahr später zum Kriminaloberassistenten
       befördert worden, und zwar „in Anerkennung hervorragender Leistungen bei
       der Ermittlung von Verstößen gegen die Verordnung über außerordentliche
       Rundfunkmaßnahmen“.
       
       Mit anderen Worten: Derrick war höchst erfolgreich bei der Denunziation von
       „Rundfunkverbrechern“ gewesen, die sogenannte Feindsender gehört hatten. In
       seiner neuen Eigenschaft als Kriminaloberassistent konnte er sich dann ein
       neues Aufgabenfeld erschließen: Er baute ein Netz von Spitzeln auf, die im
       Großraum München Wirtshausgespräche belauschten und wehrkraftzersetzende
       Äußerungen protokollierten.
       
       ## Konspirative Widerstandszelle
       
       Und an dieser Stelle kommt noch einmal der Kommissar Zufall ins Spiel.
       Während Buckauer noch im Staatsarchiv saß, trat ein hochbetagter Mann an
       ihn heran, der bemerkt hatte, mit wessen Akte Buckauer beschäftigt war. Er
       stellte sich als Karl-August Brunner vor und sagte, dass er seinerzeit
       gemeinsam mit Stephan Derrick eine konspirative Widerstandszelle gegründet
       habe. Sie hätten Schriften der Exil-KPD nach Bayern geschmuggelt, für das
       kommunistische Nationalkomitee Freies Deutschland immer wieder
       Kurierfahrten in das „Protektorat Böhmen und Mähren“ unternommen und sogar
       einen Anschlag auf den Gauleiter von München-Oberbayern geplant, Paul
       Giesler, einen besonders fanatischen Nationalsozialisten. Gescheitert sei
       das Attentat erst im letzten Moment infolge eines Wasserrohrbruchs, der den
       in Derricks Waschküche lagernden Sprengstoff unbrauchbar gemacht habe. Bei
       der Gestapo habe Derrick nur zur Tarnung seines Doppellebens gearbeitet und
       im übrigen ausschließlich überzeugte Nazis ans Messer geliefert.
       
       Doch kann das stimmen? Gibt es Beweise? Allerdings: Auf dem Schwarzen Markt
       ist jüngst eine Auszeichnung aufgetaucht, die Stephan Derrick am 4. August
       1954 im Rahmen einer Geheimzeremonie im Bunker der Ostberliner
       Stasi-Zentrale verliehen wurde: die Ehrennadel der Gesellschaft für
       Deutsch-Sowjetische Freundschaft in Bronze. Was eindeutig dafür spricht,
       dass Derrick seine Spionagetätigkeit für den Osten als Oberinspektor der
       Münchner Kriminalpolizei fortgesetzt hat – womöglich gar bis an sein
       Lebensende im Jahre 2008. Die CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat hat daher
       beantragt, Derrick sein Ehrengrab auf dem Gemeindefriedhof im noblen
       Münchner Bezirk Gräfelfing abzuerkennen.
       
       Alexander Buckauer möchte sich jetzt dem anderen großen Gesetzeshüter aus
       Herbert Reineckers Produktion zuwenden: Herbert Keller, der von 1969 bis
       1976 in der Fernsehserie „Der Kommissar“ brillierte. „Auch Kommissar
       Kellers Biographie ist nicht ohne Brüche“, sagt Buckauer. „Es deutet
       manches darauf hin, dass er im Reichssicherheitshauptamt als
       SS-Obersturmbannführer für die Sabotageabwehr zuständig war und zugleich
       dem Verschwörerkreis um den Admiral Wilhelm Canaris nahestand. Weitere
       Aufschlüsse wird mir hoffentlich der schriftliche Nachlass von Kellers
       Assistentin Käthe Rehbein gewähren, der 1995 im Hamburger Film- und
       Fernsehmuseum archiviert worden ist.“
       
       Was auch immer dabei herauskommen mag: Es bleibt spannend.
       
       9 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Henschel
       
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