# taz.de -- Dong-Xuan-Center Lichtenberg: Die Bußgelder sind mit einkalkuliert
       
       > Restaurants, Läden und Dienstleister locken Vietnamesen aus ganz Europa
       > und viele Berliner ins Dong-Xuan-Center in Lichtenberg. Ein schriller Ort
       > im Graubereich.
       
 (IMG) Bild: Auf 165.000 Quadratmetern verkaufen im Center asiatische Händler Kleidung und Ramsch.
       
       Mit grellen Leuchtschriften werben Geschäftsleute für Nageldesign und
       Tattoos. Im Nebenladen stapeln sich Blusen, Handtücher und Klodeckel. Das
       Dong-Xuan-Center in der Lichtenberger Herzbergstraße ist einer der
       exotischsten und schrillsten Orte in Berlin. Auf 165.000 Quadratmeter
       verkaufen hier asiatische Händler Kleidung und Ramsch. Sie haben
       Friseurgeschäfte, in denen man einen neuen Haarschnitt für 7 Euro bekommt,
       Angebote für chinesische Massagen, die zwar schmerzhaft sind, aber gegen
       Rückenschmerzen helfen sollen, und Salons, in denen man sich die
       Fingernägel machen lassen kann. In den riesigen Gewerbehallen haben sich
       Zuwanderer aus Vietnam, China, Pakistan, Indien und weiteren Ländern eine
       Existenz geschaffen.
       
       Zugleich zieht der Asiamarkt Touristen an. Ein hier aufgewachsener Sohn
       einer vietnamesischen Familie bietet regelmäßig Führungen an. Auch andere
       Reiseveranstalter haben dieses bunte Stück Berlin im Angebot. Ihre Kunden
       können hier zwischen preiswerter Kleidung stöbern und exotische Früchte
       kaufen.
       
       Mit echter vietnamesischer Küche werben die zahlreichen Restaurants im
       Dong-Xuan-Center. Die Speisen unterscheiden sich deutlich von denen in
       vietnamesischen Restaurants in Berlins Szenebezirken, wo man sich an den
       deutschen Geschmack angepasst hat und man hochwertige Gastronomie bekommt.
       Hier schmeckt und riecht es anders. Die Bedienung ist unfreundlich. Und
       manche Gabeln, die neben den Stäbchen in Besteckständern stecken, sind
       schon verbogen.
       
       ## „Ghettobildung gefördert“
       
       Viele Vietnamesen aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Osteuropa hingegen
       schätzen diese Restaurants; viele orientieren sich kulinarisch an einer
       Provinz in Vietnam. So ist das Dong-Xuan-Center zu einem Anziehungspunkt
       für Vietnamesen aus ganz Europa geworden. Sie essen hier, treffen
       Landsleute, besuchen Kosmetikstudios, kaufen ein und können auch
       Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Beispielsweise in einem der
       zahlreichen Dolmetscher- und Steuerberaterbüros oder an einem Schalter für
       Flugtickets.
       
       Zunehmend gibt es aber in Deutschland aufgewachsene vietnamesischstämmige
       Menschen, denen das Dong-Xuan-Center peinlich ist. Die taz hat jedoch
       niemanden gefunden, der mit so einem Statement mit vollem Namen in der
       Zeitung stehen will. Aber eine 22-jährige Studentin sagt: „Hier ist es
       immer dreckig. Ich habe sogar mal lebende Enten in einer Restaurantküche
       herumlaufen sehen – damit die Entengerichte frisch sind. Es wird so
       offensichtlich gegen Hygieneregeln verstoßen. Darum ist es mir peinlich,
       wenn da Touristen durchgehen und uns Vietnamesen so wahrnehmen.“ Ihren
       Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, weil „meine Eltern hier viele
       Bekannte haben. Die müssten darunter leiden, wenn ich so etwas sage.“
       
       Ein Naturwissenschaftler äußert sich sogar so: „Ich bin schon lange der
       Meinung, dass es ein großer Fehler war, das Dong-Xuan-Center überhaupt zu
       eröffnen. Damit hat man nicht die Integration, sondern die Ghettobildung
       gefördert.“
       
       Wenn man über den riesigen Asiamarkt spricht, gibt es immer mindestens zwei
       Wahrheiten. Was für Inhaber und Gäste Restaurants sind, sind für das
       Bezirksamt beispielsweise lediglich Kantinen. Denn das Dong-Xuan-Center
       befindet sich in einem Gewerbegebiet, auf dem einmal der VEB Elektrokohle
       stand. Gaststätten sind hier planungsrechtlich gar nicht zulässig,
       lediglich Kantinen zur Versorgung der Mitarbeiter. Baustadträtin Birgit
       Monteiro (SPD) genehmigt aber keine weiteren Gastronomiebetriebe. „Die
       Kantinenversorgung im Dong-Xuan-Center ist wahrscheinlich bereits jetzt die
       dichteste Berlins“, sagt Monteiro.
       
       ## Schnäppchenkäufe und kleine Ausnahmen
       
       Und was für Touristen und Anwohner Schnäppchenkäufe sind, deretwegen sie
       gern durch das Areal streifen, und für die Anwohner ihre Nahversorgung, ist
       für das Bezirksamt eine Ausnahme im geringen Umfang: Denn Einzelhandel darf
       es im Gewerbegebiet auch nicht geben. Die Läden sind offiziell alle
       Großhandel. So war es auch, als das Center vor 16 Jahren eröffnete, die
       Veränderung fand schleichend statt. Heute freuen sich viele Händler, dass
       sie die Hälfte ihres Umsatzes mit Einzelhandel machen.
       
       Im Gegenzug finden sie der Einzelhandelskunden wegen allerdings keine
       Parkplätze mehr. Als Großhandelszentrum aber darf das Dong-Xuan-Center
       jeden Sonntag öffnen. Hier gilt kein Ladenschlussgesetz – für die
       Einzelhändler in der Umgebung ein Wettbewerbsnachteil.
       
       Für Vietnamesen der ersten Einwanderergeneration aus ganz Europa ist das
       Dong-Xuan-Center aber ein Treffpunkt. Deshalb bieten zum Beispiel mehrere
       Restaurants ein Public Viewing zu den Asienmeisterschaften im Fußball an.
       Landsmannschaften, also bundesweite Zusammenschlüsse von Vietnamesen aus
       den Provinzen des Landes, treffen sich hier an den Wochenenden. Das sind
       politische Veranstaltungen mit mehreren hundert Teilnehmern, auf denen oft
       Politiker aus vietnamesischen Provinzen an die Heimatbindung „ihrer“
       Landsmannschaft appellieren. Und sie sammeln Spenden für Projekte in der
       Herkunftsprovinz, werben für Investitionen und für die Rückkehr besonders
       qualifizierter einstiger Auswanderer.
       
       ## Auch die Botschaft lädt ein
       
       Dazu gibt es politische Veranstaltungen mit der vietnamesischen Botschaft,
       Konzerte und Familienfeiern auf dem Gelände. Offiziell darf das alles nicht
       stattfinden, weil sich das Dong-Xuan-Center in einem Gewerbegebiet
       befindet. Veranstaltungen, zudem abendliche, „erzeugen Publikumsverkehre,
       wofür Gewerbegebiete nicht ausgelegt sind“, sagt Baustadträtin Birgit
       Monteiro der taz. Zudem geht das Bezirksamt davon aus, dass kulturelle
       Nutzung die Mieten in die Höhe treibt und sich somit rund um die
       Herzbergstraße produzierendes Gewerbe nicht mehr halten könne. Mit der
       gleichen Begründung untersagt Lichtenberg Künstlern in der Herzbergstraße
       einen Ausstellungsbetrieb.
       
       Dazu kommt, dass man sich im Dong-Xuan-Center nicht so genau an das
       deutsche Recht hält. Centerbetreiber Nguyen Van Hien, ein 61-jähriger
       Unternehmer, ist in Behördenkreisen dafür bekannt, dass er Fakten schafft
       und sich diese dann von den Behörden nachträglich genehmigen lässt.
       
       Die Bußgelder, die er für Schwarzbauten zahlen muss, nimmt er
       offensichtlich in Kauf. Die scheinen in die Mietpreise eingerechnet zu
       sein. Nguyen Van Hien, der sich gern in vietnamesischen Onlinezeitungen als
       schwerreicher Vietnamese feiern lässt und dort ähnlich präsent ist wie
       einst Erich Honecker in DDR-Medien, hat auf Fragen der taz nicht
       geantwortet.
       
       Zwei Wahrheiten gibt es auch zur neuesten Gewerbehalle im Center. Halle 18
       ist 7.000 Quadratmeter groß. Die eine Wahrheit kann man in vietnamesischen
       Onlinezeitungen nachlesen: Am 19. Mai 2018, dem Geburtstag von Hồ Chí Minh,
       wurde die Halle feierlich eröffnet. Der Centerbetreiber hielt eine Rede.
       Die Halle war damals bereits gut vermietet und in ihr finden regelmäßig
       Großveranstaltungen statt.
       
       Die zweite Wahrheit ist die in den Akten des Bezirksamtes: Dort existiert
       das Bauwerk bis heute lediglich als Rohbau, ohne Betriebsabnahme. Erst bei
       einer Routinekontrolle sechs Monate nach der Eröffnung sah das Bauamt, dass
       die Halle bereits in einzelne Läden aufgeteilt und im vollen Betrieb war.
       Dafür war zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal ein Bauantrag gestellt
       worden, sagt die Baustadträtin Monteiro. Der Betreiber musste ein Bußgeld
       zahlen und den Bauantrag nachreichen, durfte aber weitermachen.
       
       Mit zwei Ausnahmen: Die zahlreichen Restaurants sollte er einstellen genau
       wie den Veranstaltungsbetrieb. Beides sei, so Baustadträtin Monteiro,
       prinzipiell im Gewerbegebiet nicht genehmigungsfähig. Doch die Betreiber
       ließen sich Zeit, bis sie den einträchtigen Betrieb trotz Bußgeldern
       tatsächlich beendeten.
       
       Auch in puncto Wohnen im Asiamarkt gibt es zwei Wahrheiten. Für das
       Bezirksamt steht fest: Wohnen im Gewerbegebiet ist nicht zulässig. Der
       Betreiber wirbt hingegen mit Plänen, hier eine Asia-Town mit Wohnhäusern zu
       bauen. Und weil der Betreiber nach Auffassung des Bauamtes nicht als
       sonderlich gesetzestreu gilt, kontrolliert das Bauamt derzeit im
       Dong-Xuan-Center jedes Büro und jeden Laden auf Übereinstimmung mit den
       Bauzeichnungen. „Die haben sogar Schrauben nachgemessen“, sagt ein Mieter
       der taz. Er freut sich über die Kontrolle. Endlich schaut seinem Vermieter
       mal jemand auf die Finger.
       
       5 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Mai
       
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