# taz.de -- Deutsche Fußballdisziplin in Usbekistan: Wie man zum Wölfchen wird
       
       > In Taschkent hat Dilshod Kariev eine Akademie für den Fußball-Nachwuchs
       > gegründet. Sein Vorbild fand er in Thüringen, sein Idol ist Lothar
       > Matthäus.
       
 (IMG) Bild: Der Bus der Fußballakademie – Wölfe inklusive
       
       Taschkent taz | Auf dem im ganzen Land berühmten Jugendsportkomplex, eine
       etwas in die Jahre gekommenen sowjetischen Anlage im Zentrum von Taschkent,
       herrschen jetzt andere Sitten. Zwar werden die Leichtathleten auf der
       Laufbahn, die Schwimmer im Becken und die Tennisspieler auf den Courts
       ausgebildet wie früher. Aber die Aufschrift am Gebäude hinter dem
       Hauptplatz mit Tribüne offenbart, sprichwörtlich, eine neue Sprache. Über
       der Eingangstür, neben der Silhouette eines heulenden Wolfs, prangt in
       Blockschrift: „Jugend-Fußball Leistungszentrum in Taschkent“.
       
       „Die Wörter versteht hier eigentlich niemand“, sagt Dilshod Kariev gleich
       zur Begrüßung, lächelt übers ganze Gesicht und gesteht auch seine
       Nichtkenntnis dieser fremden Sprache. „Aber ich wollte unbedingt, dass wir
       einen deutschen Namen haben.“ Kariev ist der Gründer dieser neuen
       Fußballschule, und sehr ernst erklärt er: „Wir befolgen hier das deutsche
       Modell.“ Trainingsmethoden, Tugenden und Gewohnheiten sollen aus dem Land
       des viermaligen Weltmeisters kommen. So soll hier, [1][in Usbekistans
       Hauptstadt], die fußballerische Zukunft Zentralasiens ihren Anfang nehmen.
       
       Im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes liegen Prospekte auf dem Tisch,
       und Mannschaftsfotos hängen an der Wand. Kariev deutet auf eines, das ein
       heulendes Tier zeigt. „Wie man zum Wölfchen wird?“, hebt er seine Stimme.
       Eine hypothetische Frage, Kariev antwortet nämlich sofort selbst: „Ein
       Wölfchen ist 15 Minuten vorher da. Ein Wölfchen trägt immer seine Uniform.
       Ein Wölfchen ist zuverlässig. Ein Wölfchen legt sein Handy eine Stunde vor
       dem Schlafengehen zur Seite. Ein Wölfchen macht seine Hausaufgaben.“
       
       Und wer so etwas sein wolle, ein Wölfchen? Auch darauf gibt es für den
       41-jährigen Fußballtrainer Kariev eine klare Antwort: jeder junge Fußballer
       im Land. Nur wer heute ein Wölfchen sei, könne eines Tages zum Leitwolf
       werden.
       
       Das ist hier das große Ziel: so gut zu werden wie die besten Fußballer, die
       es gibt. Für die jungen Usbeken, das weiß Dilshod Kariev genau, heißen die
       Ikonen Ronaldo, Messi oder Salah. Zu Deutschland fallen ihnen meist nur
       Namen wie Müller oder Neuer ein sowie manchmal, nun ja, Lewandowski. Aber
       ein Wölfchen, das lerne man hier auf dem Platz wie in der Kabine,
       orientiert sich tagein, tagaus am Land von Dilshod [2][Karievs Idol Lothar
       Matthäus]. Den nannte man in seinen großen Jahren ja auch Leitwolf.
       
       ## 30 Euro im Monat
       
       Vor knapp zwei Jahren eröffnete die Fußballschule, 150 Kinder zwischen 5
       und 16 Jahren trainieren hier an fünf Tagen in der Woche, um am Wochenende
       Punktspiele oder Turniere zu gewinnen. Dilshod Kariev, der hauptberuflich
       ein Reiseunternehmen führt, schlendert über die Sportanlage, über der hier
       die deutsche Abkürzung JFL für „Jugend-Fußball Leistungszentrum“ thront,
       dort eine Wolfssilhouette zu sehen ist. Auf zwei Plätzen laufen sich
       Mannschaften warm.
       
       „Ich miete die Felder hier und bezahle die Ausrüstung und die Trainer aus
       meiner Tasche“, erzählt Dilshod Kariev. „Bald wollen wir ein vollwertiges
       Internat eröffnen, wir warten noch auf das neue Gelände, das wir dann
       nutzen wollen. Usbekistan braucht endlich mal ein gutes Nachwuchssystem.“
       Pro Kind kostet die Mitgliedschaft umgerechnet 30 Euro im Monat. Nicht
       billig, aber wer talentiert und mittellos sei, bekomme ein Stipendium. Und
       immerhin gebe es hier „die beste Ausbildung im ganzen Land“.
       
       Was Dilshod Kariev seiner Sache so sicher macht? Weil Kinder schon von den
       etablierten Vereinen abwandern und hierherkommen. Denn Kariev habe sich für
       seine Akademie die großen Fußballnationen selbst angesehen. In Barcelona
       absolvierte er in seiner Freizeit einen Lehrgang für die
       Jugendtrainerlizenz, reiste von dort aus vor allem nach Deutschland,
       England und Belgien. Der Befund nach seinen Vergleichen: Wer in Zukunft
       siegen wolle, müsse heute vom deutschen System lernen.
       
       „Der DFB hat ja in den 1990er Jahren sein Ausbildungskonzept zentralisiert.
       Dort ist wirklich alles durchdacht. Dadurch bekommt jedes Kind taktisch und
       technisch das Gleiche mitgegeben.“ Was Kariev nicht weniger imponiert: In
       der Kabine und auf dem Platz herrschen Zucht und Ordnung. „Wenn in
       Deutschland ein Jugendtrainer ‚Aufgepasst!‘ ruft, dann passen alle auf. In
       Spanien tanzen immer ein paar Kinder aus der Reihe.“ Deutschland schaffe
       eine gute Balance aus sauberer Technik und strenger Disziplin.
       
       ## Vorbild Schlotheim
       
       Die Ideen für das System der Wölfchen hat Kariev aus der thüringischen
       Provinz. Auf Umwegen erreichte er das Fußballinternat der Kleinstadt
       Schlotheim und war sofort begeistert. Dort zählten Schule, Sport und
       charakterliche Bildung als jeweils gleich wichtige Teile, zudem erreiche
       man aus einem begrenzten Einzugsgebiet ein gutes fußballerisches Niveau.
       
       „Genauso wollen wir in Taschkent auch werden“, sagt der Trainer begeistert.
       Seine Heimatstadt zähle zwar rund 3 Millionen Einwohner, dafür mangele es
       noch umso mehr an Trainingskultur, obwohl Fußball der beliebteste Sport des
       Landes ist. „Zweimal pro Jahr kommen Trainer aus Schlotheim nach Taschkent
       und kontrollieren, ob wir ihr Konzept richtig befolgen.“
       
       Kariev sieht rüber zu einem Platz, wo Zwölfjährige Koordinationsübungen
       machen. „Wölfe hängen sich rein!“, ruft dort der Trainer einem Jungen zu,
       der den Hütchenparcours trabend statt sprintend durchläuft. Der Junge
       nickt ohne zu heulen, er hat wohl verstanden.
       
       Seit Längerem will Usbekistan wenigstens in Asien ein fußballerisches
       Schwergewicht werden. In den Jugendbereich investiert das Land schon einige
       Jahre, verzeichnete zuletzt auch Fortschritte. Die nationalen Auswahlteams
       der U17 und U20 qualifizierten sich in diesem Jahrzehnt je zweimal für
       Weltmeisterschaften, bei der U23-Asienmeisterschaft im vergangenen Jahr in
       China holte Usbekistan sogar den Titel. „Asiens schlafender Riese“ wird das
       bevölkerungsstärkste Land Zentralasiens seitdem auf der Website der Fifa
       genannt, wenngleich es in der Rangliste des Weltverbands [3][bisher nur für
       Platz 95 reicht]. Usbekistan muss noch aufwachen.
       
       ## „Wölfe sind doch Rudeltiere“
       
       Bei der aktuell in den Vereinigten Arabischen Emiraten [4][laufenden
       Asienmeisterschaft] legten die Usbeken zum Auftakt einen 2:1-Sieg gegen
       Oman und ein 4:0 gegen den Nachbarn Turkmenistan hin und haben die
       K.o.-Runde vorzeitig erreicht. „Wir werden zwar immer besser“, sagt Dilshod
       Kariev, „aber wir werden auch noch ein paar Jahre brauchen, bis wir
       wirklich gut sind.“ Die A-Nationalmannschaft spiele bisher zu
       verschnörkelt, ihr fehle die Zielstrebigkeit.
       
       Dinge, die man im deutschen Biotop von Taschkent natürlich von der Pike auf
       lerne. In einer dreisprachigen Broschüre, die Eltern den sportlichen und
       pädagogischen Wert des JFL erklären soll, steht auf Usbekisch, Russisch und
       Englisch: „Ein Wölfchen hört immer auf seinen Trainer.“ Und ein guter
       Trainer lehre heutzutage, dass sich der Ball am schnellsten über den Platz
       bewegt, wenn er direkt weitergepasst wird. Die Spieler Wölfchen zu nennen,
       sagt Dilshod Kariev schmunzelnd, hat ihm allerdings keiner der Berater aus
       Schlotheim vorgeschlagen. Das sei seine eigene Idee gewesen. „Wölfe sind
       doch Rudeltiere, denen ist die Mannschaft wichtig. Und weil die Jungs noch
       in der Ausbildung sind, heißen sie Wölfchen.“
       
       Ob den Heranwachsenden in ihrem auch mal schwierigen Alter so ein Name
       unangenehm sein könnte? Nein, ein triumphales Heulen sei doch
       beeindruckend, einschüchternd. Und allen, denen seine Metapher nicht
       ausreicht, kann Dilshod Kariev auch eine Antwort geben: „Wenn trotzdem
       Fragen bleiben, gebe ich den Jungs noch einen Grund, warum sie Wölfchen
       sind: Der Wolf ist das einzige Tier, das nicht im Zirkus auftritt.“ Hier in
       Taschkent werde nämlich nicht für die Galerie gespielt, sondern für das
       Ergebnis. Klingt wiederum nach deutschem Einfluss, insbesondere aus Zeiten
       des Leitwolfs.
       
       Die Reise für diese Recherche wurde mit Mitteln der Public-Affairs-Firma
       GPRC finanziert.
       
       22 Jan 2019
       
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