# taz.de -- Lebensechte Prothesen im Fokus: Finger mit Motor
       
       > Hightech-Prothesen erlauben die Durchführung komplexer Bewegungen.
       > Allerdings brauchen sie viel menschliche Einübung.
       
 (IMG) Bild: Glückliches Händchen: Ein Mann zeigt seine myoelektrische Armprothese
       
       Berlin taz | Es kann alles ganz schnell gehen. Eine unüberlegte Tat eines
       Teenagers, selbstgebastelte Feuerwerkskörper – und schon war die Hand weg.
       „Heute fasse ich mir natürlich an den Kopf, aber es ist so, und man kann es
       nicht mehr rückgängig machen“, sagt Alexander Kühnle nüchtern. „Ich habe
       immer noch Glück im Unglück gehabt.“
       
       Der mittlerweile 59-jährige Softwareentwickler trägt seitdem eine
       Handprothese, die am Handgelenk ansetzt. Genauer gesagt hat er zwei
       verschiedene Prothesen: Für schwere Arbeiten und das Autofahren nutzt er
       eine Systemhand, die nur wenig beweglich ist, dafür aber robust. Genau
       richtig also, um beispielsweise ein Lenkrad zu halten. Meistens trägt er
       jedoch seine „[1][iLimb Ultra Revolution]“, eine myoelektrische Prothese.
       Damit gehört sie zu der am häufigsten genutzten Art.
       
       Myoelektrische Prothesen kommunizieren mit Sensoren auf dem Stumpf, die
       Muskelsignale erkennen und Elektromotoren in der Prothese steuern. Der
       Träger bewegt die Prothese, indem er bewusst den Beuge- oder Streckmuskel
       im Arm anspannt. So kann man die Hand öffnen und schließen.
       
       Prothesen wie die von Alexander Kühnle können jedoch noch mehr: Sie haben
       Motoren in den einzelnen Fingern und führen damit kompliziertere Griffe
       aus. Das funktioniert durch Steuerungsprogramme. Aus 4 Griffen kann
       Alexander Kühnle jederzeit wählen. Wenn er andere Kombinationen möchte,
       kann er über eine App in seinem iPhone auf weitere Griffe wechseln.
       
       ## Patienten nicht mit der Technik alleine lassen
       
       Das tut er aber selten, denn meistens kommt er mit den 4 Standardgriffen
       gut aus. Das Umschalten zwischen den einzelnen Griffen funktioniert bei ihm
       gut. „Ich bin Informatiker und verstehe, wie das ungefähr funktioniert“,
       sagt er. „Man muss auch ein Gefühl dafür bekommen und trainieren.“
       
       Für einige Patienten sei jedoch gerade dieses Umschalten eine größere
       Herausforderung, erzählt Merkur Alimusaj, Leiter der Technischen Orthopädie
       am Universitätsklinikum Heidelberg. „Wenn Patienten verstehen und lernen,
       mit der Prothese umzugehen, dann hat sie einen hohen Nutzen im Alltag.
       Lässt man sie mit der Technik alleine, können sie damit nichts anfangen.“
       Schulung und Training sei daher wesentlich.
       
       Auch Alexander Kühnle nutzte eine Woche Ergotherapie, um sich mit seiner
       myoelektrischen Prothese vertraut zu machen. Wie schnell Patienten sicher
       mit den neuen Gliedmaßen umgehen können, ist ganz individuell. Wenn man die
       Grundtechniken beherrscht, geht es vor allem darum, sie im Alltag auch
       anzuwenden. Dabei gibt es mehr zu beachten, als man sich vielleicht
       zunächst vorstellt.
       
       Viele Situationen fallen einem Menschen mit zwei funktionierenden Armen
       nicht einmal auf. Dass man den Arm anwinkelt, wenn man in die Hocke geht,
       geschieht in der Regel ganz automatisch. Armprothesen-Träger müssen dagegen
       aktiv daran denken.
       
       ## Bewegungen brauchen mehr Aufmerksamkeit
       
       Ob das gut klappt, hängt auch damit zusammen, wie oft man die Prothese
       eigentlich nutzt. Für Alexander Kühnle ist es nur natürlich, fast den
       ganzen Tag mit seiner künstlichen Hand zu verbringen, besonders im Geschäft
       oder wenn er unterwegs ist. „Ich sehe es einfach als nützliches Werkzeug“,
       sagt er. „Es ersetzt nicht die echte Hand, aber es funktioniert gut.“
       
       Alexander Kühnle lebt bereits lange mit der Prothese und geht gelassen
       damit um. Für andere Patienten steckt jedoch manchmal mehr dahinter als ein
       reines Werkzeug. Schon ein Restaurantbesuch mit Freunden oder der Gang zum
       Einkaufen kann für die Patienten psychisch und physisch belastend sein. Die
       Prothese sorgt dafür, dass man nicht sofort auffällt, und erleichtert zudem
       je nach Modell bestimmte Handlungen.
       
       Außerdem hat die Prothese noch eine andere Funktion. „Wenn auf einer Seite
       zum Beispiel der Arm fehlt, fehlt das Gegengewicht“, so Merkur Alimusaj.
       „Bei Patienten sehen wir, dass über Jahre hinweg die Muskulatur abnimmt.“
       Gerade bei umfassenderen Amputationen könne sich dann die Wirbelsäule
       verbiegen. Prothesen sorgen für einen Ausgleich.
       
       Sowohl bei der Körperhaltung als auch bei bewussten und unbewussten
       Bewegungen spielt ein Sinn eine wichtige Rolle, der sich Propriozeption
       nennt: Das Spüren des eigenen Körpers, seine Position, seine Lage in der
       Umgebung, und die Haltung der Körperteile zueinander. Genau dieses Gefühl
       fehlt bei Prothesenhänden und -armen. Der Träger kann zwar die Prothese
       durch seine Muskelsignale bewegen. Er bekommt aber keine Rückmeldung, muss
       also hinsehen, um zu wissen, was er tut. Druck, die Beschaffung der
       Oberfläche, die Position der Finger, das alles spüren wir normalerweise
       instinktiv. Fehlen diese Informationen, braucht man für jede Bewegung
       deutlich mehr Aufmerksamkeit.
       
       ## Informationsweitergabe an Körper noch Zukunftsmusik
       
       Wissenschaftler und Ärzte bemühen sich, neue Methoden zu entwickeln.
       Alexander Kühnle findet die Forschung dazu spannend. Er würde sich vor
       allem darüber freuen, wenn man die Finger einzeln kontrollieren könnte.
       Aber er weiß, dass diese Technologien noch am Anfang stehen.
       
       Ein Ansatz zur genaueren Steuerung ist eine Operation, die sogenannte
       Targeted Muscle Reinnervation (TMR, gezielte Muskel-Reinnervation). Dabei
       werden Nerven im Arm, die früher zum Beispiel mit Muskeln in der jetzt
       fehlenden Hand verknüpft waren, auf noch existierende Muskeln übertragen.
       Diese sind wiederum mit Sensoren ausgestattet, welche die Prothesenmotoren
       steuern. So kann man sogar 5 voneinander unabhängige Signale bekommen. Das
       erfordert allerdings eine Menge Übung und Geduld. Immerhin, die Methode
       wird bereits in Kliniken bei vielen Patienten angewandt.
       
       Eine andere Möglichkeit kommt ohne Operation aus, die Pattern Recognition
       (Mustererkennung). „Bei jeder Art von Bewegung, die Sie oder ich
       vollführen, zeigt die Muskulatur ein sehr klassisches Muster“, erklärt
       Merkur Alimusaj. Diese Muster zu erkennen werde im Moment industriell
       vorangetrieben, doch die wenigen verfügbaren Produkte seien noch nicht
       zuverlässig. Bei der Pattern Recognition arbeiten die Prothesen mit
       mehreren Sensoren, bis zu 8 Stück können auf dem Arm verteilt werden. Nach
       einer Trainingszeit erkennt die Prothese die Muster, und der Patient kann
       Bewegungen intuitiver und feiner durchführen.
       
       Zukunftsmusik ist es dagegen, Informationen von der Prothese an den Körper
       zu geben. Im Labor gibt es dabei Fortschritte, bei denen Wissenschaftler
       zum Beispiel kleine Vibratoren nutzen, die dem Gehirn das Gespür für die
       Bewegung der Hand simulieren. Die Studien sind jedoch weit davon entfernt,
       im klinischen Alltag hilfreich zu sein.
       
       13 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.touchbionics.com/sites/default/files/files/i-limb%20ultra%20revolution%20clinician%20manual%2012%2023%2014_0.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefanie Uhrig
       
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