# taz.de -- Eishockey in Kanada: Kultur des Missbrauchs
       
       > In Kanada sorgen Offenbarungen des früheren Eishockeyprofis Daniel
       > Carcillo für Aufsehen. Er schildert entwürdigende Aufnahmerituale.
       
 (IMG) Bild: Hat sein Schweigen über die Schikanen in der Ontario Hockey League gebrochen: Daniel Carcillo
       
       Daniel Carcillo hat die Demütigungen und Erniedrigungen tief in sich
       vergraben. Gut 16 Jahre hat er nicht darüber gesprochen. Als sich dann vor
       Kurzem in Kanada sechs Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren wegen
       sexueller Misshandlungen von Gleichaltrigen verantworten mussten – ein
       Fall, der für viele Schlagzeilen sorgte –, hat sich der frühere
       Eishockeyprofi entschlossen zu reden.
       
       Es begann [1][mit mehreren Twitter-Posts] vor gut einer Woche, seither
       [2][erzählt er diversen Journalisten] von den Schikanen, denen er in seiner
       ersten Saison 2002/2003 bei den Sarnia Sting in der Ontario Hockey League,
       einer der drei Top-Juniorenligen im Land, ausgesetzt war. Ein Schicksal,
       das er mit allen Neulingen im Team, den sogenannten Rookies, teilte.
       
       Mit Carcillo ist das Thema der entwürdigenden Initiationsriten in Kanada
       prominent geworden. Der zweifache Stanley-Cup-Gewinner mit den Chicago
       Blackhawks zählte zu den ganz Harten einer harten Sportart. Weil er so
       rücksichtslos im Umgang mit seinen Gegnern und sich selbst war, bekam er
       den Spitznamen „car bomb“ verpasst.
       
       Seine Erfahrungen als Rookie, sagte Carcillo heute, hätten seinen Spielstil
       geprägt. Lange konnte er auf diese Weise nicht bestehen. Vor drei Jahren
       beendete der heute 33-Jährige seine Karriere und arbeitet seither für eine
       Stiftung, die sich um NHL-Profis kümmert, die mit den Folgen ihrer vielen
       Gehirnerschütterungen zu kämpfen haben: Angstzustände und Depressionen.
       Gehirnerschütterungen musste Carcillo einige einstecken. Von seiner Drogen-
       und Alkoholabhängigkeit während seiner Karriere hatte er zuvor auch bereits
       gesprochen.
       
       ## Kulturwandel seit 2005?
       
       Nun spricht man dank Carcillo in Kanada auch wieder über die erniedrigenden
       Aufnahmerituale im Sport. Der ehemalige Profi berichtete, wie er in Sarnia
       von seinen Teamkollegen regelmäßig mit dem abgesägten Schläger des
       Torhüters geschlagen wurde, wie ein Mitspieler nackt auf einen Tisch
       gebunden und mit einem Gürtel ausgepeitscht wurde, wie Carcillo mit einem
       halben Dutzend Mitspielern im Teambus nackt in die Badzelle gesperrt und
       von den Veteranen durch die Lüftung mit Kautabakspucke traktiert wurde. Die
       Trainer hätten von all dem oft gewusst und hätten sich mitunter sogar an
       den Schikanen beteiligt. Drei weitere Teamkollegen von Carcillo haben
       dessen Berichte von Misshandlungen bezeugt.
       
       David Branch, der Präsident der Canadian Hockey League, räumte ein: „Wir
       haben damals Dan und die anderen Spieler im Stich gelassen.“ Er verwies
       allerdings darauf, dass die Vorfälle schon lange zurückliegen und in den
       drei Juniorenligen seit 2005 ein Kulturwandel stattgefunden habe. In dem
       Jahr wurde ein Eishockeyteam der Ontario Hockey League, die Windsor
       Spitfires, mit einer Geldstrafe von 25.000 Dollar sanktioniert, weil unter
       anderem die Team-Neulinge nackt im Mannschaftsbus stehen mussten. „Die Liga
       hat seither eine Serie von Initiativen gestartet und pflegt eine
       Nulltoleranzpolitik gegenüber Schikanierungen“, betont Branch.
       
       Carcillo wiederum entgegnet: „Es gibt noch viel mehr Arbeit und es ist die
       Zeit gekommen, das nun anzugehen.“ Aus Sicht des Ex-Profis ist dies ein
       Kampf gegen eine fest verankerte Kultur: „Es mag keiner, wenn du zuviel
       redest in der Eishockey-Gemeinde und zu viele Fragen stellst. Sie wollen,
       dass du wie ein guter Soldat funktionierst und das machst, was sie sagen.“
       
       Auch Professor Jay Johnson von der Universität Manitoba, der an einer
       gerade erschienen Studie über Schikanierungen im Uni-Sport mitgearbeitet
       hat, mag die Entwicklung der letzten Jahre nicht zu positiv bewerten: „Ich
       denke nicht, dass sich die Situation wirklich verbessert hat. Die
       Misshandlungen finden nur mehr im Verborgenen statt.“ Ein interessantes
       Ergebnis der Studie ist, dass gerade in männerdominierten Sportarten wie
       Eishockey und Rugby auch in Frauenteams die Zahl der Misshandlungen in den
       vergangenen Jahren steigt.
       
       ## Die Geschichten gibt es überall
       
       Auch in Europa hört man zuletzt vermehrt von systematischen Schikanierungen
       im Sport. Vor etwa einem Jahr berichtete der ehemalige Profi des Hamburger
       SV, Paul Scharner, von brutalen Erniedrigungsritualen bei Austria Wien. Als
       Jungprofi sei er im Jahre 2001 mit schwarzer Schuhcreme eingeschmiert und
       mit Badeschlappen auf den entblößten Hintern geschlagen worden. Dazu seien
       ihm die Haare abrasiert worden. Er erklärte: „Es hat mich brutal geprägt.
       Menschliche Beziehungen konnte ich im Fußballumfeld nur mehr schwer
       aufbauen.“
       
       Von dieser Form der Misshandlung, dem sogenannten Pastern, berichteten auch
       ehemalige Schüler von österreichischen Skigymnasien. Vereinzelt ereignen
       sich Geschichten dieser Art auch in Deutschland. Man wird sehen, was die
       Offenbarungen von Carcillo in Kanada und möglicherweise auch andernorts
       noch alles ans Licht befördern.
       
       4 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/CarBombBoom13/status/1066383576386670593
 (DIR) [2] https://twitter.com/jchidleyhill/status/1067173296477745154
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
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