# taz.de -- Romandebüt von Mayo Thompson: Enver Harmoni sucht die Statuette
       
       > Mayo Thompson, Künstler und Begründer der US-Artschool-Band The Red
       > Krayola, veröffentlicht einen Provenienz-Kunst-Thriller.
       
 (IMG) Bild: Kunst, ohne Weiteres: Mayo Thompson
       
       Der Riese Antaios, Sohn von Poseidon (Meer) und Gaia (Erde), tyrannisiert
       die Gegend, fordert jedermann zum Ringkampf auf, gewinnt alle und tötet und
       frisst seine Feinde. Herkules/Herakles muss auch mit ihm ringen, droht
       ebenfalls unterzugehen, bis er versteht, dass das Monster direkt aus der
       Erde, nämlich von seiner Mutter Energie bezieht.
       
       Also hebt er ihn hoch und erwürgt den sofort Erschlafften. Irgendwie
       lustig, dass sich der aktuelle deutsche Rechtsradikalismus mit dem tumben,
       menschenfressenden Muttersöhnchen identifiziert – doch darum soll es nicht
       gehen. Mayo Thompson, den man in der nicht immer nur brillanten Sprache der
       versunkenen Publikationssorte „Musikzeitschrift“ das „Mastermind“ der seit
       über 50 Jahren bestehenden psychedelischen „Conceptual-Art-Rock-Band“ The
       Red Krayola genannt hätte, hat einen Roman geschrieben. Oder eine Novelle?
       
       Dieser mythische Ringkampf zwischen dem modernen Halbgott Herakles und dem
       archaischen Riesentrottel Antaios ist ein beliebtes Motiv der Renaissance.
       Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entsteht unter anderem eine Statuette von
       Antonio Pollaiuolo, dem Meister des „nackten Körpers in Aktion“, wie es ein
       Kunsthistoriker in der vorliegenden Novelle formuliert. Die beiden Männer
       scheinen etwas aneinander zu empfinden, es könnte Lust sein. Sind es
       überhaupt beides Cis-Männer, was lesen wir auf ihren Gesichtern, in den
       angespannten Muskeln?
       
       ## Knappe Dialoge
       
       „Art, Mystery“ beginnt wie ein hard boiled Kriminalroman der 1930er oder
       1940er Jahre. Knappe Dialoge.
       
       Lakonischer Witz.
       
       Neue Zeile.
       
       Sehr knappe, sehr lakonische Antwort.
       
       Es geht um die Statuette. Mayo Thompson hat zwar einen enormen Korpus an
       Texten verfasst, meistens aber Lyrics für seine Band The Red Krayola oder
       Essays für die früheren Jahrgänge der kunsttheoretischen Zeitschrift der
       Konzeptualistengruppe Art & Language; erzählende Prosa gab es von ihm
       bisher nicht – sieht man von „Gorki & Co“ ab, einer biografischen Skizze zu
       Kultur und Literatur der Sowjetunion, die 1986 in Werner Büttners und
       Albert Oehlens Meterverlag erschienen ist.
       
       Und wie in einem solchen Roman geht es um ein Objekt, dem alle möglichen
       Eigenschaften zugeschrieben werden. Wir wissen nicht, wie es an den Ort der
       Handlung gekommen ist, nämlich in die albanische Hauptstadt Tirana. Wir
       wissen nicht, ob es dort überhaupt ist. Die Promi-Lounge eines
       Fußballstadions, eine Kunstgalerie, ein Nachtclub.
       
       Das Motto des Romans lautet „Funny what people seem to want“ und, ja, das
       ist hier immer wieder ziemlich witzig. Natürlich fragt sich vor allem
       zweierlei: Warum wollen wir Kunstobjekte haben? Und was wollen die beiden
       Männer von einander, die der Meister des nackten Körpers in Aktion
       zueinander geführt hat?
       
       ## Historische Spur
       
       Wie der Malteser Falke, nach dem Dashiell Hammett seinen Detektiv Sam Spade
       suchen lässt, hat die Statuette eine historische Spur, sie ist hier gewesen
       in den Jahrhunderten, in denen Albanien nach kurzer Gegenwehr ans
       Osmanische Reich gefallen war und dann nach wechselvollen Jahren irgendwann
       zum Hort eines besonders humorlosen Ultrastalinismus wurde. Härter als der
       opportunistische kommunistische Rest.
       
       Doch anders als der Malteser Falke hat „Herkules und Antaios“ auch einen
       künstlerischen Wert. Und was heißt das? Leute mit lustigen Namen wie Pablo
       Pablon, Enver Harmoni oder Perlat Tile gehen der Frage nach. Und nebenbei
       erzählen sie sehr sophisticated Witze, die noch besser würden, wenn man sie
       ins Deutsche übersetzen könnte. Schade, aber toll, dass Hühnern und
       Fröschen in unterschiedlichen Sprachen unterschiedliche Onomatopeia
       zugeordnet sind. Quaack!
       
       Man geht in einen Nachtclub namens „Tiranasaurus Rex“. Dort spielt eine
       albanische, mithin skipetarische Girlgroup, The Skipit Club, und singt: „We
       believe in love / Yeah yeah yeah / We believe in hate / Yeah yeah yeah / We
       have reasons / Yeah yeah yeah / We can explain / Yeah yeah yeah / But we
       won’t“. Der Wert geheim gehaltener Dinge steigt nur dann, wenn man
       öffentlich erklärt, dass man sie geheim hält. Altes Prinzip nicht nur von
       Girl Groups, sondern auch von Religionsgründern und anderen Gurus.
       
       Vom Kunstbetrieb natürlich ganz zu schweigen. In Thompsons filmisch
       erzähltem Provenienzthriller bleibt es aber nicht bei ständiger
       Entschlüsselung und Verschlüsselung von historischem Material vor
       historischer Kulisse. Nach einer Zuspitzung und Auflösung folgt erst noch
       ein wissenschaftlicher Teil, in dem namhafte Kunsthistoriker zu Wort kommen
       – und dann ein Prequel, ein Prolog aus der Renaissance. Die volle
       gendertheoretische Brisanz dieser letzten kleinen Anekdote aus dem Leben
       der Künstler_innen werde ich hier aber nicht spoilern.
       
       13 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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