# taz.de -- Einigung bei EU-Austritt: Brexit-Deal vereint Briten gegen May
       
       > EU-Befürworter und -Gegner sehen die Einigung von London und Brüssel
       > kritisch. In Großbritanniens Politik liegen die Nerven blank.
       
 (IMG) Bild: Immer mehr Gegenwind: Brexit-Gegner in London
       
       LONDON/BERLIN taz | „Schmeißt den Deal weg“, steht auf dem Blatt Papier,
       das Will Podmore vor einem Bürogebäude der britischen Regierung in die Luft
       hält. Der 70-jährige Autor des Buches „Brexit: The Road to Freedom“ gehört
       zu den etwa 200 Pro-Brexit-Demonstrant*innen, die sich spontan nach einem
       Aufruf in den sozialen Medien dort versammelt haben, wo noch vor drei Tagen
       des Endes des Ersten Weltkrieges vor hundert Jahren gedacht wurde – um
       gegen die Brexit-Einigung zwischen Großbritannien und der EU zu
       protestieren.
       
       „Wir sind jetzt in einem Abkommen, aus dem wir, so heißt es, nur mit
       Erlaubnis des Europäischen Gerichtshofs wieder rauskommen“, will Podmore
       wissen. Die 48-jährige Unternehmerin Fiona England ist „sehr sauer“, wie
       sie sagt, „weil wir eine Premierministerin haben, die sich nicht für das
       einsetzt, wofür das Volk gestimmt hat“. Und eine ältere Frau, „alt genug,
       dass ich das Ende des Zweiten Weltkriegs miterlebt habe“, versteht ihre
       Anwesenheit als Teil eines Kampfes, Großbritannien vor dem „europäischen
       Größenwahn“ zu retten.
       
       Auf der Verkehrsinsel neben dem Zenotaph, dem Denkmal für die
       Weltkriegsgefallenen, haben sich inzwischen auch ein Dutzend EU-Anhänger
       versammelt. Vor ihnen stehen doppelt so viele Journalisten. Obwohl sie
       wenige sind, sind sie mit ihren großen EU-Fahnen und ihren „Stop
       Brexit“-Lautsprechern sehr sichtbar und vor allem laut. Die Hälfte von
       ihnen kam in Verkleidungen. Steve Bray, 49, aus Wales, sagt, dass er seit
       Wochen jeden Tag hier ist. Der Brexit wird scheitern, prophezeit er, „weil
       jede vorgeschlagene Form das Land schlechter dastehen lässt“.
       
       Der Grund der Aufregung: Die Unterhändler der EU und der britischen
       Regierung [1][haben sich auf den Entwurf eines Brexit-Vertrages geeinigt].
       [2][Das je nach Quelle 400 bis 600 Seiten lange Dokument liegt seit
       Dienstag vor]; öffentlich wird es, wenn das Kabinett es absegnet. Eine
       entsprechende Sitzung begann am Mittwochnachmittag. Zuvor hatte
       Premierministerin Theresa May ihre Minister zu Einzelgesprächen empfangen.
       
       ## Der „Backstop“ dominiert
       
       Solange der Text des „Deals“ geheim bleibt, ist die Öffentlichkeit auf
       Spekulationen angewiesen. Und die führen dazu, dass fast niemand zufrieden
       ist.
       
       Denn: damit an der zukünftigen EU-Außengrenze zwischen Nordirland und der
       Republik Irland nach dem Brexit keine „harte Grenze“ entsteht, bleibt
       Nordirland in der EU-Zollunion und im europäischen Binnenmarkt für Waren.
       
       Damit dann auch keine Kontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien
       stattfinden, bleibt auch Großbritannien insgesamt in einer Zollunion mit
       der EU und hält sich an EU-Binnenmarktregeln im Warenverkehr.
       
       Das bedeutet: Großbritannien, die globale Handelsnation, bleibt der
       EU-Außenhandelspolitik unterworfen – möglicherweise, das hängt vom genauen
       Wortlaut ab, auf unbestimmte Zeit und ohne eigene Austrittsmöglichkeit. Das
       ist der sogenannte „Backstop“, der eigentlich nur das Irland-Problem lösen
       sollte, jetzt aber alles dominiert. Britische EU-Gegner und EU-Befürworter
       lehnen das als Kontrollverlust ab.
       
       Theresa May versucht, diesen „Backstop“ als bittere Pille zu verkaufen, die
       man vielleicht gar nicht schlucken muss – nämlich dann nicht, wenn
       Großbritannien und die EU bis 2020 ein neues eigenes Freihandelsabkommen
       aushandeln. Bis Ende 2020 gilt ohnehin eine Übergangsfrist, in der alles so
       bleibt wie jetzt; das Austrittsabkommen behandelt die Zeit danach.
       
       ## „EU behält komplette Kontrolle“
       
       Doch ein neues Freihandelsabkommen dürfte viel länger auf sich warten
       lassen, und mehrere Journalisten berichten unter Berufung auf Brüsseler
       Quellen, dass die EU den Backstop nicht als Not- oder Übergangslösung
       sieht, sondern als den Rahmen für jedes zukünftige Abkommen.
       
       „Die Zollunion muss die Grundlage für die zukünftigen Beziehungen sein“,
       zitiert die Times Sabine Weyand, Stellvertreterin des
       EU-Brexit-Chefunterhändlers Michel Barnier: „Sie [die Briten] müssen ihre
       Regeln anpassen, aber die EU wird die komplette Kontrolle behalten.“
       
       Der Satz mit der „kompletten Kontrolle“ hat die Öffentlichkeit
       aufgeschreckt. Mays Deal sei „Irrsinn“, kommentierte die größte
       Boulevardzeitung The Sun – so hatte sie schon vor dem Brexit-Referendum
       2016 den damaligen Premierminister David Cameron demontiert. Aber auch
       Gegner eines „harten Brexit“ sehen May als Verliererin. „EU holt sich
       Kontrolle zurück“, schlagzeilte am Mittwochnachmittag über einer
       Fotomontage von May in der EU-Flagge die EU-freundliche Londoner
       Abendzeitung Evening Standard.
       
       Bei der parlamentarischen Fragestunde mit der Premierministerin am Mittag
       lagen die Nerven blank. Das Gejohle wurde so laut, dass Parlamentspräsident
       John Bercow den Abgeordneten Beruhigungsmittel empfahl.
       
       ## Mehrheit unwahrscheinlich
       
       Der konservative Abgeordnete Peter Bone fragte May, ob ihr klar sei, dass
       sie dabei sei, die Unterstützung vieler Parteikollegen und Millionen
       konservativer Wähler zu verlieren. Ex-Minister Kenneth Clarke, der älteste
       Abgeordnete des Unterhauses, formulierte: „Ich wünsche der
       Premierministerin alles Gute dabei, eine Mehrheit für irgendein Vorgehen im
       nationalen Interesse zu erhalten.“ Denn eine Parlamentsmehrheit für diesen
       „Deal“ sieht niemand. Die Opposition stimmt sowieso dagegen, bei den
       Konservativen sind Hardliner beider Flügel im Aufstand.
       
       Im Parlament deutete May einen Ausweg an. Das Kabinett, erläuterte sie,
       berate jetzt über einen „Entwurf“; das Parlament werde eingeschaltet, „wenn
       wir einen endgültigen Text haben“. Wenn May, eine Meisterin des Taktierens,
       die Brexit-Kabinettssitzung ohne einen Kollaps ihrer Regierung übersteht,
       aber die öffentliche Empörung über den Deal zu groß für die Einleitung des
       parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens bleibt, kann sie das als Mandat
       für Nachverhandlungen nach Brüssel tragen. Die endgültige Brexit-Einigung,
       so die Nachrichtenagentur Bloomberg, sei „in Sicht, aber nicht in
       Reichweite“.
       
       14 Nov 2018
       
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