# taz.de -- Kolumne „Heult doch!“: Kinder werden einfach zu schnell groß
       
       > Wenn der große Sohn mit neun erklärt, schon „halb volljährig“ zu sein.
       > Und der kleine Sohn immer schlauer wird: Eine Art vorgezogenes
       > Empty-Nest-Syndrom?
       
 (IMG) Bild: Um keine Schleichwerbung für Sternburger zu machen: es gibt noch ganz viele Sorten
       
       Neulich abends saß eine Gruppe Halbwüchsiger vor „meinem“ Supermarkt, zwei
       Mädchen und ein paar Jungs, alle vielleicht gerade so volljährig. Sie
       redeten ein bisschen zu laut und zu großspurig, wie man eben so redet mit
       16 oder 18. Und einer der Jungs kündigte schließlich lässig an, jetzt aber
       mal Bier holen zu gehen. Bier, dachte ich, gute Idee, machte eine
       gedankliche Notiz unter Bananen, Milch, Butter und noch was, vergaß darüber
       den Joghurt, den das kleine Kind zu Hause zum Abendbrot haben wollte, was
       später noch einen Heulkrampf zur Folge haben würde, weil er zwar Hunger!!!
       hatte, aber nur auf Joghurt!!!, und registrierte dabei aus dem Augenwinkel,
       wie die Geschichte mit den Jugendlichen weiterging.
       
       Zwei Kassenbänder entfernt von mir wuchtete der junge Mann also eine
       klappernde Kiste Sterni erst der Kassiererin vor die Nase, und dann, als
       ich gerade mein Fahrrad aufschloss, stellte er sie draußen vor seinen
       KumpanInnen ab. Die starrten mit heiligem Ernst auf diese Kiste und
       bekräftigten sich gegenseitig, dass sie diese jetzt austrinken würden. Ich
       fuhr nach Hause, die Jugend ging vermutlich frisch ans Werk.
       
       Ich fürchte, man muss das so machen, wenn man 16 oder 18 ist,
       wahrscheinlich gehört eine geteilte Kiste Sterni zum Erwachsenwerden dazu.
       Tatsächlich haben wir uns früher ja auch nicht intelligenter besoffen. Da,
       wo ich aufgewachsen bin, wohnten die meisten auf Bauernhöfen, man traf sich
       in der Scheune oder im zum Partykeller umgebauten Schweinestall und trank
       Apfelkorn.
       
       Mein großer Sohn ist jetzt neun und also schon „halb volljährig“, wie er
       mir neulich erklärte. Ich weiß ja nicht, ob ich an einer Art vorgezogenem
       Empty-Nest-Syndrom leide – das sind die Mütter (und Väter), die um ihre
       ausfliegende Brut weinen –, aber ich kann mich an der halben Volljährigkeit
       meines Kindes gerade wirklich nicht so richtig erfreuen. Ich will überhaupt
       nicht, dass der halbe Volljährige demnächst Sterni vorm Supermarkt trinkt
       und sich mit seinen Kumpels auf dem Nachhauseweg zum Rauchen versteckt. Ich
       finden den Gedanken, dass sich das mit Bio-Grieß gepäppelte Kind als
       Heranwachsender selbst vergiftet, irgendwie schwer zu akzeptieren.
       
       ## Wieder einen Schritt weiter
       
       Ich meine, da hatte man gerade noch ein gut riechendes kleines Baby auf dem
       Arm, und zack fallen diesem Kind die gerade gewachsenen Milchzähne auch
       schon wieder aus und man kann es auch nicht mehr als Alibi mit auf den
       Kinderbauernhof schleifen, wenn man selbst gerade Lust auf Stockbrot-Backen
       hat. Wer will sich schon von den Klassenkameraden mit seiner Mutter vorm
       Lagerfeuer erwischen lassen?
       
       Nun kann ich diese Einstellung meines Kindes grundsätzlich nachvollziehen.
       Gleichzeitig halte ich den Satz, den sich Eltern ständig augenrollend
       zuseufzen, wenn das Kind endlich die Bremse am Fahrrad entdeckt hat oder
       das Baby keinen Sand mehr isst: „Zum Glück wieder einen Schritt
       weitergekommen!“, ich halte diesen Satz für grundsätzlich halb gelogen.
       
       Ja, klar, irgendwie will man natürlich, dass es weitergeht. Sollten meine
       Kinder als Volljährige noch freiwillig bei mir wohnen wollen, würde ich mir
       Sorgen machen. Natürlich trauert man auch überhaupt nicht um das Fortkommen
       des eigenen Kindes als vielmehr um das eigene Älterwerden. Dafür muss man
       nicht mal Küchenpsychologie studiert haben, da ist der Mensch einfach
       leicht zu durchschauen. Und wenn man ein Kind hat, bekommt man den Lauf der
       Zeit ja besonders fett aufs Brot geschmiert. Wieso kann der Kleine
       eigentlich schon die Wochentage?, habe ich mich neulich gefragt.
       
       Ach ja, er ist ja schon vier! Manchmal denke ich, man müsste sich die Zeit,
       wenn die Kinder klein sind, irgendwie bewusster machen. Meistens endet das
       damit, dass ich das kleine Kind an meinem freien Freitag mal zu Hause lasse
       und mich darüber freue, mal nicht zur Kita hetzen zu müssen sondern ganz,
       ganz, ganz viel Zeit zum Kaufmannsladen-Spielen zu haben – bevor das Kind
       schließlich bald wieder „einen Schritt weiter ist“. Und so sitze ich auf
       dem Teppich und befolge die Anweisungen des ziemlich renitenten kleinen
       Verkäufers: „Wollen Sie einen Bon?“ – „Nein, danke.“ – „NEIN, Mama!! Wollen
       Sie einen BON!!“ – „Ja, okay, okay, einen Bon bitte.“ – „Gut!“
       
       Bewusst wird mir dabei vor allem Folgendes: Kaufmannsladen-Spielen mit
       einem Vierjährigen hat genau dann seinen sentimentalen Reiz, wenn man weiß,
       dass das Kind in zehn Minuten zur Kita muss. – Tschüss, mein Kind!
       
       28 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
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