# taz.de -- Pomologin über deutsche Äpfel: „Da bleibt der Wurm drin“
> Überall liegen und hängen sie derzeit in voller Pracht: Äpfel. Eine
> Apfelforscherin erklärt, was die einzelnen Sorten so besonders macht.
(IMG) Bild: Bloß nicht mit Birnen vergleichen
taz am wochenende: Frau Becker, was macht eine Pomologin?
Susanne Becker: Pomologen beschäftigen sich mit Apfelsorten in den
deutschen Anbauregionen. Sie setzen sich für den Erhalt der Sortenvielfalt
ein.
Das am meisten konsumierte Obst in Deutschland ist der Apfel. Was macht ihn
so besonders?
Er ist sehr praktisch: Er hat eine gute Portionsgröße, man kann ihn in die
Tasche stecken, er schmeckt gut, ist lagerbar und gibt viel Saft. Als es
noch keine flächendeckende Trinkwasserversorgung gab, wurde in einigen
Regionen Apfelwein zubereitet, um ein haltbares und hygienisches Getränk zu
erhalten.
Was macht den Apfel so gesund?
Viel Vitamin C und viele Ballaststoffe, die vor Darmkrebs schützen sollen.
Außerdem Polyphenole, die entzündungshemmend, krebspräventiv und gut fürs
Herzkreislaufsystem sind. In den USA kann man Apfelpolyphenole sogar als
Pille kaufen.
Gibt es besonders vitaminreiche Apfelsorten?
Ja, vor allem unter den alten Sorten wie beispielsweise den Freiherr von
Berlepsch aus dem Rheinland.
Wie viele Apfelsorten gibt es in Deutschland?
Über 2.000. Einige davon gibt es nur lokal, andere gelten als verschollen.
Da Apfelbäume über 100 Jahre alt werden können, kann die Zahl aber auch
höher liegen. Weltweit spricht man von 20.000 bis 30.000 Sorten. Pomologen
sprechen von einer Sorte, wenn sie mindestens drei erwachsene Bäume
vorfinden.
Entscheidet die Farbe der Äpfel über ihren Geschmack?
Nein. Auch wenn auf den Preisschildern im Supermarkt oft „Apfel
rot/grün/gelb“ steht.
Ist es schlimm, wenn im Apfel der Wurm drin ist?
Ja und nein. Der Apfel ist noch essbar, schmeckt aber oft eher muffig. Den
Apfel, der vom Baum gefallen ist, verlässt die Raupe und verpuppt sich in
der Erde. In einem gepflückten Apfel aber bleibt der Wurm drin.
Was hat es mit der Handelsklassenverordnung auf sich?
Handelsklasse I ist der makellose Apfel. Alle anderen Äpfel sind beinahe
konkurrenzunfähig. Schrumpelige, krumme Dinger möchte keiner kaufen.
Handelsklasse I erlaubt einen Schalenfehler von maximal einem
Quadratzentimeter und Schorfflecken von maximal einem Viertel
Quadratzentimeter. Alles, was drüber ist, ist Handelsklasse II, damit kaum
noch handelbar und kommt in die Apfelsaftpresse.
Warum werden Äpfel gespritzt?
Handelsäpfel werden gegen Schorf behandelt. Das ist eine Pilzkrankheit, die
kleine Risse, also abgestorbene, borkige Stellen auf dem Apfel bildet. Je
nach Saison sind dafür 15 bis 30 Spritzungen nötig.
Mit was wird gespritzt?
Mit chemischen Antipilzmitteln. Was uns laut Ernährungswissenschaftler aber
auf Dauer krank macht, ist nicht der ein oder andere gespritzte Apfel.
Jeden Tag Pizza und Pommes ist [1][sehr viel schädlicher].
Was ist mit Bioäpfeln?
Die unterscheiden sich von der Qualität und der Zusammensetzung der Sorten
nicht von den Handelssorten. Das Fungizid im Bio-Anbau ist das Kupfer. Die
Apfelbäume werden mit einer Kupferlösung eingenebelt. Gelangt das Kupfer in
den Boden, reichert es sich dort relativ schnell als Schwermetall an.
Gibt es Alternativen?
Ja, die alten Sorten. Viele der neuen Sorten sind gegenüber Schorf extrem
empfindlich. Alte Sorten sind wesentlich widerständiger. Plantagen, in
denen nur Bäume einer einzigen Sorten aneinandergereiht stehen, sind für so
einen Pilz ein Paradies, in dem er sich optimal ausbreiten kann. Auf
Streuobstwiesen, auf denen die Bäume weit auseinander stehen und wo viele
verschiedene alte Sorten kultiviert werden, haben nur wenige Äpfel Schorf.
Warum gibt es dann überhaupt neue Sorten?
Die Konsumenten und der Handel bevorzugen bei den Äpfeln bestimmte
Eigenschaften. Heute soll ein Apfel süß, saftig und knackig sein, für den
Handel muss er gut transportierbar und lange lagerbar sein. Die
Apfelanbauer wünschen sich einen langen Stiel, da diese Früchte besser zu
pflücken sind. Viele der alten Sorten erfüllen diese Merkmale nicht und
sind deshalb aus dem Handelssortiment gefallen.
Warum ist es so schwer, alte Sorten anzubauen?
Es ist schwer, Sorten zu verkaufen, deren Namen die Leute nicht kennen.
Viele der alten Sorten sehen einfach nicht schön aus und werden deswegen
nicht gekauft.
Warum sind die alten Sorten trotzdem wichtig?
Wegen der genetischen Vielfalt. Die Sorten, die man im Handel erwerben
kann, gehen auf nur drei bis vier Sorten zurück. Das hat eine starke
genetische Verarmung zur Folge und ist auch mit Blick auf den Klimawandel
wichtig: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die alten Sorten robuster sind
und eine höhere Überlebenschance haben.
Was ist der Vorteil einer Streuobstwiese?
Sie sind ein wertvolles Biotop mit sehr vielen verschiedenen Lebewesen. Die
Bäume auf so einer Wiese [2][müssen sehr robust sein], weil sie das ganze
Jahr dort stehen und nicht gespritzt oder gedüngt werden. Außerdem ist die
Streuobstwiese ein Kulturgut. Die Sorten auf solchen Wiesen sind teilweise
Jahrhunderte alt, haben interessante Geschichten und poetische Namen.
Wie kamen diese Namen überhaupt zustande?
Oft wurden die Äpfel nach ihren Entdeckern oder deren Verwandten oder aus
Marketinggründen nach Prominenten benannt. Kaiser Wilhelm zum Beispiel ist
ein sehr verbreiteter Apfel. 1864 hat ein Lehrer aus dem Bergischen Land
einen Baum gefunden, dessen Sorte niemand kannte. Die Einwilligung des
Kaisers als Namensgeber verhalf zur Verbreitung des Apfels.
Erst vor wenigen Jahren fand man durch genetische Analysen heraus, dass die
Sorte bereits entdeckt und nach einem Zuckerfabrikant benannt worden war:
Peter Broich. Außerdem wurden Äpfel nach ihren Eigenschaften benannt. Die
Goldparmäne heißt so, weil sie in der Sonne golden glänzt. Und die Renette
ist benannt nach dem französischen „reine“, also Königin, und beschreibt
einen besonders edlen Apfel.
Wie lassen sich neue von alten Apfelsorten unterscheiden?
Nur durch den Namen. Äpfel sind sich sehr ähnlich, es gibt nur wenige
Charaktereigenschaften, wie beispielsweise der lange Stiel, an dem man sie
unterscheiden kann. Auch als Pomologe ist das schwer. Ist ein Apfel ein
bisschen platt, nicht so groß und hat einen Knubbelstiel, gehört er
wahrscheinlich zu einer alten Sorte.
Wie entsteht eine Sorte überhaupt?
Eine Sorte entsteht aus einem Samenkorn. Jede dieser entstehenden Pflanzen
besitzt eine einmalige genetische Merkmalskombination. Theoretisch ist
jeder Apfelbaum, der aus einem weggeworfenen Apfelknirps an der Autobahn
entstanden ist, eine eigenständige Sorte. Aber nur ganz wenige Sämlinge
haben eine Merkmalskombination, die erhaltenswert ist. Die meisten sind zu
hässlich, zu klein oder schmecken nicht.
Aus dem Kern eines Boskop-Apfels entsteht also niemals ein neuer Boskop?
Genau. Um einen Boskop-Baum zu vervielfältigen, schneidet man von einem
bestehenden Boskop-Baum Zweige ab, sogenannte Edelreiser, die die
notwendigen Erbinformationen enthalten. Das Edelreis der Sorte Boskop wird
auf eine andere Apfelpflanze „aufgesetzt“, so dass beiden Teile verwachsen.
Daraus entsteht ein Apfelbaum, dessen Wurzeln aus der Unterlagenpflanze
bestehen, die Knospen aber aus dem Edelreiser, also Boskop-Früchte tragen
werden. Den Vorgang nennt man veredeln.
Was löst die Apfel-Allergie aus?
Der Stoff heißt Mal d1, bildet sich im Apfel und ist ein Abwehrstoff gegen
Infektionskrankheiten. Der eigentliche Auslöser der Allergien sind aber die
Birkenpollen. Weil der Körper die sich ähnelnden Allergene von Birken und
Äpfeln verwechselt, reagieren Allergiker meist auf beides. Wenn Äpfel aber
gekocht werden, zerfällt der Stoff.
Warum gelten alte Apfelsorten als antiallergen?
Weil bei ihnen das Allergen Mal d1 nicht so stark ausgebildet ist.
Ausgerechnet jene Sorten, die es nicht haben, zum Beispiel der Prinz
Albrecht von Preußen oder die Goldparmäne, findet man aber selten im
Handel. Der neue Apfel Golden Delicious hat relativ viel Mal d1. Da viele
handelsübliche Apfelsorten den Golden Delicious in ihrer Ahnenreihe haben,
hat sich auch das Allergen weit verbreitet.
Allergiker behaupten, der Apfel vom [3][Baum im Nachbarsgarten] könnten sie
besser vertragen als den aus dem Supermarkt. Ist da was dran?
Ja. Äpfel bilden das Mal d1 aus, wenn sie von Schädlingen angegriffen
werden, aber auch während der Lagerung. Je länger also ein Apfel lagert,
desto mehr Allergene bilden sich aus. Gerade in Supermärkten liegt das Obst
ja relativ lange im Regal.
Das Jahr 2018 wird als Apfeljahr gefeiert.
Einerseits, denn dieses Jahr hat der Apfel wegen der vielen Sonne gut
geblüht. Viele der Streuobstbäume sind zwischen 50 und 80 Jahre alt und
haben dadurch sehr tiefe Wurzeln, womit sie auch bei große Trockenheit aus
tiefster Schicht Wasser holen können. Wegen der Trockenheit sind allerdings
auch viele Äpfel runtergefallen und sehr klein geworden. Außerdem waren die
Äpfel vier Wochen früher reif als sonst und dadurch weniger lagerfähig.
Warum soll man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen?
Weil sie ganz anders sind. Verwandt sind sie ja schon, es sind beides
Rosengewächse. Aber die Birnen haben ganz andere Eigenschaften, eine ganz
eigene Geschmacksvielfalt und sind leider oft schlecht lagerfähig.
26 Oct 2018
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## AUTOREN
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