# taz.de -- Debatte Führungsstil der Kanzlerin: Ewige Merkel-Dämmerung
       
       > Wir werden mitnichten das schnelle Ende der Ära Merkel erleben. Aber wir
       > werden eine andere Kanzlerin und ein klareres Profil kennenlernen.
       
 (IMG) Bild: Nein, loslassen wird sie noch nicht
       
       „Machterosion“, „Vertrauensfrage“, „Anfang vom Ende der Ära Merkel“ –
       wenige Wochen vor dem CDU-Parteitag ist die ewige Merkel-Dämmerung wieder
       einmal in vollem Gange. Sogar Gegenkandidaten (Plural!) soll es dieses Mal
       geben, wenn die Kanzlerin im Dezember zur Wiederwahl als Parteivorsitzende
       antritt.
       
       Harte Worte fielen auch, als der Christdemokrat Ralph Brinkhaus jüngst
       [1][zum neuen Fraktionsvorsitzenden der Union gewählt wurde] statt des
       Merkel-Vertrauten Volker Kauder. Damit galt die Fraktion nach Ansicht so
       mancher Kritiker und Kommentatoren de facto als verloren. Merkels
       öffentliches Eingeständnis, [2][die Causa Maaßen falsch eingeschätzt zu
       haben], als kompletter Realitätsverlust; sie verstehe nicht mehr, was die
       Bevölkerung denke.
       
       Es scheint, als ob die Kanzlerin die Situation deutlich undramatischer
       sieht als ihre Gegner und zahlreiche Beobachter, als stünde die Regierung
       doch noch nicht am Abgrund. Haben wir uns zu sehr an den
       Machterhaltungsapparat der Union gewöhnt, um die Niederlage Kauders und das
       Antreten möglicher Gegenkandidaten um den Parteivorsitz als normalen
       demokratischen Vorgang zu bewerten?
       
       Merkel tut genau das. Im Gegensatz zu anderen, meist männlichen politischen
       „Verlierern“, dreht sie nicht beleidigt ab. Für sie bedeuten die Niederlage
       Kauders oder Gegenkandidaten nicht der Anfang vom Ende – im Gegenteil, sie
       wird nun für ihre Verhältnisse geradezu kämpferisch. Sie hat mehrfach
       deutlich gesagt, dass sie vorhat, Kanzlerschaft und Parteivorsitz bis zum
       Ende der Legislaturperiode zu behalten.
       
       ## Merkel bleibt dichter an ihrem Kurs
       
       Aber trotzdem hat sich einiges geändert: Angela Merkel scheint an einem
       Punkt ihrer Kanzlerschaft angekommen, an dem sie nicht mehr alles der
       nächsten Wiederwahl unterordnet, sondern an dem sie – befreit von diesem
       Druck – dichter bei ihrem Kurs bleibt.
       
       Lange Zeit galt es als Merkels Markenzeichen, dass sie ihre Standpunkte
       recht flexibel interpretiert und sie schnell wechselt. Doch die Zeit des
       „Merkelns“ ist vorbei. Das große Vertrauen, das sie über Jahre in der
       Bevölkerung und der Partei genoss, wird immer brüchiger. Daher reicht die
       extreme Personalisierungsstrategie, die die Kanzlerin im Laufe der Jahre
       perfektioniert hat, nicht mehr.
       
       Ein „Sie kennen mich“, mit dem sie früher um Wähler warb, reicht schon
       lange nicht mehr aus, um der Bevölkerung gegenüberzutreten und bei Wahlen
       zu gewinnen. Ohne diesen Vertrauensbonus ist Merkel nun darauf angewiesen,
       sich und ihre Vorhaben mehr und besser zu erklären als in früheren Zeiten.
       Dabei wird ihr Volker Kauder, der stets ihr Handeln in der Öffentlichkeit
       verteidigte, sicher fehlen.
       
       Merkel scheint allerdings erkannt zu haben, dass sich die Voraussetzungen
       ihrer Kanzlerschaft und auch ihres Parteivorsitzes geändert haben. Und zwar
       massiv. Sie kann ihre Macht nicht mehr allein über ihren Machtapparat und
       ihren Instinkt sichern.
       
       ## Mehr eigene Themen, mehr Inhalte
       
       Vielmehr wird sie darauf setzen (müssen), endlich ein klareres Profil zu
       entwickeln und selbst Inhalte und Themen zu setzen, die sie anschließend in
       der öffentlichen Debatte verteidigen muss. Dass sie die stärkere
       Polarisierung in der Debattenkultur verstanden hat, wurde bereits bei ihrem
       Auftritt bei der Jungen Union am vergangenen Wochenende deutlich.
       
       Ihren amorphen Führungsstil abzulegen und ein klareres Profil zu gewinnen,
       bedeutet auch, einer möglichen Koalition zwischen CDU und AfD – die der
       sächsische CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann explizit nicht
       ausschließt – eine unmissverständliche Absage zu erteilen. Merkels
       Eingeständnis, in der Causa Maaßen falsch gelegen zu haben, spricht
       ebenfalls für einen Stilwechsel.
       
       Die Entscheidung, Maaßen nicht zum Staatssekretär im Innenministerium zu
       machen, dürfte zwar sehr viel mehr Merkels Wunsch entsprechen, als der
       ursprüngliche Kompromiss. Dennoch gestand sie öffentlich eine
       Fehleinschätzung ein. Sie bezog öffentlich Haltung und zeigte damit mehr
       Angriffsfläche, aber auch mehr Profil als Regierungschefin.
       
       Einen Fehler einzugestehen, ist in der Politik durchaus ungewöhnlich. Für
       Merkel ist es besonders bemerkenswert. In ihrer langen Amtszeit hat sie
       jede Menge Kurswechsel initiiert, ohne sich zu rechtfertigen oder ihren
       Kritikern ein nennenswertes Ziel zu liefern. 2007 wurde sie noch zur
       „Klimakanzlerin“ ernannt, mittlerweile ist klar, [3][dass Deutschland seine
       Klimaziele nicht erreichen wird].
       
       ## Stärke zeigen
       
       Auch die Kehrtwende in der Atompolitik, die Euro-Krise oder die Ehe für
       alle konnten sie nicht aus der Reserve locken. Als große Verteidigerin
       ihres Kurses ist sie nicht hervorgetreten. Mithilfe ihrer politischen
       Autorität gelang es ihr, Debatten, Streit und Konflikte zu überstehen, ohne
       selbst als Streiterin auftreten zu müssen.
       
       Nun wird immer deutlicher, dass sie selbst stärker ihren Kurs verteidigen
       wird. Sie wird klarmachen müssen, warum sie, trotz der Erneuerungswünsche
       in der Union, die richtige Person ist, um die Partei die kommenden Jahre zu
       führen. Wir dürfen also gespannt sein auf die Rede, die sie beim
       CDU-Parteitag Anfang Dezember halten wird! Die von vielen geforderte
       Stabilität bedarf ihrer Stärke, und die wird sie zeigen müssen.
       
       Wir werden in der näheren Zukunft nicht das schnelle Ende der Ära Merkel
       erleben. Aber wir werden eine andere Merkel erleben. Eine Kanzlerin, die
       sich weniger auf ihren Apparat verlässt, sondern vermehrt über Inhalte und
       Standpunkte überzeugen muss. Sie wird klarer Position beziehen und sich
       häufiger rechtfertigen müssen.
       
       Mit diesem Stilwechsel hat Merkel die Chance, zu vermitteln und die tiefe
       Spaltung der Gesellschaft zumindest zu verkleinern. Noch kann sie es
       schaffen, das politische Spielfeld nicht völlig dem Klein-Klein einer
       zerstrittenen Koalition und populistischer Stimmungsmache zu überlassen.
       
       Der Kanzlerin bleibt nicht viel Zeit für ihre Metamorphose. Zu spät ist es
       aber (noch) nicht.
       
       14 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
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