# taz.de -- Politisches Buch „1941“: Das entscheidende Jahr
       
       > Slavko Goldstein untersucht in „1941“ die Ursachen des Nationalismus am
       > Balkan. Die Gräuel der Ustascha stießen selbst die Nazis ab.
       
 (IMG) Bild: Manche relativieren die Ustascha-Verbrechen immer noch: umstrittener Gedenkstein
       
       Das Ende seiner Kindheit kann Slavko Goldstein aus Karlovac genau datieren.
       Es war der 13. April 1941. Der 13-jährige Slavko ging mit Freunden aus dem
       Haus, um sich die akkurat geparkten Panzer der Deutschen anzusehen, und als
       er zum Mittagessen nach Hause kam, war sein Vater abgeholt worden. Er
       sollte ihn nie wiedersehen.
       
       Drei Tage vorher erst waren die deutschen Panzer durch die Kleinstadt
       gerollt und wurden von den Einwohnern freudig mit der flatternden
       kroatischen Trikolore begrüßt, weil die Deutschen ihnen „ganz ohne Krieg“
       einen eigenen Staat bescherten.
       
       Zwar konnte der junge Slavko die Begeisterung für die Deutschen nicht
       teilen, weil er als Jude das Unheil bereits ahnte, aber an diesem Tag
       schien die Sonne, die jungen deutschen Soldaten rauchten in ihren Panzern
       entspannt eine Zigarette und unterhielten sich darüber, wohin es wohl als
       nächstes ginge – Türkei, Russland, Persien?, als wäge man die Vorzüge der
       anstehenden Urlaubsreise ab –, sie sahen nicht bedrohlich aus inmitten der
       Volksfeststimmung und der Willkommensreden, die auf sie gehalten wurden.
       
       Am Tag, als Slavkos Vater verhaftet wurde, traf der Ustascha-Führer Dr.
       Ante Pavelić in Karlovac ein, der nationale Befreiungskampf der Kroaten,
       der ihnen durch den Einmarsch der Deutschen und den Zerfall des
       jugoslawischen Königreichs erspart wurde, begann mit einem Blutbad an den
       Serben, die auf dem neuen kroatischen Hoheitsgebiet lebten, an den
       bekannten Oppositionellen und auf Geheiß der Nazis auch an den Juden.
       
       ## Tausend Namen und Orte
       
       Slavko Goldstein hat mit seinem 2007 in Kroatien und nun auf deutsch
       erschienenen Buch „1941. Das Jahr, das nicht vergeht“ ein epochales Werk
       verfasst. Es ist die Erinnerung eines Beteiligten vor dem Hintergrund eines
       bis in Details äußerst sorgfältig recherchierten Geschichtsbuches, bei dem
       man trotz der tausend Namen und Orte, von denen man noch nie gehört hat,
       nie die Lust an der Lektüre verliert, jedenfalls wenn man begreifen will,
       wie es einer kleinen radikalen Minderheit von ein paar hundert
       Ustascha-Fanatikern, die aus dem italienischen Exil zurückgekehrt waren,
       gelingen konnte, innerhalb von nur wenigen Jahren mit der Ermordung von ca.
       300.000 Juden, Sinti und Roma und vor allem Serben Verheerungen
       anzurichten, die sich tief ins Gedächtnis der Bevölkerung einbrannten und
       Misstrauen, Hass und Neid hervorbrachten, eine Saat, die genau 50 Jahre
       später wieder aufging.
       
       Goldstein erzählt von Intrigen und Gewaltorgien, die selbst die Nazis
       abstoßend fanden, die als disziplinierte Mörder Wert auf Effizienz und
       einen reibungslosen Ablauf legten, er erzählt von der Unmöglichkeit,
       neutral zu bleiben, weil die Ustascha alles tat, die kroatische Bevölkerung
       in ihre Verbrechen zu verwickeln, sie im Zweifelsfall bei den Serben zu
       diskreditieren, aber er erzählt auch von Menschen, die nicht mitmachten und
       versuchten ganz praktisch zu helfen. Und diese wenigen Menschen waren es
       vielleicht auch, die Slavko Goldstein nicht an seinem Glauben an die
       Menschheit verzweifeln ließ.
       
       Er erlebt die Enteignung der elterlichen Wohnung, kann sich nur noch mit
       großer Vorsicht auf der Straße bewegen, geht schließlich mit seiner Mutter
       und seinem Bruder zu den Partisanen und erlebt nach dem Sieg über die
       Ustascha, wie die gleichen Bürger in Karlovac, die den Deutschen zugejubelt
       haben, nun die Partisanen hochleben lassen.
       
       Goldstein wird zu einem der bekanntesten Journalisten und Drehbuchautoren,
       der Entwicklung des Landes unter Tito steht er sehr kritisch gegenüber und
       überlegt eine Zeitlang, nach Israel auszuwandern. Aber er bleibt, gründet
       den Verlag Novi Liber, wird Präsident der Jüdischen Gemeinde und ruft die
       erste nichtkommunistische Partei ins Leben. Als Oppositioneller gerät er in
       den fünfziger Jahren ins Visier der Staatspolizei, die vor Verleumdungen
       nicht zurückschreckte, aber als Jude und ehemaliger Partisan konnte man ihn
       schlecht des kroatischen Nationalismus bezichtigen.
       
       ## „Stolz“ des kroatischen Volkes
       
       Goldsteins Buch trägt wesentlich zum Begreifen dessen bei, was sich zu
       Beginn der neunziger Jahre in Jugoslawien abspielte, als die kroatischen
       Unabhängigkeitsbestrebungen wieder einher gingen mit der Vertreibung
       serbisch besiedelter Gebiete, und ohne die Massaker auf serbischer Seite
       verharmlosen zu wollen, lässt sich die Verbitterung der serbischen Seite
       verstehen, der u. a. auf Betreiben von Fischer mit dem berühmten
       Auschwitz-Vergleich eine Art Alleinschuld in diesem Konflikt zugeschoben
       wurde als Legitimation des Nato-Einsatzes und der Bombardierung Belgrads,
       obwohl sie unter der Ustascha 1941 und auch im Bürgerkrieg 1991 weit mehr
       Verluste erleiden musste als die kroatische Bevölkerung unter den
       serbischen Freischärlern.
       
       Es ist zweifellos das Verdienst der kroatischen Nationalisten, dass die
       Debatten über die Frage der Schuld im Bürgerkrieg immer nationalistisch
       gefärbt sind. Goldstein hingegen hat sich in diesen Wirren und trotz der
       ungeheuerlichen Dinge, die er beschreibt, immer um ein gerechtes Urteil
       bemüht, der Zweifel ist für ihn „keine unverzeihliche Schwäche, sondern ein
       notwendiges Aufbäumen gegen verhängnisvolle Überzeugungen“.
       
       Diese Redlichkeit Goldsteins ist beeindruckend, vor allem wenn man mit der
       geringen Resonanz einer solchen Haltung konfrontiert wird, denn ihre
       Vergeblichkeit ist deprimierend in Zeiten, in denen die Nationalisten in
       Kroatien wieder Aufwind haben, nicht zuletzt auch durch den Erfolg bei der
       WM, wo auf Einladung von Luka Modrić der ultranationalistische Rockmusiker
       Marko Perkovic, der sich nach der Maschinenpistole Thompson nennt und
       dessen ustascha-faschistischen Liedtexte in mehreren europäischen Staaten
       verboten sind, mitfeierte und sogar in deutschen Medien vom „Stolz“ des
       kroatischen Volkes die Rede war.
       
       29 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Bittermann
       
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