# taz.de -- Die Wahrheit: Blabla bis Unterkante Oberlippe
       
       > Der Brexit interessiert inzwischen keine Sau des Universums mehr. Also
       > weg mit dem Thema aus den Medien! Es gibt vielleicht Wichtigeres!
       
 (IMG) Bild: Vom Weg abkommende Briten (Symbolbild)
       
       Im Stundentakt bombardieren Presseagenturen und Qualitätsmedien ihre Nutzer
       mit News über den Brexit, also den Austritt Großbritanniens aus der
       Europäischen Union – aber wem muss man das noch groß erklären? Eine neue
       Umfrage legt jetzt nahe, dass Medien künftig lieber auf sämtliche Meldungen
       zu diesem Reiz- und Ekelthema verzichten sollten, wenn sie ihren eigenen
       Untergang nicht beschleunigen möchten: 96 Prozent der Deutschen wollen vom
       Brexit einfach kein Wort mehr hören, sie sind not amused, das Thema ist für
       sie schlicht und ergreifend „durch“, es steht ihnen bis Unterkante
       Oberlippe.
       
       Damit ist der Brexit das mit Abstand unpopulärste Nachrichtenthema dieser
       Tage, was nicht nur die glorreiche britische Souveränitätsdemonstration in
       ein zweifelhaftes Licht rückt, sondern auch deren Behandlung durch die
       deutsche Medienbranche. Fächert man die Umfrageergebnisse auf, wird es noch
       erschreckender: Drei Viertel der Deutschen werden schon fucking bloody
       aggressive, wenn sie nur „Brexit“ lesen. Etwa genauso viele drohen mit
       generellem Nachrichtenkonsumboykott, wenn das Thema nicht bald von der
       Agenda fliegt. Und mehr als die Hälfte der Mitbürger bekommt vor lauter
       Überdruss langsam Lust auf briten- und medienfeindliche Pogrome.
       
       Diese radikale Stimmung in der Bevölkerung sollte niemanden überraschen.
       Das Blabla ist seit zwei Jahren immer dasselbe: Theresa May sagt dies,
       Boris Johnson sagt das, die EU-Unterhändler mahnen die Briten jetzt zum
       allerallervorletzten Mal, endlich einen hieb- und stichfesten Plan für
       Handelsbeziehungen und Personenfreizügigkeit vorzulegen; jene wollen aber
       erst mal ein paar eigene Forderungen ausdiskutieren und eines Tages
       vielleicht sogar zu Gehör bringen. So geht das Tag für Tag, man verdreht
       schon die Augen und greift unwillkürlich zum Molotowcocktail – stilecht
       kredenzt in einer Ginflasche.
       
       ## Breaking News
       
       Aber dann wieder: Breaking News! Irgendein abgehalfterter Popstar drückt
       seine Erschütterung oder Anteilnahme für oder wider das Vorhaben aus.
       Dieses freilich muss bis zum 29. März nächsten Jahres im Schweinsgalopp
       durchgezogen sein – die Zeit drängt also enorm, und das nun schon seit
       gefühlten Ewigkeiten. Gibt es denn irgendwelche Fortschritte in irgendeiner
       Hinsicht? Haha, natürlich Pustekuchen! Beziehungsweise: viel Lärm um
       überhaupt nichts.
       
       Mit dieser informativen Bankrotterklärung erfüllen Meldungen über den
       Brexit nicht einmal mehr im Ansatz jene Kriterien, die Nachrichten
       aufweisen sollten. Sie betreffen niemanden, geben keine Orientierung, haben
       keinen Neuigkeitswert, sind mithin kotzlangweilig und vernichten wertvolle
       Lebenszeit. Nicht grundlos schwillt der Ruf nach ruchloser Rache dafür in
       allen Bevölkerungsschichten an.
       
       Inzwischen sind bereits die entlegensten Nebenaspekte des unerquicklichen
       Unsinns so gründlich durchgekaut, dass man längst speien und wild um sich
       schlagen muss, wenn man nur entfernt davon läuten hört. Der Status
       Nordirlands ist noch ungeklärt? Warum denn nicht! Die irisch-nordirische
       Grenze wird dann aber doch zur EU-Außengrenze? Eine lächerliche
       Provinzposse! Der harte Brexit ohne jede Sonderzollvereinbarung würde die
       Wirtschaft Großbritanniens zusammenkrachen lassen? Scheißt der Hund drauf!
       
       ## Inzest mit der Insel
       
       Es spricht ganz und gar für sich, dass die vier Prozent der Deutschen, die
       sich noch einen klitzekleinen Rest an Interesse für den Brexit erhalten
       haben, entweder in der schweinösen Finanzbranche arbeiten, in stupiden
       Britpopbands spielen oder adelige Verwandtschaft auf „der Insel“ haben.
       Irgend etwas abgrundtief Inzestuöses steckt dahinter, das der ergrimmte
       Normalbürger zu 96 Prozent nicht verstehen will und auch gar nicht
       verstehen kann.
       
       Übrigens nur mal zum Vergleich: Bei den nächstplatzierten der höchst
       unpopulären Nachrichten handelt es sich der Studie zufolge um Horst
       Seehofers geplante Twitter-Aktivitäten (57 Prozent wollen davon absolut
       nichts wissen) und das bevorstehende Stadtfest in Recklinghausen (52
       Prozent totales Desinteresse).
       
       Das Fazit der Umfrage kann also nur lauten: Ehe sich der Unmut der
       Bevölkerung in fürchterlichen Gewaltexzessen gegen britische Bürger und
       deutsche Medienmitarbeiter niederschlägt, sollten die Verantwortlichen
       schleunigst ihren Korrespondenten in London kündigen und in ihren Häusern
       ein umfassendes Moratorium für Brexit-Nachrichten verhängen. Ansonsten kann
       für nichts mehr garantiert werden.
       
       11 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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