# taz.de -- Geld wirbelt durch die Luft
       
       > Gipsabgüsse einer Airbnb-Wohnung, getanzte Grüße aus Taipeh, Ekel und
       > Intimität: die Ausstellung zum Berlin Art Prize
       
 (IMG) Bild: Installationsansicht mit Arbeiten von Ana Alenso und Nina Kurtela
       
       Von Julia Gwendolyn Schneider
       
       „Kommt, tanzt und trinkt“, lautete der persönlich Aufruf zur
       Eröffnungsparty der fünften Ausgabe des Berlin Art Prize, den die
       Co-Direktorin Sophie Jung per E-Mail aussprach. Erstmalig ist der
       unabhängige Kunstpreis durch den Hauptstadtkulturfonds gefördert und
       ermöglichte Künstlerhonorare, trotzdem ist er ein unterfinanziertes
       Projekt, das auf den Getränkekonsum angewiesen ist. Seit seiner Gründung
       2012 geht es dem Preis darum, eine Alternative zum Kunstbetrieb der
       Galerien zu schaffen, institutionell unabhängig zu agieren und durch ein
       offenes, anonymes Bewerbungsverfahren die künstlerische Position zum
       Entscheidungsfaktor zu machen.
       
       650 in Berlin lebende Künstler reichten diesmal ihre Portfolios ein. 18
       Ateliers wurden besucht, neun Kandidaten durch eine Jury nominiert. Zur
       Jury gehören die Kuratorin Pauline Doutreluingne, die Kritikerin und
       Kuratorin Övül Ö. Durmușoğlu, der Theoretiker und Kritiker Philipp Ekardt,
       die Künstlerin und Musikerin Michaela Melián und der Künstler Johannes Paul
       Raether.
       
       Was ist dieses Jahr zu sehen? Bei Nina Kurtela wird das Tanzen zum Zuhause
       in einer flexibilisierten Welt. Ein Jahr lang sendeten sich die Künstlerin
       und eine Tanzpartnerin täglich eine getanzte Sequenz von dort aus zu, wo
       sie sich gerade befanden. Das Archiv des persönlichen Austauschs reicht von
       L.A. bis nach Taipeh und kartografiert den haltlosen Alltag des globalen
       Künstlerdaseins.
       
       Alanna Lynch untersucht die Ästhetik von Angst und Ekel mit einem Fokus auf
       den eigenen Körper, lebende Organismen und biologische Materialien. In der
       Serie „Für die Männer & die Anderen“ zeigt Markues Aquarelle in leuchtenden
       Farben mit verschwommenen Schriftzügen. In der Verflüssigung der
       aufgemalten Slogans – etwa Zitate aus Liedern der Gegenkultur – steckt die
       Message: eine Betonung von Uneindeutigkeit, Offenheit und Leichtigkeit.
       Doireann O’Malley zeigt eine Filminstallation, die sich mit komplexen
       psychotherapeutischen Rollenspielen gegen die limitierte
       Männlich-Weiblich-Kategorisierung wendet und Virtualität und Realität ins
       Schwanken bringt.
       
       Monika Grabuschnigg fragt mit skurrilen Keramikskulpturen, was in einer
       emotional prekären Kultur, geprägt durch Narzissmus, Selbstoptimierung,
       Gamophobie und Angststörungen, von Liebe und Intimität übrig bleibt.
       
       Nina Wiesnagrotzki beschäftigt sich mit dem ersten seismischen Messgerät.
       Ein Video erzählt, dass es bis heute nicht gelungen ist, das etwa 100 n.
       Chr. in China konstruierte Gerät nachzubauen. Die funktionalen Einheiten
       des Instruments sollen die Kröte und der Drache gebildet haben,
       mythologische Wesen, die die chinesische Philosophie von Yin und Yang
       verkörpern. Trotz der fabelhaften Beschreibung gelingt die Rekonstruktion
       nicht.
       
       Arthur Deberts „Empty Forms“ suchen nach kulturellen Momenten, die entleert
       sind. Der Künstler fotografiert seine Fundstücke und überträgt sie auf
       großformatige Banner. Zu sehen ist etwa ein blaues Billboard, das in China
       in einer Steppenlandschaft steht. Was auf der Plakattafel einst als
       Information klebte, flattert nun in Fetzen im Wind. In Ana Alensos
       Installation herrscht eine dystopische Stimmung, wertlos gewordenes Geld
       aus Venezuela wird wie in einer Lotto-Maschine in die Luft gewirbelt und
       aus einer wackelig aufgestellten Öltonne riecht es nach Öl, während aus dem
       Inneren die Geräuschkulisse der Rohstoffbörse in Chicago erklingt.
       
       Bei Lorenzo Sandoval steht die Ausbeutung der Welt durch Algorithmen im
       Vordergrund. Zur Veranschaulichung der meist unsichtbaren Macht zeigt
       Sandoval als Kommentar auf die Mustererkennung von Algorithmen ein Pendant
       von Menschenhand. Er hat Gipsabzügen von Objekten aus einer Airbnb-Wohnung
       gemacht, eine der Plattformen, die mit ihren Algorithmen dazu beiträgt,
       dass die Ökonomisierung des sozialen Raums massiv voranschreitet.
       
       Die Auswahl ist spannend und in der schönen Halle von The Shelf in der
       ehemaligen Garage von Robben&Wientjes gut präsentiert. Dennoch bleibt es
       ein Stück weit fragwürdig, ob sich der Preis wirklich an der
       Zwischennutzung eines Standortes beteiligen sollte, für den klar ist, das
       aus dem Off-Space bald ein wirtschaftlicher Zukunftsort wird, der mit einer
       Mischung für Unternehmen, Künstler und Start-ups wirbt.
       
       Jedoch gibt es im Rahmenprogramm ein experimentelles Panel zum
       sozioökonomischen Komplex von Gentrifizierung in Kreuzberg. Der
       Performance-Künstler Marco Schmitt möchte von Betroffenen und
       Verantwortlichen mithilfe eines Coachings erfahren, welche (moralischen)
       Handlungsspielräume möglich sind, wenn der urbane Raum von Preisdruck und
       Knappheit eingeholt wird.
       
       The Shelf, „Berlin Art Prize“, Prinzenstraße 34, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 28.
       September (Preisverleihung um Mitternacht)
       
       4 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Gwendolyn Schneider
       
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