# taz.de -- Obdachloigkeit in Berlin: Zelte abbrechen und zurück
       
       > Ein Pilotprojekt möchte 20 polnische Obdachlose in Berlin zur Rückkehr
       > bewegen. Wissenschaftler sind allerdings skeptisch.
       
 (IMG) Bild: Zelte unter der Oberbaumbrücke
       
       Das Programm heißt „Rückkehr“. Zwei Streetworker der Stiftung für
       gegenseitige Hilfe Barka mit Sitz im westpolnischen Posen sollen ab diesem
       Samstag bis Dezember 2018 rund 20 polnische Obdachlose in Berlin zur
       Rückkehr nach Hause bewegen. Auf den ersten Blick klingt das Angebot
       verlockend: Arbeit auf den Barka-eigenen Bauernhöfen, ein Zuhause,
       regelmäßiges Essen und am Ende vollständige Reintegration in die polnische
       Gesellschaft. Doch viele Obdachlose vor der Berliner Stadtmission am
       Bahnhof Zoo schütteln den Kopf. „Nach Polen zurück? Da müssten Sie mich
       schon deportieren!“, antwortet einer auf die Frage der seit zwei Jahren in
       Berlin lebenden polnischen Journalistin Ewa Wanat.
       
       Polens Regierung geht von rund 2.000 polnischen Obdachlosen in Berlin aus.
       Sozialverbände wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
       sprechen von rund 8.000 Obdachlosen in der Hauptstadt. Die Journalistin Ewa
       Wanat schätzt, dass rund die Hälfte der Obdachlosen Polen sind. Doch genaue
       Zahlen gibt es nicht.
       
       Eigentlich hatte die Stiftung Barka, die seit Jahren auch in
       Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und anderen europäischen Ländern
       aktiv ist, sechs Streetworker – jeweils einen ehemaligen Obdachlosen und
       einen professionellen Sozialarbeiter – auf Tour schicken wollen und dafür
       600.000 Złoty (rund 150.000 Euro) beantragt. Doch Polens Senat bewilligte
       lediglich 150.000 Złoty (rund 37.500 Euro) für das Pilotprojekt. Bei Erfolg
       soll die Folgefinanzierung auf die Stadt Berlin übergehen. Sie könnte dann
       das Zweierteam auch auf sechs oder zehn aufstocken.
       
       Der Barka-Kostenplan, den der polnische Senat akzeptiert hat, beinhaltet
       Gelder für die monatliche Büromiete, die Gehälter der beiden Streetworker
       sowie die Rückfahrkarten plus Kost und Logis für die 20 Obdachlosen bis
       Dezember. Die übrigen Kosten für den von Barka organisierten Alkohol- und
       Drogenentzug, für Therapien und die gesellschaftliche Wiedereingliederung
       zahlen dann polnische Gemeinden, Städte und der Staat.
       
       Bisherigen Projektberichten zufolge konnte die Barka-Familienstiftung der
       beiden Psychologen Barbara und Tomasz Sadowski einige Obdachlose mit ihrem
       Programm zur Rückkehr bewegen. Rund 10 bis 20 Prozent der von Barka
       betreuten polnischen Obdachlosen in Großbritannien, Irland, den
       Niederlanden, Island und anderen EU-Ländern kehren nach Polen zurück. Das
       Auslandsprogramm leitet Tochter Ewa Sadowska. Sie ist auch für das Programm
       in Berlin verantwortlich.
       
       Allerdings kritisieren die beiden Professorinnen Izabela Czerniejewska aus
       Posen und Elżbieta M. Goździak aus Washington, dass es kaum Untersuchungen
       dazu gebe, ob die Rückkehrer tatsächlich wieder gesellschaftlichen
       Anschluss in Polen fänden. Nach einer intensiven Befragung von zwölf
       Rückkehrern aus Großbritannien und deren Barka-Betreuern kamen sie in einer
       2016 publizierten Studie zu einem eher skeptischen Ergebnis.
       
       Die zwölf Männer hatten die Hilfe der Stiftung in Anspruch genommen und
       waren im Dorf Chudobczyce bei Posen in einem Barka-Heim untergekommen. Da
       dieses aber nicht ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen war,
       erschwerte dies eine Arbeitsaufnahme außerhalb des Dorfs und des
       Barka-Zentrums. Insgesamt war die Bewegungsfreiheit der Männer und der
       Kontakt zur polnischen Gesellschaft allein schon durch die Abgelegenheit
       des Heims stark eingeschränkt. Am meisten vermissten die Rückkehrer jedoch
       die versprochene Hilfe bei der Arbeitssuche in ihren erlernten Berufen. Bis
       auf eine Ausnahme kündigten alle an, nach der Winterpause Polen erneut
       verlassen zu wollen.
       
       Anderthalb Jahre später, als die Forscherinnen die Barka-Stiftung erneut
       kontaktierten, lebten von den zwölf „Rückkehrern“ nur noch zwei in
       Chudobczyce – ein Mann mit Behinderung mit einer Sozialrente und ein
       sogenannter „Leader“, der als Ex-Obdachloser mit einem professionellen
       Streetworker auf Tour ging, um anderen obdachlosen Polen zu helfen. Ein
       Gehalt erhielt er dafür nicht, lediglich Kost und Logis im Barka-Zentrum
       und ein Taschengeld.
       
       Die angebotene Hilfe, so die Forscherinnen im Fazit ihrer Studie „Erfolg
       oder Misserfolg. Über Polen, die ‚vom Leben auf der Straße‘ in
       Großbritannien zurückkehrten“, sei zwar gut gemeint, stigmatisiere die
       Ex-Obdachlosen aber ihrem eigenen Empfinden nach als „Verlierer“. Auch das
       Leben in einer Barka-Gemeinschaft von lauter „Verlierern“ sei nicht das,
       was sich die Rückkehrer unter einer „Reintegration in die polnische
       Gesellschaft“ vorgestellt hatten. Besser scheint das Hilfsprogramm bei in
       Polen lebenden Obdachlosen anzukommen. Eigenen Angaben zufolge betreut die
       Stiftung mehrere Tausend von insgesamt über 33.000 Obdachlosen in Polen.
       
       In Berlin will die Stiftung, die sich ihren Statuten zufolge der
       katholischen Soziallehre verpflichtet fühlt, mit der Caritas und der
       Stadtmission zusammenarbeiten. Zwar hatte Dariusz Pawłoś, der
       Pressesprecher der polnischen Botschaft in Berlin, im Juni angekündigt,
       dass Barka auch mit den Berliner Streetworkern von Gangway und Klik
       zusammenarbeiten werde, doch schien es sich hier um ein Missverständnis zu
       handeln. Juri Schaffranek von Gangway wunderte sich, dass Barka ihn noch
       nicht kontaktiert hatte, erklärte im Juni gegenüber der taz aber auch, dass
       er gewisse Bedenken gegenüber der Arbeitsweise der Stiftung hege: „Barka
       hat nach unseren Erfahrungen einen eher paternalistischen Ansatz. Sie
       wissen, was gut ist für die Leute.“ Wenn die Barka-Streetworker nicht
       bereit seien, mit den Betroffenen einen individuellen Hilfeplan
       auszuarbeiten, so wie dies Gangway normalerweise tue, werde es mit der
       Zusammenarbeit schwierig werden.
       
       Botschaftssprecher Pawłoś jedenfalls versprach seinen obdachlosen
       Landsleuten in Berlin: „Wenn Sie sich zur Rückkehr entschließen, werden wir
       Sie nicht hängen lassen.“ Noch aber legten weder Senat noch Regierung in
       Warschau ein neues Arbeitsvermittlungs- und Sozialprogramm für die
       „Rückkehrer“ auf.
       
       31 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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