# taz.de -- Nach dem Machtwechsel in Sierra Leone: Minister auf Motorradtaxis
       
       > Eine bessere Arbeitsmoral und kostenlose Bildung für alle: Wie Sierras
       > Leones neuer Präsident Julius Maada Bio das Land umkrempelt.
       
 (IMG) Bild: Neuer Präsident, neuer Mobilfunkiosk: Straße in Freetown
       
       Freetown taz | Aufbruchstimmung ist das Motto im bitterarmen
       westafrikanischen Sierra Leone seit dem Machtwechsel. Bei den Wahlen im
       März bereitete die Sierra Leone People’s Party (SLPP) unter Julius Maada
       Bio zehn Jahren Herrschaft des All People’s Congress von Ernest Koroma ein
       überraschendes Ende.
       
       100 Tage später stellten sich Minister der neuen Regierung in Freetown der
       Presse für eine Bilanz der „neuen Richtung“, wie der offizielle politische
       Jargon lautet.
       
       Die Minister versprühen Optimismus und Zuversicht. „Trotz der von unseren
       Vorgängern geschaffenen Krise konnten wir zum ersten Mal seit Jahren alle
       Beamte und Regierungsangestellte pünktlich bezahlen“, verkündet
       Vizepräsident Mohammed Jalloh stolz in Abwesenheit des Präsidenten. „Ohne
       Aufnahme eines Kredits.“
       
       Dahinter steckten Sanierungsmaßnahmen, sagt Finanzminister Jacob Saffa –
       unkonventionell in einem schwarz-weiß karierten Jackett und Hut gekleidet.
       Nicht essentielle Dienstreisen habe man unterbunden, ebenso die Bezahlung
       von Brennstoff, Telefon und Internet auf Staatskosten, „mit Ausnahme der
       allerwichtigsten Regierungsmitglieder.“
       
       Alle Steuerbefreiungen, welche die vorherige Regierung großzügig verteilt
       habe, wurden per Dekret beendet. Nun müssten beispielsweise die staatlichen
       Telekommunikationsbehörden 17,3 Millionen US-Dollar nachzahlen.
       
       ## Staatsfinanzen sanieren
       
       Im Regierungsalltag herrscht ein frischer Wind. „Da Ministerkonferenzen nun
       um Punkt acht Uhr morgens beginnen, sitzen einige Minister verzweifelt auf
       Motorradtaxis, um pünktlich zu kommen“, berichtet eine Ministerin. Die
       verschiedenen parallelen Staatskassen werden zusammengeführt, Behörden
       verkleinert, Angestellte über 60 Jahre pensioniert.
       
       Staatliche Verträge müssen in der Landeswährung statt in US-Dollar
       festgelegt sein, so sie den Wert von 60 Millionen Leones (umgerechnet 6.642
       Euro) übersteigen, und ein Ausschreibungsverfahren überstehen.
       
       Der Sinn von all dem ist die Rückgewinnung von Vertrauen. Die neue
       Regierung möchte durch verschärfte Einhaltung von externen und eigenen
       Richtlinien wieder an internationale Gelder kommen. Sierra Leone ist im In-
       und Ausland hoch verschuldet, das Hauptexportprodukt Eisenerz bringt
       aufgrund stark gesunkener Weltmarktpreise weniger ein als einst erhofft.
       
       ## Kostenlose Bildung, ein altes Versprechen
       
       Der Sanierungskurs ist kein Selbstzweck. Was Bio und seinem Team wichtig
       ist, und was SLPP den Wahlsieg brachte, war etwas, das es an und für sich
       in Sierra Leone schon lange gibt, aber durch korrupte Schulleitungen und
       Lehrer kaum irgendwo tatsächlich existiert: kostenfreie Schulbildung für
       alle.
       
       21 Prozent des Staatshaushalts fließen nun in die Bildung. Kinder erhalten
       ab September 2018 nicht nur den Unterricht umsonst, sondern auch Bücher,
       Essen und Transport. Lehrergehälter werden erhöht.
       
       Zu den vielen Maßnahmen gehört auch das Weiterführen eines sozialen Jahres
       für Jugendliche und ein nationaler kollektiver „Säuberungstag“ am ersten
       Samstag jeden Monats, so wie in Ruanda. Die Regierung will auch die
       Bevölkerung zu mehr Selbstversorgung animieren, beispielsweise im Anbau des
       Grundnahrungsmittels Reis. „Es gibt keine Entschuldigung für den Kauf von
       fremdem Reis“, sagt Vizepräsident Jalloh.
       
       Schon einmal hoffte Sierra Leone auf Aufschwung, nach dem blutigen
       Bürgerkrieg 1999–2002. Doch die doppelte Auswirkung der Ebola-Epidemie und
       des gefallenen Eisenerzpreises zusammen mit Korruption – inzwischen ist
       bekannt, dass 30 Prozent der Ebola-Gelder verschwanden – führten das Land
       in die Stagnation. Das kostete die alte Regierung das Amt.
       
       Die neue will alles anders machen. Spätestens wenn die ersten Schulkinder
       im September ihr Schuljahr beginnen und der Reis geerntet wird, wird sich
       zeigen, ob es funktioniert.
       
       23 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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