# taz.de -- Kolumne Jung und Dumm: Hochkonjunktur für Scheißereden
       
       > Seehofer ist ganz schlimm, die AfD hat ein Recht auf O-Töne und niemand
       > kennt die wahre Marktdynamik der Elektromärkte.
       
 (IMG) Bild: Bundeskanzlerin Merkel beim verregneten „Tag der kleinen Forscher“ in Berlin am 21. Juni
       
       Das Phänomen des Scheißeredens hat wieder Hochkonjunktur, war aber nie
       eigentlich weg. Ich bekenne mich indirekt schuldig und behaupte: In meiner
       Generation ist es am stärksten verbreitet, erfolgt jedenfalls am wenigsten
       verschämt.
       
       Kein Wunder: Junge Leute müssen heute das Selbstbewusstsein eines kaputten
       Sumo-Ringers ausstrahlen, den selbst die Ahnung seines unmittelbar
       bevorstehenden Herztodes kaltlässt. Eine Gesellschaft verräumlicht ihre
       Verkommenheit und ihre sensibelsten Mitglieder wundern sich noch, wenn sie
       sich von Redemüll begraben finden. Ganz schön ekelhaft, das alles.
       
       Zu den erfreulicheren, weil immerhin lehrreichen Ausstößen der gerade
       untergehenden, ersten überhaupt so richtig jugendlich gewesenen Generation
       (dies vermutlich, weil sie, darin ebenfalls Avantgarde, durchgängig nicht
       mehr durch elterliche Schläge härtend abgedichtet wurde) gehört die Rubrik
       „Unnützes Wissen“ in der gerade versunkenen Zeitschrift Neon.
       
       Darin erfuhr man zum Beispiel, dass Kabeljaue mit dem Alter fruchtbarer
       werden oder der Penis eines Blauwals zweieinhalb Meter lang ist. Wenn
       unsere Bildungskarriere nicht genau aus der Verinnerlichung solcherlei,
       wiewohl meist ins Lebensweltlich-Menschelnde gewandelten Unrats bestünde –
       und deshalb vermutlich ein unabhängiges, nicht mit der geballten
       Rotorenkraft allumfassender Institutionen gesegnetes Beregnungsmedium
       obsolet werden lässt –, könnte man ihm sogar jene erfrischende und ja auch
       programmatische, von Nützlichkeitserwägungen ferne Erstarrtheit
       attestieren, die ein Moment der Befreiung besäße. Seltsamerweise erkennt
       man sowas immer erst dann, wenn es zu spät ist.
       
       ## Merkel muss dem Affen keinen Zucker geben
       
       Was wir, im Gegensatz zu Euch, unnützerweise auch wissen, ist, dass die
       Konkurrenz zwischen den beiden größten deutschen Elektromärkten, „Media
       Markt“ und „Saturn“, nur zum Schein erfolgt; in Wahrheit gehören sie zu ein
       und demselben Konzern.
       
       Genauso übrigens wie CDU und CSU. In der überschäumenden
       Politinformiertheit erstaunlich vieler Generationsgenossen (immerhin ist
       WM, da schaut man automatisch öfter mal die „Tagesschau“) und sogar richtig
       erwachsener Medienmedien, irgendwo muss das Scheißereden ja herkommen,
       findet dieser Fakt erstaunlich wenig Beachtung. Ich weiß nicht, wie viele
       Linke ich in den letzten Tagen gehört oder gelesen habe, die Horst Seehofer
       für einen hundsgemeinen Hitler halten, der jetzt einfach bitte einmal Ruhe
       geben, die Schaufel weglegen und aufhören soll.
       
       Dass die Bundeskanzlerin immer noch Angela Merkel heißt, dass sie sich seit
       zweieinhalb Jahren, verlässlich wie ein empörungsökonomisches Uhrwerk,
       stetig weiter nach rechts bewegt und inzwischen vermutlich sogar Selfies
       mit Wutbürgern machen würde, wird erst dann zaghaft zur Kenntnis genommen,
       wenn sie Geflüchtete in fiktionalisierte [1][Außenzustände] einsperren
       lassen will.
       
       Merkel muss dem Affen keinen Zucker geben, genauso wenig wie die
       Bürgerkinder in den Zeit-, Stern-, Spiegel- oder taz-[2][Redaktionen]; sie
       könnte, ganz im Gegenteil, offensiv für eine Politik einstehen, die die
       Menschen im Mittelmeer rettet, statt sie zu kriminalisieren.
       
       ## Feiger Juso-Chef
       
       Solange sie sich aber von den eigenen Fraktionskollegen und einer
       gesellschaftlichen Paranoia treiben lässt, um immer wieder klein
       beizugeben, und so die verfügbare Debattenenergie auf die vermeintlich
       alternativlose Alternative zwischen „rechts“ und „sehr rechts“ lenkt, ist
       Merkel, ist die SPD, ist der [3][feige] Juso-Chef und sind alle, die auf
       ihr Spiel hereinfallen, kein Stück besser als die Nazis aus Bayern und
       sonst wo.
       
       Apropos Nazis: Es ist ja jetzt nicht so, als ob es keine schlagkräftige
       Opposition gäbe, die mit frechen Interventionen eine Art dritten Weg bahnen
       würde und die humane, aber eben auch realistische Kanzlerin öffentlich
       bedrängen und befragen würde. Nur sitzt die halt (weiter) rechts. Klar,
       jetzt gibt es mal ein paar Seebrücken-Demonstrationen hier und kritische
       Grüne da (wobei es inzwischen schon eine Nachricht zu sein scheint, wenn
       bayrische Grüne eine Koalition mit der CSU [4][ausschließen].
       
       Wie selbstverständlich aber bekommt die AfD jeden Abend ihre Quotenminute,
       gefühlt sind es fünf, und darf ihren Senf abgeben zur Flüchtlingspolitik
       der Bundesregierung, zu ihrem Parteitag, zu ihren Umfragewerten, zu sich
       selbst. Und dann wundert man sich noch.
       
       Das finden vermutlich jene am besten, die sonst voller Schaum vor dem Mund
       gegen (natürlich „linke“) Identitätspolitik wettern und meinen, jetzt sei
       aber mal gut und man könne nicht jede Minderheit repräsentieren, wo käme
       man da hin, wer käme denn da noch. Aber die Nazis! Sie haben es ja nicht
       leicht, werden immer gleich verurteilt… und warum soll man sie dann nicht
       anhören, von ihnen lernen, warum soll man sie nicht diskursiv zur Strecke
       bringen, also mit dem Taxi in die „Tagesschau“, nichts leichter als das?
       
       Ich warte auf den Tag, an dem es Transgender-Toiletten gibt, aber eben für
       Nazis.
       
       14 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Asylrechtsverschaerfung-von-CDU-und-CSU/!5518837
 (DIR) [2] /Identitaere-Linke-und-rechte-Hegemonie/!5516407
 (DIR) [3] https://twitter.com/KuehniKev/status/1014981547231936512
 (DIR) [4] https://www.br.de/nachrichten/bayerische-gruene-schliessen-koalition-mit-csu-derzeit-aus100.html
       
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