# taz.de -- Hämmern mit dem Thinnam
       
       > Die erste Einzelausstellung der indischen Künstlerin Prabhavathi Meppayil
       > in der Galerie Esther Schipper heißt „b/seven eighths“. Doch die
       > Minimalistin ist keine Unbekannte: Schon 2013 gelang ihr der Durchbruch
       > in Venedig
       
 (IMG) Bild: Ausstellungsansicht von Prabhavathi Meppayils „b/seven eighths“
       
       Von Julia Gwendolyn Schneider
       
       Als Kind war es für Prabhavathi Meppayil ein großer Augenblick, wenn ihr
       Vater, ein Goldschmied, sie und ihre Schwester herbeirief, um ihm bei der
       Arbeit zu helfen. Sie durften dann mit dem Thinnam, einem traditionellen
       Werkzeug, mit dem filigrane Muster in Goldarmbänder geprägt werden, einen
       sanften Abdruck erzeugen. Wenn es um solch eine feine Vertiefung ging,
       hielt der Vater das Werkzeug für die Einkerbung bereit und ließ seine
       Töchter mit einem Hämmerchen sanft darauf schlagen. Oft sei der Schlag
       danebengegangen, erinnert sich Meppayil, aber der Vater beschwerte sich
       nicht, er habe seine Töchter glücklich machen wollen und gewusst, wie
       aufregend sie es fanden, ihm zu helfen.
       
       Heute nutzt die 1965 in Bagalore geborene Künstlerin diese Technik für ihre
       minimale, abstrakte Kunst. In langsamer, meditativer Handarbeit stempelt
       sie mit viel Konzentration weiße Gesso-Paneelen mit dem Thinnam. Die
       kleinen dicht aneinandergesetzten Einkerbungen überziehen die weiße
       Oberfläche mit einem repetitiven Muster, das sich gitterförmig ausbreitet.
       Von Weitem betrachtet heben sich die weißen Platten kaum von der Wand ab.
       Nur wenn man dicht genug an sie herantritt, sind die Kerben zu sehen – und
       es lässt sich erkennen, dass sie unterschiedlich tief sind. Die Handarbeit
       wird sichtbar. Je nach Kraft und Winkel, mit dem die Metallspitze des
       Thinnam auf die Oberfläche des Kalkes trifft, variieren die Tiefe der
       Spuren und Abdrücke auf den Platten.
       
       Wenn Meppayil aus dem Repertoire des Goldschmiedhandwerks schöpft,
       geschieht dies durch Abstraktion. Auf eine intuitive und konzeptuelle Art
       setzt sich die Künstlerin mit Materialien und Objekten aus ihrer
       unmittelbaren Umgebung auseinander. Sie kommt eben aus einer Familie mit
       Goldschmiedetradition, und ihr Studio liegt in einer Gegend in Bangalore,
       wo dieses Handwerk noch immer ausgeübt wird.
       
       Meppayil benutzt nicht nur traditionelle Arbeitsgeräte; in ihrer ersten
       Einzelausstellung bei Esther Schipper werden diese Geräte selbst Teil eines
       Kunstwerks. Die Künstlerin hat eine Wandskulptur aus ausrangierten
       Stahlobjekten erdacht – Werkzeuge von Goldschmieden, die durch die
       Industrialisierung obsolet wurden. Die würfelförmigen Gegenstände zur
       Schmuckherstellung, mit denen früher Markierungen erzeugt wurden, bilden
       nun selbst eine Art Markierung. Sie stecken auf der Wand ein Raster aus
       Würfeln mit Löchern ab. Das so erzeugte Gittermuster ist streng geordnet
       und wirkt durch die verschiedenen Würfeloberflächen gleichzeitig organisch.
       
       Für Meppayil liegt der spannende Moment darin, mit Materialien zu arbeiten,
       die eine Tradition, eine Geschichte und einen Kontext besitzen, zugleich
       aber als minimale, abstrakte Objekte wahrnehmbar sind. Die Künstlerin mag
       es, Dinge zu erzeugen, die sich nicht klar zuordnen lassen. Trotz der
       simplen Formensprache geht es Meppayil nicht um einen Purismus der Form.
       Ohne die Komplexität verschiedener aufeinandertreffender Aspekte wäre eine
       minimale Herangehensweise ihr zu langweilig.
       
       ## Unerwartete Wendung
       
       Der Aspekt des Zufalls, den Meppayil gern in ihre Werke einbaut, wird in
       den Arbeiten aus Gesso-Paneelen mit eingebetteten Kupferdrähten besonders
       deutlich. Dazu werden glatt gezogene Drähte horizontal über eine Holzplatte
       gespannt und mit dem Grundierungsmittel Gesso beschichtet. Im nächsten
       Schritt legt die Künstlerin die Drähte mit Sandpapier wieder etwas frei.
       
       Was am Ende sichtbar würde, seien sehr subtile Linien, die eine Art
       Versteckspiel spielen, sagt sie: Es gebe Linien, die direkt zum Vorschein
       kämen, andere nur teilweise oder auch gar nicht. Das Schmirgeln fühle sich
       wie blindes Zeichnen an. In dem Moment wo der Draht erscheint, müsse man
       anhalten, sonst könne der Draht kaputtgehen. „Das Material übernimmt die
       Führung,“ sagt Meppayil – und dass sie das als angenehm empfinde.
       
       Dass Meppayil jetzt bei Esther Schipper ausstellt (zuvor wurde sie von der
       Johnen Galerie vertreten, und auch die Pace Gallery in London und die
       Galleryske in Banagalore und Neu-Delhi arbeiten mit ihr zusammen), war eine
       unerwartete Wendung in der Karriere der Künstlerin, die auf ihre Teilnahme
       an Massimiliano Gionis Venedig Biennale 2013 folgte. Im Arsenale wurden
       damals drei von Meppayils Gesso-Paneelen gezeigt. Die Künstlerin dachte,
       dass ihre Arbeiten neben den monumentalen Werken anderer Künstler verloren
       gehen würden. Doch dann zählte der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh sie zu
       den wichtigsten Entdeckungen, und plötzlich klopften renommierte Galerien
       der globalen Kunstwelt bei ihr an.
       
       Meppayil, die auch vor der Biennale in internationalen Ausstellungen
       vertreten war, sieht das mit gemischten Gefühlen: Es gehe ihr nicht darum,
       einfach Werke zu produzieren – der persönliche, meditative Prozess, in dem
       ihre Kunst entstehe, dürfe nicht abhandenkommen.
       
       Bis 11. August, Esther Schipper, Potsdamer Str. 81e
       
       23 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Gwendolyn Schneider
       
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