# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Das Handy, eine verlockende Kammer
       
       > Handys versetzen die Leute permanent in eine andere Welt. Das ist das
       > Gefährliche. Am liebsten würde ich ihnen ihr Handy aus der Hand reißen.
       
 (IMG) Bild: Überall lenkt es einen ab: das Smartphone.
       
       Hamburg taz | Gestern im Regionalzug saß mir ein junger Mann gegenüber, der
       in immer kürzeren Abständen die Nase hochzog. „Junge, nimm doch mal ein
       Taschentuch“, sagte schließlich sein Nachbar, und da schrak er hoch. Er war
       sehr mit seinem Handy beschäftigt und hatte es einfach nicht bemerkt. Er
       war so woanders gewesen, dass ihm seine eigenen körperlichen Umstände nicht
       mehr ins Bewusstsein gedrungen waren. Dieses Nichthiersein, sogar fern des
       eigenen Körpers, das ist das Gefährliche am Handy, das die Leute permanent
       in eine andere Welt als die, in der sie sich mit ihrem Körpern befinden,
       versetzt.
       
       Wenn ich die U-Bahn-Treppe hinaufgehe, und die Menschen vor mir werden
       langsamer und langsamer, weil es auf ihrem Handy so wichtig geworden ist,
       und sie verschwinden auf dieser U-Bahn-Treppe in ihr Handy, dann werde ich
       sehr böse, weil ich auch noch da bin, und dann würde ich ihnen das mistige
       Handy am liebsten aus der Hand reißen und die Treppe runterwerfen. Ich
       schreie stumm: Ich bin ein Mensch, ich bin in echt hier, hinter dir, auf
       dieser Treppe. Auf mich musst du achten, weil du mit mir hier auf dieser
       Treppe bist. Aber diese Menschen merken es nicht. Sie sind nicht hier. Nur
       ihre Körper, aber die funktionieren nicht mehr richtig.
       
       Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schwimmmeister sagte in der
       Neuen Osnabrücker Zeitung, es würden immer mehr Kinder im Schwimmbad
       ertrinken, weil die Eltern auf das Handy starrten. Weil die Eltern auf das
       Handy starren! Ich würde sagen, die meisten Eltern möchten nicht, dass ihr
       Kind ertrinkt. Sie möchten ihr Kind vor allem beschützen. Sie fahren es zur
       Schule, richten Kindergeburtstage aus, und begleiten es ins Schwimmbad. Die
       meisten Eltern sind sehr umsichtig und fürsorglich, mehr vielleicht als die
       Generation meiner Eltern, deren Erziehung darauf beruhte, die Kinder
       abzuhärten und selbstständig zu machen. Aber dann sind diese fürsorglichen
       Eltern gezwungen, auf ihr Handy zu starren, und dann passiert das, was auch
       mit dem Jungen in der Bahn passiert ist. Sie merken einfach nicht, dass
       ihnen die Nase läuft.
       
       Ihr Kind liegt unter Wasser, und sie merken es nicht, sie nehmen es nicht
       wahr. Wenn sie es wüssten, natürlich, dann würden diese Eltern alles für
       ihr Kind tun. Aber sie sind eigentlich unschuldig, denn sie merken es ja
       gar nicht. Sie sind nicht hier. Sie sind im Handy. Das ist so eine Art
       verlockende Kammer, an deren Eingang die meisten Fähigkeiten abgegeben
       werden müssen. Das Sehen zum Beispiel. Das Hören, das Denken, das Fühlen.
       Natürlich können sie all das noch, aber nur innerhalb der Kammer, nicht
       außerhalb, in der Welt, in der ihr Körper und ihr Leben schutzlos
       zurückbleiben. Das Kind ertrinkt in dieser Welt, die Nase läuft, das Gehen
       auf einer Treppe wird schwierig.
       
       Im Kino, wo man ja, in gewisser Weise, auch in eine andere Welt eintaucht,
       wo extra das Licht ausgemacht wird, damit wir uns vollkommen einem
       künstlerischen Werk hingeben können, da schalten diese Leute ihre eigenen
       Lichter wieder an, ihre Handys – im Kino! –, um sich dieses Erlebnis zu
       zerstören. Sie können nicht mehr wirklich an einem einzigen Ort sein, hier.
       Weder im Freibad bei ihrem Kind noch im Zug, noch im Kino. Sie sind nie da,
       wo sie gerade sind, oder nur mit einem Teil ihrer Sinne und Fähigkeiten,
       sie haben Angst, etwas zu verpassen, und verlieren dabei alles.
       
       Ich habe ein Handy, mit dem man nur telefonieren kann, und ich lasse es oft
       zu Hause. Es ist schön, in einem Restaurant nur mit dem Freund zu reden,
       der einem gegenüber sitzt, am Meer zu liegen, ohne ein einziges Foto machen
       zu müssen, im Freibad mit dem Kind zu spielen, und nur mit dem Kind. Das
       ist schön für das Kind, den Freund und den eigenen Kopf. Es ist,
       möglicherweise, sogar ein besseres Leben?
       
       25 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
       ## TAGS
       
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