# taz.de -- Nachwuchs mit Downsyndrom: Die seltenen Kinder
       
       > Immer weniger Kinder werden mit Trisomie 21 geboren – wohl eine Folge der
       > Frühdiagnostik. Manche entscheiden sich trotzdem für das Kind.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsam glücklich: Nicole Preuss und ihr achtjähriger Sohn Dario
       
       BERLIN taz | Vielleicht war es der Vater des Kindes, vielleicht waren es
       die Tante und die Cousine, die den Ausschlag gaben. Der Vater des Kindes,
       schon in der Schwangerschaft nicht mehr mit Nicole Preuss zusammen,
       sicherte ihr zu, er trage „alles mit“, ganz gleich, wie sie entscheide. Da
       hatte Preuss durch eine Fruchtwasseruntersuchung gerade erfahren, dass sie
       einen Sohn bekommen würde. Und dass er das Downsyndrom hätte. Sie war in
       der 14. Schwangerschaftswoche.
       
       „Es war ein großer Schock“, erzählt die 40-jährige Marburgerin, „Ich habe
       geweint. Ich war wütend und traurig.“ Der Arzt ging davon aus, dass sie
       abtreiben lassen wolle. Ihre Mutter enthielt sich. Aber da waren noch die
       Tante und die Cousine. Als Preuss sie direkt fragte: „Wäre mein Sohn denn
       für euch willkommen, wenn er auf die Welt käme?“, da antwortete die Tante:
       „Ja, natürlich.“ Die Cousine sagte: „Ja, klar.“ „Dieses ‚Ja‘ war so wichtig
       für mich“, schildert Preuss.
       
       Innerhalb einer Woche fällte sie damals ihre Entscheidung: Ihr Sohn wird
       das Licht der Welt erblicken. Das war vor fast neun Jahren. „Heute ist
       Dario das Glück meines Lebens“, sagt die Alleinerziehende über ihren
       temperamentvollen Sohn mit dem weichen Gesicht – ein fröhlicher Junge, der
       immer genau spürt, wenn die Menschen um ihn herum traurig sind. „Mein Leben
       wäre leerer und langweiliger ohne ihn“, meint sie.
       
       Eltern wie Preuss sind gewissermaßen das Gegenstück zu einer umstrittenen
       Entwicklung: In Deutschland werden immer weniger Kinder mit Downsyndrom,
       der Trisomie 21, lebend geboren. „Wir beobachten auch in den
       Kindertagesstätten, dass es immer weniger Kinder mit Downsyndrom gibt“,
       sagt Jeanne Nicklas-Faust, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung
       Lebenshilfe, „wir gehen davon aus, dass dies auf die vorgeburtliche
       Diagnostik zurückzuführen ist.“ Eine Statistik dazu gibt es nicht.
       
       ## Keine Statistiken
       
       Schwangere lassen im Ultraschall die Nackenfalten des Ungeborenen messen
       oder ihr Blut untersuchen, um Chromosomenanomalien festzustellen. Vermuten
       Ärzte eine Trisomie 21, werden weitere Tests gemacht und bei einem
       positiven Ergebnis wird dann in den meisten Fällen abgetrieben. Bundesweite
       Statistiken dazu existieren nicht, aber bezogen auf eine Studie an der
       Charité und ein Gesundheitsregister in Sachsen-Anhalt gehen Experten von
       Abbruchraten zwischen 68 und 90 Prozent aus bei Feten mit diagnostiziertem
       Downsyndrom. Das aber bedeutet auch, dass es eine Minderheit von Frauen
       gibt, die eine Schwangerschaft mit dieser Diagnose nicht beenden lassen.
       Welche Umstände helfen, damit das Kind zur Welt kommt?
       
       „Die Rahmenbedingungen spielen eine große Rolle“, sagt Christine Schirmer.
       Die 50-jährige Sozialarbeiterin lebt in Potsdam mit Mann und zwei Kindern.
       Der jüngere Sohn, Daniel, 12 Jahre alt, hat das Downsyndrom. „Er hat oft
       erfrischend anarchistische Züge“, sagt Schirmer, „irgendwie ist das
       befreiend und bereichernd, auch wenn es natürlich manchmal ganz schön
       anstrengend ist.“
       
       Daniel liebt es, mit seinem Bruder auf dem Trampolin zu hüpfen und
       Seifenblasen in die Luft zu pusten. Kaum ist der Koffer für den Urlaub nach
       Polen gepackt, fängt Daniel an, ihn wieder auszupacken. Für ihn ist die
       Familie schon am Urlaubsziel angekommen. Da braucht man gar keine lange
       Anreise durchzustehen.
       
       Schirmer hatte während der Schwangerschaft durch die
       Fruchtwasseruntersuchung erfahren, dass sie einen Sohn mit Downsyndrom
       erwartete. Damals lebte sie mit ihrem Mann in einer Wohngemeinschaft in
       Berlin. Natürlich war die Diagnose ein Schock. Dann begannen die
       Diskussionen. Für ihren Mann, mit dem sie damals noch nicht verheiratet
       war, war es „von vorneherein klar, dass es egal ist, welche Ausstattung das
       Kind hat“, erzählt Schirmer, „er wollte keinen Abbruch. Auch ich bin der
       Meinung, dass jeder Mensch doch um seiner selbst willen geliebt werden will
       und nicht wegen bestimmter Eigenschaften.“ Die Wohngemeinschaft
       unterstützte sie, ihren Weg zu finden. Sie entschied sich, das Kind
       auszutragen.
       
       ## Macht der Väter
       
       „Mein Eindruck ist: Wenn die Väter dafür sind, dann kommt das Kind auf die
       Welt“, sagt Heike Meyer-Rotsch, Familientherapeutin in Weiterbildung und
       Vorsitzende des Vereins downsyndromberlin. „Wenn der Mann das nicht
       mitträgt, entscheidet die Frau eher für den Abbruch“, so Meyer-Rotsch, die
       Schwangere berät und selbst einen Sohn mit Trisomie 21 hat.
       
       Auch der Vater von Dario, obwohl damals schon von Nicole Preuss getrennt,
       sagte ihr Unterstützung zu. Er lebt heute in den USA und ist anderweitig
       verheiratet, kommt seinen Sohn aber zweimal im Jahr besuchen und skypt
       regelmäßig mit ihm. Dann steht Dario in seinem Ritterkostüm vor dem
       Bildschirm und zückt sein Schwert. Der Vater hat sich ebenfalls verkleidet,
       auch er schwingt vor der Kamera sein Spielzeugschwert. „Dann kämpfen die
       beiden und haben einen Riesenspaß“, erzählt Preuss.
       
       Ob ein Ungeborenes mit diagnostiziertem Downsyndrom eine Chance hat, zur
       Welt zu kommen, hängt auch „von den inneren Bildern ab, die die Eltern der
       Kinder von Menschen mit Beeinträchtigungen haben“, sagt Meyer-Rotsch,
       „viele Leute wissen einfach zu wenig über das Downsyndrom und haben keine
       persönlichen Erfahrungen mit Menschen mit Downsyndrom gemacht. Es sind
       Kinder mit einer positiven Lebenseinstellung, zugewandt, empathisch. Die
       Babies haben ein Talent, die Herzen zu gewinnen.“
       
       Nicole Preuss ist dafür, dass in den Frauenarztpraxen Flyer herumliegen vom
       Deutschen Downsyndrom InfoCenter, die über die Chromosomenabweichung
       aufklären. „Die Frauenärzte sind oft erschreckend uninformiert über das
       Syndrom“, sagt sie, die selbst als Erzieherin in einer Inklusionskita
       arbeitet. Behindertenverbände verweisen auf Studien, die sagen, dass die
       Eltern von Kindern mit Downsyndrom im Durchschnitt genauso glücklich werden
       können wie Eltern von sogenannten normalen Kindern. Aber das Leben mit
       diesen Kindern ist dennoch etwas Besonderes.
       
       ## Der Schock Diagnose
       
       „Die Diagnose ist immer ein Schock“, sagt Meyer-Rotsch, „die Eltern fallen
       in ein mehr oder weniger tiefes Loch.“ Das gilt in jedem Fall, ob das
       Ungeborene ausgetragen wird oder nicht. „Das übliche Wertekorsett wird
       infrage gestellt“, erklärt Schirmer. Ein Kind mit Downsyndrom aufzuziehen,
       bedeutet eine zusätzliche Anstrengung, einen zusätzlichen Aufwand. Dario
       und Daniel lernen langsamer als andere Kinder. Jetzt im Sommer, wenn die
       anderen Kinder zum Schwimmen losziehen, kann Preuss den Achtjährigen nicht
       einfach ohne Betreuung mitschicken. Auch in der Jugendfreizeit braucht er
       einen Assistenten. „Ein Kind mit Downsyndrom ist ein Einschnitt“, sagt
       Preuss, „man muss sein Leben darauf einstellen.“
       
       Mit 12 Jahren können die meisten Kinder nach der Schule selbstständig ihre
       Nachmittage verbringen, Kinder mit Downsyndrom aber nicht unbedingt. Wenn
       es keine ganztägige Förderschule in der Nähe gibt, müssen die Eltern eine
       Betreuung organisieren. Nervend ist der Papierkrieg mit Behörden und
       Krankenkassen, die Anträge auf Förderung, auf Hilfe, die oft erst nach
       Einlegung eines Widerspruchs bewilligt werden. „Die Mehrbelastung kann man
       nicht leugnen“, sagt Schirmer, „das kann man schon verstehen, dass sich
       manche das nicht zutrauen und sich dann für einen Abbruch entscheiden.“
       
       Immer mehr Frauen lassen ihre Ungeborenen durch die neuen, unbedenklichen
       Verfahren testen, die schon bald von den Krankenkassen finanziert werden
       könnten. Das hat Nebenwirkungen. Schon jetzt, so Nicklas-Faust, zeige sich
       in der Gesellschaft ein gewisser Rechtfertigungsdruck auf Eltern, die ein
       Kind mit Trisomie 21 haben. „Da werden dann Mütter mit einem Kind mit
       Downsyndrom auf dem Spielplatz gefragt, ob sie das mit der Behinderung denn
       nicht vor der Geburt wussten“, so Nicklas-Faust.
       
       Es geht der Bundesvereinigung Lebenshilfe aber nicht darum, über die
       Entscheidung von Eltern in einer ohnehin traumatischen Situation moralisch
       zu urteilen. Es geht um die Entscheidungsfreiheit. „Viele Frauen sagen,
       meine Entscheidung, das Kind zu bekommen soll genauso akzeptiert werden wie
       eine Entscheidung für einen Abbruch“, erklärt Nicklas-Faust. Wenn das Kind
       dann da ist, sagt sie, „wollen die Eltern so viel Normalität wie möglich.
       Eltern mit einem Kind mit Downsyndrom wollen vor allem eines nicht: zu
       Exoten werden.“
       
       Auch die Großeltern von Dario lieben ihren Enkel und fahren mit ihm in
       Urlaub. Der Großvater ist froh, dass Dario auf die Welt gekommen ist,
       obwohl er damals nicht verstehen konnte, dass seine Tochter das Kind
       austragen wollte. Nicole Preuss: „Mein Vater sagt heute: Ein Glück, dass du
       dich damals nicht von mir hast beirren lassen.“
       
       17 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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