# taz.de -- England vor dem WM-Halbfinale: Southgate und die vielen Schlüssel
       
       > Englands Trainer arbeitet mit Erfolg daran, sein Team vom bleischweren
       > Erbe der Vergangenheit zu befreien: Nur ein WM-Titel 1966, seitdem
       > Niederlagen.
       
 (IMG) Bild: Eine Southgate-Regel lautet: Bestimme das Geschehen selbst
       
       Sotschi taz | Gareth Southgate spricht in diesen Tagen gern von Schlüsseln.
       Die mannschaftliche Geschlossenheit sei gegen Schweden der Schlüssel zum
       Erfolg gewesen, analysierte er nach dem Viertelfinale in Samara. Den
       erfolgreichsten Stürmer dieser WM, Harry Kane (6 Tore), bezeichnete er in
       der Vorrunde als Schlüsselspieler. Jüngst analysierte Southgate „Wir haben
       Standards als Schlüssel für dieses Turnier identifiziert.“
       
       Der Trainer der englischen Nationalmannschaft kann dies auch mit einem
       gewissen Stolz erzählen, schließlich sind acht von elf Treffern aus
       Standardsituationen heraus gefallen. Southgate hantiert bei dieser
       Weltmeisterschaft mit vielen Schlüsseln. Das Bild veranschaulicht gut,
       weshalb der Mann so erfolgreich ist. Der 47-Jährige weiß: Man muss variabel
       sein. Es können sich immer wieder neue Türen auftun.
       
       Die alten, die in der Vergangenheit dem englischen Team den Weg zum Erfolg
       versperrt haben und die Fans zu Zynikern werden ließen, hat er alle
       abgeklopft. Er hat genau geprüft, wo es denn überall eigentlich klemmt. Und
       er hat nicht versucht, mit Gewalt irgendwo einzudringen, sondern sich
       andernorts umgeschaut, wie dort Blockaden gelöst wurden – in Spanien und in
       Deutschland etwa.
       
       [1][Erstmals seit 1990 steht England wieder in einem WM-Halbfinale]. Und
       wenn sie im Luschniki-Stadion von Moskau Kroatien besiegen, wird das wieder
       Erinnerungen an den ersten und letzten großen Erfolg, den WM-Gewinn im Jahr
       1966, heraufbeschwören. Für viele Spielergenerationen dieser großen
       Fußballnation ist der eine Triumph zu einer schweren Last geworden. Die
       Sehnsucht nach einer Wiederholung hat sie erdrückt. Southgate selbst war
       einer der Leidtragenden. Beim EM-Halbfinale 1996 scheiterte er beim
       Elfmeterschießen am deutschen Torwart Andreas Köpke – so wie alle
       englischen Spieler davor und danach scheiterten, wenn es richtig ernst
       wurde.
       
       Mit einigem Erfolg arbeitet Southgate nun daran, das englische Team von dem
       bleischweren Erbe zu befreien. Mit dem Verband hat er ein Konzept für alle
       Nationalmannschaften bis in den Juniorenbereich entwickelt. „England DNS“
       wird es genannt und darin steht unter anderem: „Geschichte jedoch darf
       keine Last werden. Die Zukunft steht im Fokus und das Ziel ist es, neue
       Geschichte zu schreiben.“
       
       Das ist sozusagen ein Teil des theoretischen Überbaus, der viel von den
       Verletzungen des englischen Fußballs erzählt. „Own the process“ lautet
       einer der Slogans von Southgate: Bestimme das Geschehen selbst. In der
       Praxis hat er etwa durch ein detailversessenes Training von
       Elfmeterschießen mit dazu beigetragen, dieses eine Trauma gegen Kolumbien
       bei dieser WM erstmals zu überwinden. Für die nun so effizient
       vorgetragenen Standardsituationen hat er sich in den USA von der National
       Football League inspirieren lassen.
       
       ## Fußball einer gediegenen Turniermannschaft
       
       Bei Pep Guardiola, dem Trainer von Manchester City, hat sich Southgate
       schon artig bedankt für dessen positive Impulse auf den englischen Fußball.
       Der Katalane wird ja schon als geistiger Vater der WM-Titel von Spanien
       (2010) und Deutschland (2014) gehandelt. Das gepflegte Flachpassspiel im
       Spielaufbau, welches das englische Team neu in sein Repertoire aufgenommen
       hat, kann man als guardiolahaft bezeichnen.
       
       Aber Southgate begnügt sich nicht mit einer Ideenquelle. Auf der Suche nach
       weiteren möglichen Schlüsseln zum Erfolg war er sich auch nicht zu schade,
       vor Ort das Training von Antonio Conte beim FC Chelsea zu studieren.
       
       Der Veränderungsdrang, der theoretische Überbau, die Detailversessenheit,
       die Offenheit für andere Ideen, all das erinnert an die Umwälzungen, die
       einst Jürgen Klinsmann im deutschen Fußball vornahm. Doch anders als
       Klinsmann ist Southgate kein selbst ernannter Revolutionär, der sich
       angeboten hat, den englischen Fußball zu retten. Weil sein Vorgänger Sam
       Allardyce über einen Skandal stolperte und es an namhaften Alternativen
       mangelte, griff der Verband kurzerhand auf seinen U21-Coach zurück.
       
       Dass Southgate auch bei dieser WM trotz aller Erfolge seinem
       zurückhaltenden Stil treu bleibt, steigert seine Popularität in England
       umso mehr. Die elegante Weste, die er trägt, ist auf der Insel zum
       Verkaufsschlager geworden.
       
       ## Gegner bislang keine Schwergewichte
       
       Der Mann im schicken Dreiteiler ist dabei so nahbar wie kaum zuvor ein
       englischer Trainer. Seine Entscheidungen will er nicht kraft seiner
       Autorität erklärt wissen, er versucht mit Worten um Verständnis zu werben.
       So war es zum Beispiel, als er in der Vorrunde gegen Belgien nur mit einer
       B-Elf antrat und ausführlich den kritischen britischen Pressevertretern
       seine Gedanken dazu darlegte.
       
       Southgate hat für einen umfassenden Kulturwandel auf und neben dem Platz
       gesorgt. Seinen Spielern gesteht er mehr Offenheit zu. Es gibt dieser Tage
       Videos von Dart-Partien mit Journalisten zu bestaunen und Fotos eines
       mannschaftsinternen Wettbewerbs im Swimmingpool mit aufblasbaren
       Einhörnern.
       
       Aber auch Ernsthafteres, gern Tabuisiertes, drang zuletzt nach außen.
       Tottenhams Verteidiger Danny Rose gestand kurz vor der WM, dass er unter
       Depressionen in der abgelaufenen Saison litt. Im englischen Team scheint
       man den ansonsten im Fußball immer weiter fortschreitenden Prozess der
       Entmündigung umgekehrt zu haben.
       
       All dies wirkt sich nicht nur positiv auf die Stimmung, sondern auch auf
       die Ergebnisse aus. Freilich muss erwähnt werden, dass die Gegner auf dem
       Weg ins Halbfinale bislang keine Schwergewichte des Weltfußballs waren. Als
       man gegen Belgien antreten musste, ging es um nichts mehr. Und verzücken
       konnte das englische Team bislang auch niemanden. Es ist der Fußball einer
       gediegenen Turniermannschaft. Hinten sehr stabil, vorne sehr effizient. Der
       Schlüssel zum Erfolg muss nicht schön sein, er muss passen.
       
       11 Jul 2018
       
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