# taz.de -- Cristiano Ronaldo bei der WM in Russland: Primadonna und Populist
       
       > Cristiano Ronaldo ist der erste Spieler dieser WM, dem es gelungen ist,
       > Fallhöhe zu kreieren. Damit hat er eigentlich schon gewonnen.
       
 (IMG) Bild: Geliebt und gehasst: Cristiano Ronaldo spaltet die Gemüter
       
       Natürlich ist Cristiano Ronaldo Populist. All die Träume, die er
       verspricht, all die Hoffnungen, die sich auf ihn richten. Er ist ebenso
       Populist, wie es Salah für Ägypten ist, Messi für Argentinien, Neymar für
       Brasilien. Er ist Populist, wie jeder große Schauspieler Populist ist. Sie
       sind die Schauspieler, die das Drama des Scheiterns aufführen auf dieser
       Bühne, die das Feld ist.
       
       Es kommt darauf an, Fallhöhe zu kreieren. Daran sind bisher alle
       gescheitert: Salah, der zunächst nicht einmal spielte; Messi mit seinem
       Dutzend Abschlüssen; Neymar, der häufiger lag als stand. Es sind alle
       gescheitert. Alle bis auf Ronaldo (und, auf kleinerer Bühne, Harry Kane).
       Der Platz in der Mitte war bei Portugal nicht leer; das Spiel hatte sein
       Zentrum. Es war Theater nach Antonin Artauds Geschmack, der ein Gegner des
       Dialogs war: „Ich sage, dass die Bühne ein physischer und konkreter Ort
       ist, der verlangt, dass man ihn füllt, und den man die eigene, konkrete
       Sprache sprechen lassen muss.“ Nur Ronaldo hat bisher dieses Begehren
       gestillt.
       
       Er kann alles am Ball, aber vor allem kann er mehr: Er kann das Ensemble um
       sich herum strukturieren. Ronaldo gilt allgemein als Solist, als einer, der
       sich mehr um seine Frisur schert als um seine Mitspieler. Das ist falsch.
       [1][Gegen Spanien bestand er keineswegs darauf], dass jeder Angriff über
       ihn laufen sollte. Bisweilen trabte er die Seitenlinie entlang, und erst,
       wenn er dann sah, dass einer seiner Kompagnons ein Stichwort brauchte, eine
       Idee, war er da. Weil er einen Sinn für Theatralik hat, weil er seine
       Freistöße inszeniert, seinen Körper, traut man ihm nicht zu, einen Sinn zu
       haben für Pausen, ein Gefühl zu haben für die anderen.
       
       Als er im EM-Finale 2016 frühzeitig ausgewechselt werden musste, hinterließ
       er ein Kollektiv, das die Lücke, die sein Fehlen riss, zu füllen wusste.
       Seine Tränen, dann auch seine Anfeuerungen am Spielfeldrand, sind zunächst
       als Ausdruck seiner ganz persönlichen Tragödie verstanden worden, nicht als
       Rolle in einer Gruppe. Selbst in seinen Anfeuerungen war er der Egomane.
       Dabei wurde vergessen, dass er nicht nur herausragt, sondern auch hinein.
       
       ## Was ist an Ronaldo Kunst?
       
       Der Fußball mit seinem Authentizitätsfetisch tut sich schwer mit Ronaldo.
       Bei ihm, scheint es, ist alles so, wie es sein soll. Die Welt hat sich ihm
       maßgeschneidert auf den Körper gelegt. Es fehlt das Moment, an dem man
       sieht, dass er über sich hat hinauswachsen müssen, um ein Besserer zu
       werden. Ganz so, wie man die geschundenen, verbogenen Füße der Primadonnen
       nicht sieht, die so leicht und anmutig „Schwanensee“ tanzen. Was an Ronaldo
       Kunst ist, wird ihm als Privileg ausgelegt; als wäre er schon als Kind mit
       goldenen Schuhen herumgelaufen. Wenn der Mensch ein Mängelwesen ist, ist
       Cristiano Ronaldo kein Mensch.
       
       Könnerschaft im Fußball wird in Zahlen dargestellt, der Sport ist ein Ort
       für Vermessungstechniker, und je mehr Instrumente ihnen zur Verfügung
       stehen, desto ziselierter wird das Ergebnis. Jeder Übersteiger wird nicht
       auf seine inhärente Schönheit hin bewertet, sondern auf das, was am Ende
       dabei rumkommt. Es gilt die geschriebene Zahl. Aber selbst da liefert
       Ronaldo verlässlich: Er ist jetzt einer von vier Spielern, die in vier
       aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften trafen, der Einzige, dem ein
       Hattrick gegen Spanien gelang, und so weiter und so weiter. [2][Seinen
       Rekorden ist ein eigener Wikipedia-Artikel gewidmet.]
       
       Ihm steht die Welt offen, jede Muse ist ihm gewogen. Er hat gegen Spanien
       die Cleverness beim Elfmeter, das Glück beim Patzer de Geas und, ganz zum
       Schluss, die Geschmeidigkeit großer Könnerschaft.
       
       Dies ist Ronaldo nur schwer zu verzeihen: sein Erfolg. Er spannt den Bogen
       des Dramas, er spannt ihn und spannt ihn und der verdammte Bogen bricht
       nicht. Wann immer das Publikum hofft, Ronaldo fallen zu sehen – denn jedes
       Publikum möchte den Helden, den es verehrt, auch meucheln –, sieht es ihn
       am Ende doch jubeln.
       
       Aber es wird ein nächstes Mal geben, und dann … Und dann … Und erst wenn er
       gefallen ist, werden auch jene, die ihm nicht wohlgesinnt sind, als den
       sehen, der er ist: jener, der das Spiel strahlen lässt. Der Sarah Bernhardt
       seiner Zeit.
       
       20 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gruppe-B-Portugal--Spanien/!5513543
 (DIR) [2] https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_career_achievements_by_Cristiano_Ronaldo
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederic Valin
       
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       Dann Nacho. Nochmal Ronaldo. Besseren Fußball werden wir lange nicht sehen.