# taz.de -- Kunstfestival 48 Stunden Neukölln: Echt jetzt, die Kunst!
       
       > Ein Festival mit dem Charme des Überangebots: „48 Stunden Neukölln“
       > findet zum 20. Mal statt und sucht zum Jubiläum die „Neue Echtheit“.
       
 (IMG) Bild: Auch Zwiespältiges bei den 48 Stunden: Sebastian Bienieks Arbeiten zum Thema „Doppelgänger“
       
       Es ist inzwischen eine Binse: Erst kommen die Künstler. Dann das Jungvolk.
       Irgendwann gehen die Ersten – ungefähr dann, wenn sich Szenecafés und
       türkische Kulturvereine die Waage halten. Die Mieten steigen. Wohnungen
       werden saniert, Mieten steigen. Die altansässige ehemalige Arbeiterklasse
       sucht das Weite. Man nennt es Gentrifizierung.
       
       In kaum einem anderen Viertel Stadtteil Berlins kann und konnte man das so
       verfolgen wie in Neukölln. Begonnen hat es ungefähr um die
       Jahrtausendwende. Wenn man böse ist, könnte man sagen: 1999 mit der
       Premiere des Kunstfestivals „48 Stunden Neukölln“. Denn tatsächlich: Dieses
       Jahr feiert das immer noch recht kleine, aber beliebte Event Jubiläum. 20
       Jahre „Hier ist Kunst“!
       
       Das ist natürlich erst einmal ein Grund zum Gratulieren. Und erstaunlich
       ist es auch, bedenkt man, dass das Festival im Wesentlichen immer noch auf
       Spenden und ein lokales Setting setzt – und somit immer noch tendenziell
       unkommerziell daherkommt. Crowdfunding statt breitem Sponsoring.
       
       Nicht ganz klar ist jedoch, ob das „größte freie Kunstfestival Berlins“
       sich dazu auch frei entschieden hat. Oder ob es inzwischen auch an
       Ausstrahlung mangelt – und daran, dass sich die Leute über die Jahrzehnte
       an Kruschtläden, massig Off-Kunst und gepflegtes Cornern mit Späti-Bier
       allzu sehr gewöhnt haben. So sehr, dass die „Kunst“ da schnell zu kurz
       kommt. Im Zweifel ist sie nämlich gar nicht mehr „hier“, sondern schon
       wieder woanders. In den Galerien von Berlin-Mitte. In Wedding. In
       Weißensee. Oder überhaupt nicht mehr in Berlin.
       
       ## Forum für alles
       
       Doch noch möchte „48 Stunden Neukölln“ nicht aufgeben. Laut gut sortiertem
       Netzauftritt versteht sich das Festival immer noch als „Forum für
       künstlerische Projekte aller Sparten der Berliner Kunstszene“. Ja, es
       „präsentiert und fördert Kunst, die einen Beitrag zu aktuellen
       gesellschaftlichen Themen leistet und diese reflektiert“.
       
       Wie das konkret aussieht, wird sich zeigen: in der nächsten Woche zwischen
       dem 22. und dem 24. Juni. Zur besten Sommerzeit. Während der Fußball-WM.
       Motto der 48 Stunden diesmal: „Neue Echtheit“. „Unsere Gegenwart steht vor
       einer Wertediskussion um das Echte. Das Vertrauen auf das Originale und
       Authentische erscheint in einer Gesellschaft, die aufgrund neuer sozialer
       Konventionen, Kommunikationsformen und ökonomischer wie ökologischer
       Verwerfungen im Wandel ist, fast als Anachronismus“, schreibt die
       Festivalleitung dazu auf ihrer Webseite.
       
       Ganz falsch erscheint diese Analyse nicht. Und doch mutet das Konzept etwas
       seltsam an: Hatte sich das „Authentische“ im Kunstkontext nicht schon in
       den Achtzigern überlebt? „Müssen wir das Echte in einer Zeit digitaler
       Omnipräsenz neu lernen?“, fragt sich das Festival. Und: „Besteht weiterhin
       die Erwartung, dass Kunst ehrlich bemüht ist, das Echte zu verkörpern?“
       Gegenfrage: Hat diese Erwartung überhaupt jemals bestanden? Es geht doch um
       Kunst, oder?
       
       ## Gleichberechtigte Präsentation
       
       Aber sei’s drum. Im Reuter- und im Schillerkiez und rund um den
       Richardplatz (den neuen Hotspot) und bis runter nach Britz wird wieder viel
       zu sehen, erleben, hören, diskutieren sein. Das Festival bietet reichlich
       Programm, wie man so schön sagt: offene Ateliers, Projekte, Mini-Konzerte,
       Lesungen, Gespräche. Der Charme liegt auch im Überangebot. Und in der
       Egalität, also der gleichberechtigten Präsentation. Da etwas
       herauszugreifen, auch weil es per se keine großen Namen gibt, fällt schwer.
       
       Wie politisch sich das Ringen ums Echte zeigt, wird das Festival noch
       beweisen müssen. Immerhin machen diverse Veranstaltungen neugierig: Die
       „Arche Noah“ zum Beispiel erfährt einen Neubau in Miniaturformat, wenn
       Geflüchtete aus Dänemark und Berlin eine Skulptur aus bis zu 100 Archen,
       die sie selbst aus Ton formen, herstellen wollen. Passenderweise geht das
       Ganze dann am Freitag an der Thomashöhe vom Stapel. Ali Demirel wiederum
       führt ein Video vor, das eine „kapitalistische homo-erotische Affäre
       zwischen den US-Politikern Alexander Hamilton und Abraham Lincoln“ zeigt,
       man darf gespannt sein. Ort dafür: die „Alte Sparkasse“.
       
       Außerdem spannend: „Als ich noch echt war …“, eine Performance aus dem
       Zentrum des Festivals. Fünf Berliner Künstler*innen „begeben sich auf die
       Suche nach dem Echten in sich selbst, in ihrer Kunst und ihrem Umfeld“, im
       Lite-Haus am Freitag.
       
       Die Gentrifizierung, das sei hier auch noch mal gesagt, hat nicht nur
       schlechte Seiten. Wie öde muss Neukölln noch 1997 gewesen sein! Ob es
       dereinst ein „48 Stunden Reinickendorf“, Lichtenberg oder Tempelhof geben
       kann? Man weiß es nicht.
       
       21 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Hamann
       
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