# taz.de -- heute in hamburg: „Viele standen vollkommen unter Schock“
       
       Interview Mareen Butter
       
       taz: Herr Dahlmann, war die 68er-Bewegung in Osteuropa links oder rechts? 
       
       Hans-Christian Dahlmann: Das ist nicht die entscheidende Kategorie. Die
       Studenten, die in Polen demonstriert haben, haben die Forderung nach mehr
       Freiheit erhoben und hatten die Vorstellung, dass sie das System des realen
       Sozialismus auf einen besseren Weg bringen würden.
       
       Worin unterscheidet sich die 1968er-Bewegung in den Ostblockstaaten zu
       jener in Deutschland? 
       
       Der Unterschied war natürlich die äußere Rahmenbedingung. In Deutschland
       gab es die Möglichkeit zu protestieren, auch wenn es Überreaktionen gegen
       die Demonstrationen gab. Die Studenten in Polen hatten dieses Maß der
       Freiheit nicht. Aber beide Bewegungen verbindet, dass sie die erste
       Generation nach dem zweiten Weltkrieg waren und sie bestimmte Verhältnisse
       infrage stellten.
       
       Welche Auswirkungen sind bis heute spürbar? 
       
       Für Polen war das Jahr 1968 ein Einschnitt dahingehend, dass die
       Oppositionellen, die das System zuvor unterstützt hatten, durch die
       Bewegung ihre Meinung änderten. Es waren die Gleichen, die an der Wende
       1989/90 maßgeblich beteiligt waren. Auch heute beschäftigt man sich in
       Polen noch viel mit der Frage, was damals passiert ist. Aber einen
       Gesellschaftswandel wie er in Westeuropa in Gang gesetzt wurde, gab es
       nicht.
       
       Gab es Zusammenschlüsse der Studierenden in Osteuropa und Westeuropa? 
       
       Explizite Zusammenschlüsse gab es nicht. Die Dissidenten in Osteuropa haben
       jedoch immer Kontakte im Westen gesucht, um Texte zu veröffentlichten, weil
       es in Polen nicht ging.
       
       Was hat Antisemitismus mit den Ereignissen zu tun? 
       
       Unter den demonstrierenden Studenten gab es nicht wenige, die jüdischer
       Herkunft waren. Obwohl das eigentlich keine Rolle spielte und viele keine
       jüdische Identität hatten, starteten Parteifunktionäre eine antisemitische
       Hasskampagne, in der behauptet wurde, dass Juden die Drahtzieher der
       Proteste sind. Ausgehend davon kam es auch zu antisemitischen Parolen auf
       Parteiversammlungen, wo Mitglieder jüdischer Herkunft ausgeschlossen
       wurden. Viele standen daraufhin vollkommen unter Schock, da sie nicht damit
       gerechnet hatten, dass so etwas wieder möglich war, wenn auch rein auf
       verbaler Ebene. Sie reisten aus.
       
       13 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mareen Butter
       
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