# taz.de -- Eurovision Song Contest in Lissabon: Alles andere als ein ESC-Spielzeug
       
       > Sie hatte das europäische Publikum hinter sich: Netta aus Israel
       > bescherte ihrem Land mit „Toy“ den 4. ESC-Sieg. Michael Schulte wurde
       > Vierter.
       
 (IMG) Bild: Ätsch, bätsch, nehmt das!
       
       Lissabon taz | Sie galt seit Ende Februar als die heißeste Kandidatin,
       [1][dem 63. Eurovision Song Contest in Lissabon] ihr Licht aufzusetzen: Mit
       dem Lied „Toy“, das bei allen Buchmacher*innen und bei Fans in Europa
       stetig vorne lag, war die 25-Jährige die Triumphatorin in spe.
       
       Am Ende wurde sie es wirklich – sie gewann in der Nacht zu Sonntag mit sehr
       gutem Vorsprung vor der zypriotischen Kandidatin Eleni Foureira, dem
       Österreicher Cesár Sampson und dem Deutschen Michael Schulte, der mit „You
       Let Me Walk Alone“ das beste deutsche ESC-Resultat seit Lenas Sieg 2010 in
       Oslo einfuhr. Den letzten Platz belegte der Act der Gastgeber, Cláudia
       Pascoal & Isaura mit „O jardim“.
       
       Was in jeder Hinsicht unverdient war, denn ihr leicht
       elektro-new-bossa-arrangiertes Lied kam den Acts jenseits des Wettbewerbs
       ästhetisch am nächsten. Portugals TV-Sender konnte sowohl die
       portugiesischen und brasilianischen Stars Ana Moura, Mariza, den
       ESC-Vorjahressieger Salvador Sobral sowie Caetano Veloso gewinnen:
       Letzterer interpretierte Sobrals ESC-Siegeslied „Amar pelos dois“ („Liebe
       für zwei“) in reinster, lächelnder Poesie. Die 14.000 Leute in der Altice
       Arena am Tejo dankten mit starkem Beifall.
       
       Die Abstimmung war spannend bis zur allerletzten Sekunde, erst mit der
       Verkündung des Televoting-Ergebnisses war klar, dass Nettas eurovisionäres
       #metoo-Statement die [2][Publikumsabstimmung auf seiner Seite hatte], nicht
       die mitreißende, chartfähige Beyoncé-artige Glam-Dance-Nummer Foureiras.
       
       Auffällig bei den Abstimmungen war, dass die Jurys, also Musikprofis wie
       Produzenten, Sänger*innen, Komponisten, den Österreicher nach vorne
       punkteten und den Schweden Benjamin Ingrosso mit „Dance You Off“, beide
       eher Konzeptpopangelegenheiten, nicht Acts, die das Körperliche
       thematisieren und das Publikum unverhohlen animieren. Noch nie gab es ein
       solches Urteilsgefälle zwischen Jurys und Publikum in 43 Ländern.
       
       ## Nichts Buntes tragen?
       
       Auf der Pressekonferenz sagte Netta, die Israel den vierten ESC-Sieg seit
       dessen erster Eurovisionsteilnahme vor 45 Jahren (1978, 1979 und zuletzt
       1998, die legendäre Dana International) bescherte, dass sie sich so freue,
       wie es sich niemand auch nur näher vorstellen könne. „Ich war vor einem
       halben Jahr ein Niemand außerhalb einiger Clubs in Tel Aviv. Mich kannte
       keiner, und es sah nicht so aus, als würde sich das ändern.“ Dann aber, und
       sie ergriff diese Chance umgehend, fragte sie jemand von Israels
       verantwortlichem TV-Sender, ob sie sich vorstellen könne … Konnte sie.
       
       Und kämpfte sich durch die Vorrunde, ließ allen Schmäh von sich abperlen –
       sie sieht nicht aus, wie das ästhetische Regime Heidi Klums es vorschreibt
       – und dachte trotzdem: „Nein, mein Lied wird nicht die Vorentscheidung
       schaffen, es war ‚too avantgarde‘“, zu wenig kibbuz-optimistisch. „Toy“ ist
       ein ihr auf den Leib geschriebenes Stück. Sie sei niemandes Spielzeug, und
       das bezöge sich keineswegs auf den Fragen der sexuellen Gewalt.
       
       Netta Barzilai sagte: „Man sagte mir, ich dürfe mit meiner ‚largen‘ Figur
       nichts Buntes tragen, ich aber sage, dass ich das sehr wohl darf.“ Viele
       Jahre der Hänselei habe sie ob ihrer Figur ertragen müssen, dem habe sie
       nun ihr Statement entgegengeschleudert.
       
       ## Sehr persönlich gemeint
       
       Sie ist im Übrigen im Hinblick auf ihre Ausstrahlung keine „charming young
       lady“, sie kann entschieden abgegrenzt und dennoch zugewandt ein: „Ich
       liebe hier in Lissabon alle Lieder, ich kam mit allen gut zurecht. Aber es
       war sowieso kein Kampf gegen sie, und auch sie haben nicht gegen mich
       gekämpft. Mein Kampf war mein innerer. Ich werde ihn ein Leben lang
       austragen, er ist nicht vorbei.“
       
       Es ist beim ESC nicht üblich, dass eine Chanteuse vor internationalen
       Medien sehr ernsthaft wichtige Aspekte ihrer Person zeigt – zumal nicht in
       der Stunde der Erfolgsinterpretation, des Statements positiver Natur. Alle
       freuen sich, „the winner takes it all“. Netta Barzilai machte jedoch keinen
       Hehl daraus, dass das Bekenntnis, „(I'm not your) Toy“ sehr persönlich
       gemeint, obwohl das Lied vom schwulen Erfolgskomponisten Doron Medalie für
       sie geschrieben wurde. Was nun folgen wird? „Die beste israelische Party
       ever, oh ja, da könnt ihr sicher sein.“
       
       Michael Schulte, der Deutsche, der seine Trauer um seinen gestorbenen Vater
       in das Lied „You Let Me Walk Alone“ packte und sehr viele Jurys und sehr
       viele Televoting-Zuschauer ergriff und belohnt wurde, sagte: „Ich finde,
       dass Netta verdient gewonnen hat, sie ist wirklich sehr gut. Herzlichen
       Glückwunsch ihr.“
       
       13 May 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /63-Eurovision-Song-Contest-in-Lissabon/!5501948/
 (DIR) [2] https://eurovision.tv/event/lisbon-2018/grand-final/participants
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
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