# taz.de -- Kolumne American Pie: Das Misfits-Märchen
       
       > Crazy, amazing: Die Neulinge von den Vegas Golden Knights stehen im
       > Stanley-Cup-Finale – folgt nun der ganz große Coup?
       
 (IMG) Bild: Kollision mit Las-Vegas-Spieler James Neal (M.)
       
       Das Eishockey-Märchen geht weiter. Nein, die Rede ist nicht vom
       Beinahe-Olympiasieg der deutschen Nationalmannschaft, sondern von den Las
       Vegas Golden Knights. Denn seit Sonntag ist klar: Die Mannschaft aus der
       Spielerstadt, die niemand auf der Rechnung hatte, die Mannschaft aus lauter
       Profis, die bei anderen Vereinen ausgemustert worden waren, also
       ausgerechnet jene Mannschaft, die noch nicht einmal ein Jahr alt ist, steht
       im Finale um den Stanley Cup und kann die NHL-Meisterschaft gewinnen.
       
       Die Reaktionen sind entsprechend: Ob TV-Experten oder
       Zeitungskommentatoren, Ex-Spieler oder Konkurrenten, alle finden den
       Erfolgslauf der Underdogs aus Las Vegas wahlweise „unbelievable“, „crazy“
       oder „amazing“. Und tatsächlich: Als die Spielzeit im Spätsommer 2017
       begann, hätte niemand einen Pfifferling auf die Golden Knights gesetzt,
       nicht einmal die Golden Knights selbst.
       
       Noch im August verkündete Bill Foley, der Besitzer des nigelnagelneuen
       Teams: „Wir haben keine großen Erwartungen. Uns reicht es, wenn wir
       konkurrenzfähig sind, wenn wir nicht mit fünf, sechs Toren Unterschied
       verlieren, sondern nur mit ein oder zwei.“ Dann gab der Milliardär den Plan
       aus, innerhalb von drei Jahren die Playoffs zu erreichen und in sechs
       Jahren den Stanley Cup nach Las Vegas zu bringen. Ein Vorhaben, für das
       Foley nicht nur von Experten belächelt wurde.
       
       ## Außenseiter oder Ausgestoßene
       
       Tja, so kann man sich täuschen. Anstatt bloß knapp zu verlieren, haben sich
       die Golden Knights angewöhnt, knapp zu gewinnen. Zuletzt am Sonntag bei den
       Winnipeg Jets mit 2:1. Es war der vierte Sieg hintereinander gegen das
       favorisierte Team aus der kanadischen Provinz.
       
       Und egal, gegen wen die Knights in der kommenden Woche im ersten Finalspiel
       antreten müssen, auch dann werden sie wieder Außenseiter sein. Wer der
       Gegner sein wird, entscheidet sich im siebten und entscheidenden Spiel der
       anderen Halbfinalserie, die die Washington Capitals um Superstar Alex
       Ovechkin am Montag mit einem 3:0 gegen Tampa Bay Lightning ausgleichen
       konnten.
       
       Das Underdog-Image haben die Golden Knights mittlerweile regelrecht
       kultiviert: „Misfits“, also Außenseiter oder Ausgestoßene, nennen sich die
       Profis selbst, aus dem Trotz ist längst eine Team-Identität gewachsen, dank
       der sich die zusammengewürfelte Mannschaft auch gegen deutlich
       talentiertere Konkurrenz durchsetzt.
       
       „Wir nennen uns selbst nicht ohne Grund die ‚Golden Misfits‘“, sagte
       Stürmer Ryan Reaves, der den entscheidenden Treffer gegen Winnipeg
       erzielte, „wir beweisen allen anderen schon die ganze Saison über, dass sie
       falsch lagen.“
       
       Wie unwahrscheinlich der Siegeszug des Teams aus lauter Namenlosen – mit
       Ausnahme von Torhüter Marc-André Fleury, der mit den Pittsburgh Penguins
       schon drei Mal NHL-Meister war – ist, zeigt ein Blick in die Historie. Seit
       1960 hatte es in einer der vier großen Sport-Ligen in den USA, in NFL, MLB,
       NBA oder NHL, erst ein frisch gegründetes Team ins Finale geschafft: die
       St. Louis Blues.
       
       Das war allerdings 1968, also zu einer Zeit, als die NHL noch aus gerade
       mal 12 Mannschaften bestand, von denen sich 8 für die Playoffs
       qualifizierten. Mittlerweile hat die NHL 31 Klubs, von denen 4 – die
       Columbus Blue Jackets, Minnesota Wild, Phoenix Coyotes und Winnipeg Jets –
       noch nie im Stanley-Cup-Finale standen.
       
       ## Die Golden Knights sind nicht abergläubisch
       
       Allein das, was die Mannschaft aus dem Zocker-Paradies bisher geschafft
       hat, ist also schon ziemlich einmalig. Sollten sie den altehrwürdigen
       Stanley Cup tatsächlich gewinnen, wäre es zweifellos die größte Sensation
       in der Geschichte des seit 1893 ausgespielten Wettbewerbs.
       
       Auf dem Weg dorthin hätten die Golden Knights aber nicht nur alle
       Wahrscheinlichkeiten und Expertenmeinungen widerlegt, sondern auch den im
       Eishockey so weit verbreiteten Aberglauben besiegt: Als der Mannschaft nach
       dem letzten Sieg gegen die Jets die Clarence Campbell Trophy, der klobige
       Pokal für den Champion der Western Conference, überreicht wurde, reckte
       Ko-Kapitän Deryk Engelland den Pott zuerst begeistert in die Höhe und
       kurvte anschließend überglücklich mit der Trophäe übers Eis.
       
       Ein vehementer Bruch mit den Traditionen, denn der Aberglaube besagt, dass
       den Stanley Cup selbst nur berühren darf, wer die Halbfinal-Pokale links
       liegen lässt. „Wir waren die ganze Saison noch nicht abergläubisch“, ließ
       Stürmer Jonathan Marchessault anschließend wissen, „warum sollten wir jetzt
       damit anfangen?“ Tatsächlich: Wenn es eine Eishockey-Mannschaft gibt, der
       selbst höhere Fügungen nichts anhaben können, dann sind es wohl die Vegas
       Golden Knights.
       
       22 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
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