# taz.de -- Musikmesse Atlantic Music Expo: Das Nervenzentrum der Kapverden
       
       > Vier Tage lang traf sich die internationale Musikszene im in Praia.
       > Hunderte Zuschauer flanierten durch die Stadt und genossen
       > Gratiskonzerte.
       
 (IMG) Bild: Lässt die Toten wiederauferstehen: Afrotronix und Band in Praia, April 2018
       
       Eine sanfte Brise weht vom Atlantik über Praia. Wie von ihr getragen,
       wandert das Festivalpublikum durch die Straßen der Hauptstadt der
       Kapverden. Zwei Bühnen, die abwechselnd bespielt werden, stehen im
       Stadtzentrum: Eine befindet sich an der verkehrsberuhigten Rua Piedonal mit
       ihren bunten Häuserfassaden im Kolonialstil, die andere auf dem begrünten
       Platz Albuquerque zwei Blocks weiter.
       
       Gerade hat der Guineer Djeli Moussa Condé seine Kora unter frenetischem
       Applaus auf der einen Bühne abgelegt, gleich wird auf der anderen der
       Lokalheld Puto Makina seine energetische Mischung aus Afrobeat und Kizomba
       zum Besten geben. Danach wird wieder gemeinsam flaniert, um dem
       brasilianischen Singer-Songwriter Naldinho Freire zu lauschen. Hunderte
       Zuschauer sind auf den Straßen Praias unterwegs, stets begrüßt von neuen
       Klängen.
       
       Vier Tage lang wird Praia mit seinen 140.000 Einwohnern so zum Ort der
       Begegnung. Die Gratiskonzerte, bei denen lokale und internationale
       MusikerInnen von beiden Seiten des Atlantiks zu entdecken sind, finden im
       Rahmen der Atlantic Music Expo (AME) statt. Seit 2012 hat sich die
       Musikmesse, die neben den 30 Konzerten und DJ-Auftritten auch Konferenzen
       und einen professionellen Markt bietet, zu einem wichtigen Akteur der
       Branche entwickelt. Dieses Jahr sind 500 TeilnehmerInnen aus 35 Ländern
       angereist.
       
       ## In Praia ist man sehr offen
       
       Michaël Christophe, Ex-Leiter des Festivals „TransAmazoniennes“ in seiner
       französisch-guyanischen Heimat und nun Produzent des „Mondokarnaval“ in
       Québec ist gekommen und schwärmt: „Ich komme, um in Kanada etablierte
       Künstler international sichtbarer zu machen. Diese übersichtliche
       Musikmesse hier ist dafür bestens geeignet.“ In Praia scheint man
       tatsächlich sehr offen. Michaël Christophe erzählt wie er binnen kürzester
       Zeit ein Studio organisierte, damit der kanadische Gitarrist Shaun Ferguson
       und die kapverdische Sängerin Lucibela spontan zwei Songs einspielen
       konnten.
       
       Auch zu Mittag auf dem Gemüsemarkt und bei den nachmittäglichen Konzerten
       im Patio des Palácio da Cultura plaudert man nebenbei entspannt. Etwa mit
       dem ugandischen Poet Kabubi Herman über den Umzug des multidisziplinären
       Festivals „Bayimba“ auf eine Insel mitten im Viktoriasee. Oder mit Limam
       Kane alias Monza, dem mauretanischen Rapper. Er hat des „Assalamalekoum
       Urban Culture Festival“ gegründet und in seiner Heimat ständig auf der
       Suche, nach Mitstreitern und neuen Kulturorten.
       
       Und wenn die Übersetzerin mal ausfällt, springt niemand geringerer als José
       da Silva ein. Das Multitalent, einst Manager von Morna-Königin Cesária
       Évora, gründete 2008 das „Kriol Jazz Festival“ (KJF), das im direkten
       Anschluss an die AME auf den Kapverden und ebenfalls in Praia stattfindet.
       Zum zehnjährigen Jubiläum sei es ihm gelungen, endlich Seu Jorge
       einzuladen, erzählt er.
       
       Als er dem brasilianischen Schauspieler und Samba-Star erstmals begegnete,
       spielte er noch im Vorprogramm von Évoras US-Tour. Stolz ist da Silva auch
       auf die extra für das Festival zusammengestellte Kriol Band – ein
       Crossover-Projekt von Jazz-, Salsa- oder Zouk-MusikerInnen aus den
       kreolischen Inseln Kapverden, Haiti, Guadeloupe, Kuba aber auch aus dem
       Senegal.
       
       Etwas später begegnet man José da Silva auf der Konferenz zum Thema
       „Digitale Distribution in Afrika“ wieder. Dieses Mal in seiner Rolle als
       Präsident von Sony Music Ivory Coast in Africa. Auf dem Podium sitzen neben
       ihm zudem Binetou Sylla vom Label Syllart. Er widmet sich seit 1978 der
       Entdeckung von Popmusik aus Afrika und Südamerika. Des weiteren Thibault
       Mullings vom digitalen Vertriebspartner IDOL für Indie-Labels, dessen neues
       Büro in Johannesburg er leitet. Und Djo Moupondo, der seine auf den
       afrikanischen Markt spezialisierte Streaming-Plattform Muska präsentiert.
       
       ## Geld ist oft sehr zweitrangig
       
       Sie geben Einblicke in den täglichen Musikkonsum afrikanischer HörerInnen.
       Oder machen sich Gedanken über neue Bezahl- und Abokonzepte, die zu den
       eher prekären Verhältnissen ihrer Kunden passen. Oder sie sinnieren
       öffentlich über die Gier vieler Künstler*innen nach Sichtbarkeit nach,
       denen die eigene monetäre Entlohnung selber oft nur zweitrangig ist.
       
       Mit Ausnahme von Südafrika haben sich Spotify, Apple Music oder iTunes noch
       nicht auf dem Kontinent etabliert. Und so lässt die digitale Revolution
       bislang etliche kleinere digitale Plattformen von Nigeria über den Kongo
       bis nach Senegal erblühen. Das Fehlen der Global Player hat allerdings auch
       Nachteile: Zugänge zu ihrem Katalog erhält nur, wer es über den Umweg
       YouTube oder gleich der Piraterie versucht, stellt Sylla bedauernd fest.
       
       Zudem: Während Lokalakteure die Pionierarbeit leisten und Netzwerke
       aufbauen, besteht die Gefahr, dass die großen Plattformen später die
       Früchte der harten Arbeit absahnen werden, mahnt Moderator Francis Gay vom
       Kölner Funkhaus Europa (WDR). Wenn man bedenkt, wie hyperdynamisch die
       Musikszene auf den Kapverden und dem Kontinent sind, könnten diese Früchte
       äußerst saftig ausfallen.
       
       ## Nachhaltige Beziehung mit Europa und Amerika
       
       Aber bis dahin gibt es sicher noch ein wenig Zeit, um Erfahrungen zu
       sammeln, sich auszutauschen und nachhaltige Beziehungen mit Europa und
       Amerika zu schmieden – nicht zuletzt über die transkontinentale
       afrikanische Diaspora. Vor allem den positiven und selbstbewussten
       Austausch mit neuen Märkten hat sich die Musikmesse AME auf die Fahne
       geschrieben. Und dafür könnte es mit Praia, einem ehemaligen
       Hauptumschlagplatz des Sklavenhandels, 650 Kilometer vor der Küste
       Senegals, kaum einen symbolträchtigeren Ort geben.
       
       Dabei war die Messe dieses Jahr gefährdet. Fünf Monate vor dem Start zog
       sich das kapverdische Kulturministerium von der Finanzierung zurück. Egal
       mit wem man über diese heikle Angelegenheit spricht, man erntet nur
       verständnisloses Kopfschütteln. Die Manöver des Ministeriums seien absurd
       und unverantwortlich gewesen. Musik sei das Nervenzentrum der Kapverden,
       die Inseln verfügten ansonsten über wenig außergewöhnlichen Reichtum. Ja,
       noch nicht mal ausreichend Trinkwasser sei vorhanden.
       
       AME-Leiter Augusto Veiga verließ sich nicht weiter auf das Ministerium. Er
       gründete eine Assoziation mit Produzenten von der Inselgruppe, um zu
       retten, was zu retten war. Schließlich schaltete sich auch das Ministerium
       für Tourismus und Verkehr vermittelnd ein. Und am Ende betonte
       Premierminister Ulisses Correia e Silvabei bei der Eröffnung jetzt die
       Bedeutung des Festivals. Nur der für das Chaos verantwortliche
       Kulturminister schwieg. Bei allen Konzerten blieb symbolisch für ihn stets
       ein Ehrenplatz in der ersten Reihe reserviert. Immerhin ist er dann noch
       zum Abschlusskonzert des Kriol Jazz Festival erschienen.
       
       ## Spirit und Ausstrahlung sind ungebrochen
       
       Obwohl der Musikmesse AME nur die Hälfte des letztjährigen Budgets zur
       Verfügung stand, schienen Spirit und offene Ausstrahlung ungebrochen.
       „Unser Festival soll auch weiterhin keinen Eintritt kosten“, betont
       Koordinatorin Élodie da Silva. „Wichtig ist nicht allein, ob die Musiker
       von den Professionellen und der Industrie goutiert werden. Vor allem wollen
       und sollen sie hier unmittelbar miterleben, wie ihre Musik beim Publikum
       ankommt.“
       
       Der Mix von Jupiter & Okwess aus Punk-Attitude sowie urkongolesischen
       Rhythmen jedenfalls versetzte das Publikum in Ekstase bis zur Schockstarre.
       Oder Ilam, eine Art Keziah Jones des Senegals: Er begeisterte mit einem
       Blues, dessen Klangwurzeln in der Fulbekultur seiner Familie liegen.
       
       Eine der größten Entdeckungen waren dieses Jahr die hypnotischen Melodien
       und Soundcollagen des kapverdisch-brasilianischen Duos Sarabudja. Getragen
       von Helio Ramalhos Gitarre und der sandigweichen Stimme von Ricardo
       Mingardis luden ihre Kompositionen aus elektronischen und traditionellen
       Perkussions, wie der brasilianischen Berimbau oder dem kapverdischen
       Ferrinho, zur Zeitreise in die Geschichte dieser Musiken ein.
       
       ## Afrofuturismus
       
       Der kanadisch-tschadische Künstler Caleb Rimtobaye alias Afrotronix rief
       gleich dazu auf, „zu den Ursprüngen zurückzukehren, um sich in die Zukunft
       projizieren zu können“. Ein bewusst widersprüchliches Programm. Im
       afrofuturistischen Sinne fusioniert er tribale Rhythmen mit Touareg Blues
       und Elektrobeats – und setzt sich zum Auftritt die avantgardistische
       Version eines rituellen Strohhelms der Sara-Ethnie auf, von der seine
       Mutter abstamme.
       
       Als Afrotronix später auf der Bühne über den Unterschied zwischen Toten
       sowie Lebenden laut nachdenkt und die Lebenden in Bewegung bleiben, da ahnt
       man, dass er damit nicht nur sein Publikum zum Tanzen animieren will.
       
       15 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elise Graton
       
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