# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Generation Abbruch
       
       > Die meisten Handwerksberufe führen heute nur noch zu stumpfen
       > Dienstleistungen. Deshalb brauchen wir uns über Azubis, die ihre Lehre
       > abbrechen, nicht zu wundern.
       
 (IMG) Bild: Waren früher angesehen und sind es heute nicht mehr: Maurer
       
       Jede/r achte Auszubildende in Niedersachsen bricht die Lehre ab. Unter den
       Köchen ist es sogar jede/r zweite. War das früher anders? War es besser?
       Waren die Jugendlichen früher besser? Lag das daran, dass man strenger mit
       ihnen war?
       
       Die Älteren, also die Jugendlichen von damals, die sind dieser Ansicht. Ich
       bin auch eine Ältere, ich habe viele Sachen in meiner Jugend begonnen und
       abgebrochen. Ich bin die Königin der Abbrecherinnen. Ich habe Ausbildungen
       versucht, diverse Studiengänge, ich wechselte die Arbeitsstellen, die
       Wohnungen. Ich war ein Mensch der neuen Anfänge. Ich sehe mich aus diesen
       Gründen nicht in der Position, die Jugendlichen von heute zu verurteilen.
       
       Tatsächlich war es früher aber anders. Tatsächlich haben meine
       Klassenkameraden damals alle ihre Ausbildung beendet und würden vermutlich,
       wenn nicht die DDR vorbeigegangen wäre, alle immer noch in diesen Berufen
       arbeiten.
       
       Sie würden nicht besonders viel verdienen, aber sie hätten ein bisschen was
       gespart, einen Garten, ein Häuschen. So ist das Leben gewesen. Und jetzt
       ist es anders. Jetzt lässt sich mit dem Einkommen eines Kochs und einer
       Friseurin kein Haus mehr zusammensparen. Jetzt gibt es aber Köche, die
       können sich Villen leisten. Jetzt kennen wir diese Köche, weil sie im
       Fernsehen sind.
       
       Die Jugendlichen meiner Zeit wollten Friseurin werden, Kindergärtnerin,
       Kfz-Mechaniker. Ich hatte eine Klassenkameradin, die hatte kein anderes
       Ziel, als Friseurin zu werden. Es war so, dass die Friseurinnen in der
       Kleinstadt jemand waren. Es war eine Ehre, sie zu kennen.
       
       ## Angesehene Bäcker
       
       Ähnlich war es mit anderen Berufsbildern. Die Kinder vom Bäcker, vom
       Fotografen, die waren angesehen, die lernten die selben Berufe wie ihre
       Eltern und übernahmen das Geschäft. Und darum schien es wohl
       erstrebenswert, einen solchen Beruf zu lernen, um am Ende eine ebensolche
       Größe zu werden.
       
       Heute arbeiten die Friseure bei mir um die Ecke für den Mindestlohn. Kaum
       jemand kennt sie, und diese Friseurläden verschwinden so schnell, wie sie
       entstehen. Warum soll ein Jugendlicher so eine Karriere für erstrebenswert
       halten? Warum soll er nicht nach höheren Früchten greifen und sich den
       Fernsehkoch als Vorbild wählen? Der Fernsehkoch lebt ein großartiges Leben,
       er bekommt Anerkennung, Ruhm.
       
       Wenn ich ein Jugendlicher wäre, ich würde auch solche Träume wählen, statt
       der realistischeren, als ausgebeuteter Koch im Niedriglohnsektor arbeiten
       zu dürfen. Das Problem sind nicht die Jugendlichen, die Erwartungen haben,
       die unrealistisch sind, die Träume haben, die utopisch sind, das Problem
       sind die Verhältnisse, die den Jugendlichen oft keine wirklich gute Wahl
       lassen.
       
       ## Maurer in Anzügen
       
       Mein Vater war Maurer und wir haben dies als Kinder gern erzählt. Wir waren
       stolz auf diesen Beruf unseres Vaters. Die Maurer, die ich hier auf den
       Baustellen sehe, die tragen keine weißen Anzüge mehr, wie mein Vater sie
       Zeit seines Lebens trug, sie sind unausgebildet und können sich kaum
       verständigen, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Wer denkt denn
       jetzt noch mit Stolz und Freude daran, ein Maurer zu werden? Und ist es
       denn die Schuld der Jugendlichen oder ist es die der Gesellschaft, die
       solchen Handwerksberufen kaum mehr Wertschätzung entgegenbringt?
       
       Wie kann man dem Jugendlichen sagen, er solle froh sein, einen solchen
       Beruf lernen zu dürfen, wenn am Ende aber keiner so froh über eine
       Handwerksleistung ist, als dass er sie anständig vergüten würde? Es ist
       doch so, dass aufgrund dieser Entwicklung, die meisten ehemaligen
       Handwerksberufe nur noch in stumpfen Dienstleistungen münden. Es werden nur
       noch im Akkord Räder gewechselt oder Brötchen „fertiggebacken“.
       
       Wir kaufen Industriemöbel und Aufbackbrötchen, und unsere Jugend, das ist
       nun mal unsere Saat.
       
       9 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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