# taz.de -- Menschenhandel in den USA: 18-Stunden-Tage, Schläge als Lohn
       
       > Migrantische Hausangestellte sind besonders anfällig für Ausbeutung.
       > Arbeitgeber nutzen die Angst vor Abschiebung gezielt aus.
       
 (IMG) Bild: Ima Matul aus Indonesien wurde als Hauangestellte versklavt
       
       Houston/Los Angeles taz | Ima Matuls Arbeitstag begann um sechs Uhr in der
       Früh, er endete um drei Uhr morgens. Und das waren die guten Tage. Die
       Familie, bei der die junge Indonesierin in Beverly Hills in Kalifornien als
       Hausangestellte arbeitete, hatte ein Baby. Fast jede Nacht wurde es wach.
       Dann musste Matul es beruhigen. Wenn das Baby wieder schlief, konnte sie es
       zurück in sein Bettchen legen. Matul selbst hatte kein Bett. Sie musste in
       einer Ecke auf dem Küchenboden schlafen.
       
       Ihre Arbeitgeber, ein reiches Paar, er Indonesier, sie aus China, beiden
       haben einen US-Pass, waren nicht immer zufrieden mit ihrer Arbeit. Erst
       beschimpften sie sie. Dann gab es Schläge. Einmal verprügelte sie der
       Familienvater so sehr, dass er sie in die Notaufnahme des Krankenhauses
       bringen musste. Auf dem Weg sagte er ihr: „Sag kein Wort.“ Wie auch? Matul
       sprach kein Englisch. „Es war wie unsichtbares Klebeband“, sagt sie. Der
       Mann wich ihr nicht von der Seite. Den Ärzten sagte er, Matul sei gestürzt.
       Sie glaubten es. Als die Ärzte fertig waren, konnte ihr Peiniger sie wieder
       mit zu sich nach Hause nehmen. „Ich wusste, dass es Sklaverei ist, aber ich
       kannte das Wort nicht“, sagt Matul heute.
       
       Die heute 37-jährige stammt aus einem Dorf auf der indonesischen Insel
       Java. 2000 bekam sie eine Stelle als Hausangestellte in Jakarta. Die
       Familie war mit dem Ehepaar aus Beverly Hills verwandt. Als das zu Besuch
       kam, fragte es Matul, ob sie nicht zu ihnen in die USA kommen wolle. Sie
       boten ihr 150 Dollar Lohn im Monat. So viel Geld hatte Matul noch nie
       besessen. Indonesien hatte sie noch nie verlassen. Sie sagte zu.
       
       ## Den Pass weggenommen
       
       Kurz darauf holte das Paar sie am Flughafen in Los Angeles ab. Noch auf dem
       Weg nach Hause nahm der Mann ihr den Pass weg. „Ich habe ihn nie wieder
       bekommen,“ sagt Matul. Sie dachte sich zunächst nichts dabei. Das Haus war
       groß, Wohlstand weit jenseits von allem, was Matul bis dahin gesehen hatte.
       Das Paar sang, der Chor kam zu Proben ins Haus. „Alles sah für mich ganz
       normal aus“, sagt Matul. In den ersten Monaten bekam sie das Geld
       regelmäßig. Dann seltener. Dann gar nicht mehr. Sie musste sieben Tage die
       Woche arbeiten. Urlaub gab es nicht. Irgendwann fing der Mann an sie zu
       missbrauchen.
       
       Etwa 13 Millionen migrantische Hausangestellte gibt es nach Schätzungen der
       Internationalen Arbeitsorganisation ILO derzeit weltweit. Vier von fünf
       sind Frauen. Die weitaus meisten arbeiten heute in Ländern mit hohem
       Einkommen – Europa, Nordamerika, den Golfstaaten. „Sie sind besonders
       anfällig für Lohnbetrug, überlange Arbeitszeit, Passentzug, erniedrigende
       Behandlung, Gewalt oder Zwangsarbeit“, schreibt die ILO-Forscherin Elisa
       Menegatti. „Die Situation ist besonders kritisch für ArbeiterInnen mit
       fehlendem Aufenthaltstitel und für jene, die im Haushalt ihres Arbeitgeber
       leben.“
       
       Angst vor Abschiebung 
       
       In diesen Monaten laufen die letzten Verhandlungen zum Global Compact on
       Migration, einem neuen Vertragswerk der UNO, dass die Rechte migrantischer
       ArbeiterInnen besser schützen soll. Im Dezember wollen ILO und UN das
       Abkommen in Marokko vorstellen. Doch noch ist völlig unklar, auf welche
       Standards sich die Staaten einlassen, und ob sie am Ende Menschen in einer
       Lage wie Ima Matul helfen.
       
       Denn dass die Hausangestellten der Sprache nicht mächtig und von
       Abschiebung bedroht sind – Arbeitgeber nutzen diese Lage aus, bis hin zur
       Versklavung. Der fehlende Aufenthaltstitel wird dabei gezielt eingesetzt,
       um die ausgebeuteten Beschäftigten in Angst zu halten. Das Paar, dass Matul
       nach Beverly Hills geholt hatte, hatte bei der US-Botschaft in Jakarta
       behauptet, Matul sei eine Verwandte, die sie zu einem kurzen Besuch in die
       USA einladen wolle. Matul bekam ein nur kurze Zeit gültiges Touristenvisum
       – sobald dies abgelaufen war, war sie illegal im Land.
       
       Ein weit verbreitetes Vorgehen, sagt die Ermittlerin Kate Langston vom US
       State Department. Das amerikanische Außenministerium hat eine Task Force
       gebildet, die sich mit dieser Form des Visabetrugs zur Arbeitsausbeutung
       beschäftigt. Langstons Büro ist im Gebäude der Bundesbehörden im Süden der
       Innenstadt von Houston.
       
       ## 121.000 Dollar Strafe
       
       Hier wurde im Januar ein nigerianisches Paar verurteilt, das eine Frau aus
       Nigeria – ebenfalls als vermeintliche Angehörige auf Besuch – in die USA
       geholt und als Kindermädchen regelrecht versklavt hatte. Langston hatte den
       Fall zur Anklage gebracht. Die Frau musste sich 20 Stunden am Tag um die
       fünf Kinder des Paars kümmern, wurde mit Drohungen gefügig gemacht. Von
       Oktober 2013 bis November 2015 hatte sie jeden Tag gearbeitet, aber keinen
       Lohn bekommen. Dann vertraute sie sich den Nachbarn an.
       
       Jetzt muss das Paar ihr 121.000 Dollar Entschädigung zahlen und anderthalb
       Jahre ins Gefängnis bzw. in Arrest. Ein seltener Erfolg für Langston. Denn
       die meiste Opfer wagen keine Flucht – und melden sich schon gar nicht bei
       den Behörden.
       
       „Im Fernsehen gibt es manchmal Bilder von Razzien, da sind die Opfer dann
       mit Handschellen ans Bett gekettet“, sagt Langston. „Das ist das Bild, das
       viele Leute im Kopf haben. Aber meistens ist es ganz anders. Es wird vor
       allem psychologischer Druck aufgebaut, die totale Kontrolle, der die Opfer
       unterworfen sind, läuft auf anderen Wegen.“
       
       Teils würden den Arbeiterinnen in ihrer Herkunftsländern Monatslöhne von
       nur 50 Dollar im Monat für den Job in den USA geboten. „Und damit sind sie
       einverstanden,“ sagt Langston. Die Arbeiterinnen würden dann ins Land
       gebracht, bekämen aber oft gar keinen Lohn. “Die Familien behaupten dann,
       die Angestellten müssten erstmal die Reisekosten abarbeiten. Und das
       verrückte ist: Die Arbeiterinnen sind teils sogar damit einverstanden. Sie
       denken sie seien den Leuten was schuldig.“
       
       ## „Sie denken, sie seien die Verbrecherinnen“
       
       Sie versuchen erst dann zu flüchten oder sich zu wehren, wenn sie
       geschlagen oder missbraucht würden. Vielen der Arbeiterinnen, die Langston
       befragt hat, hatten keine Ahnung, dass sie auch als papierlose in den USA
       Rechte haben. „Sie denken, sie seien die Verbrecherinnen.“
       
       Seit dem Jahr 2000 gibt es in den USA den Trafficking Victims Protection
       Act. Opfer von Menschenhandel können seither von de Strafverfolgung wegen
       illegalem Aufenthalt ausgenommen werden. Theoretisch können sie zunächst
       für die Dauer des Strafverfahrens gegen die Täter im Land bleiben und seit
       einiger Zeit auch darüber hinaus eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis
       bekommen. Doch das Recht hat Tücken, sagt der Staatsanwalt Ruben Perez aus
       Houston.
       
       Seit im September der Hurrikan Harvey die Innenstadt von Houston
       überflutete, musste Perez in ein provisorisches Gebäude in einem
       Außenbezirk ziehen. 2004 hat Perez die Human Trafficking Rescue Alliance
       (HTRA), gegründet, ein Netzwerk zur Verfolgung von Menschenhandel. Perez
       hat lateinamerikanische Wurzeln, er kennt das Milieu der Latinos gut, aus
       dem viele migrantische Arbeiterinnen rekrutiert werden, die in die USA
       gebracht und dort ausgebeutet werden. Ähnlich wie Langston versucht Perez
       die Täter in diesem Milieu zu verfolgen. Das Problem sei für ihn dabei
       immer dasselbe: „Ohne Zeugen keine Anklage.“ Und die Zeugen haben eben oft
       Angst vor Abschiebung.
       
       ## Opfer haben Rechte
       
       Perez ärgert, dass die Medien den Unterschied Schmuggel und Menschenhandel
       immer verwischen. „Schmuggel ist ein Vertrag: ‚Wir bringen dich in die USA,
       das kostet 5.000 Dollar, dann ist unser Vertrag erfüllt und Du bist weg‘“,
       sagt Perez. „Ein Menschenhändler ist was anderes: Der zwingt die Leute
       hinterher für sich zu arbeiten.“ Und dann seien Leute Opfer und hätten
       Rechte. Aber das müssten sie eben auch wissen. „Jedes Mal, wenn ich an die
       Medien gehe, wiederhole ich dasselbe: Wir schieben die Leute nicht ab, wenn
       sie Opfer sind“, sagt er.
       
       Allerdings: Damit sie ein Visum bekommen, müssen sie theoretisch aussagen.
       Ob vor Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft liegt im Ermessen der
       Staatsanwaltschaft. Denn viele der Opfer hätten Angst vor dem, was die
       Täter ihren Familien antun können. „Ja, oft vertrauen sie uns nicht“, sagt
       Perez. „Sie sagen: Wenn ich aussage, wird meine Familie bedroht.“ Und dann?
       „Ich schicke keinen weg“, sagt Perez. „Wenn sie uns im Rahmen ihrer
       Möglichkeiten geholfen haben, haben sie ihren Teil getan.“
       
       Visa für illegal ins Land gebrachte Einwanderer weil sie ausgebeutet wurden
       – die Töne, die zuletzt aus Washington zu hören waren, lassen Zweifel
       aufkommen, dass diese Regelung Bestand haben wird. „Ich habe noch nichts
       davon gehört, dass die Administration irgendwas ändern will“, sagt Perez.
       Natürlich gebe es Rechte, die behaupteten, illegale Einwanderer würden nur
       sagen, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, um im Land bleiben zu
       können. „Aber das ist Unsinn,“ sagt Perez. „Wir schauen uns solche Aussagen
       sehr genau an. Mir ist so etwas schon mal untergekommen. Aber insgesamt ist
       unser Problem keineswegs, dass sie lügen und sagen, wie wurden ausgebeutet.
       Unser Problem ist, dass sie aus Angst nicht sagen, dass sie ausgebeutet
       wurden, obwohl es so war. Das versuche ich den Leuten immer klar zu
       machen.“
       
       ## Keine Alternativen
       
       Verständnis für die Lage der Opfer von Zwangsarbeit zu widmen versucht auch
       der Harvard-Professor Siddharth Kara. „Mit Menschenhandel wird jedes Jahr
       mehr Geld verdient, als Nike, Google, Intel und Starbucks zusammen
       einnehmen“, behauptet er. 100 Milliarden Dollar Gewinn seien es im letzten
       Jahr gewesen. Seit 2013 ist er Direktor der Forschungsstelle für
       Menschenhandel und moderne Sklaverei am Carr Center für
       Menschenrechtspolitik der Harvard Kennedy School. Er gilt als einer der
       weltweit führenden Experten für das Gebiet.
       
       Kara hat Hollywood-Produzenten dafür gewonnen, aus seinen
       Forschungsergebnisse einen Film zu machen. Kara schrieb das Drehbuch, 2017
       kam in den USA der Spielfilm „Trafficked“ heraus. Beim Casting allerdings
       griff Kara daneben: Eine Rolle bekam die Schauspielerin Ann Archer,
       bekannte Scientologin und Mutter des Ex-Scientology-Pressesprechers Thomas
       William Davis. Und gegen Scientology kommen immer wieder Vorwürfe auf,
       Mitglieder als ZwangsarbeiterInnen zu missbrauchen. Der Film bekam
       mittelmäßige Kritiken. „Manche haben mir das vorher gesagt, dass es
       schwierig wird. Aber ich wollte das unbedingt machen. Denn wie viele
       Menschen lesen ein Buch von mir? Ein paar Tausend. Wie viele sehen einen
       Film? Millionen.“
       
       Mit seinem Film, der den Weg junger Frauen aus Indien, Nigeria und
       Nordamerika in die Zwangsprostitution schildert, wollte Kara der Frage
       nachgehen, wo die Grenze des Menschenhandels verläuft. „Der stärkste
       Indikator für Zwangsarbeit ist der Mangel an vernünftigen Alternativen,“
       sagt Kara. Die Frage sei: „Hatte jemand je vernünftige Alternativen?“ Junge
       Frauen im Bordell, als Kindermädchen oder auch junge Männer auf den
       Baustellen der Golfstaaten, von denen es heißt, sie hätten sich bewusst für
       solche Jobs entschieden: „Wenn der Möglichkeitshorizont ungefähr bei Null
       liegt, ist das Konzept von Entscheidung wertlos.“
       
       Ähnliche Erfahrungen macht Ima Matul heute. Als ihr Peiniger in Beverly
       Hills sie nicht mehr nur nicht bezahlte und schlug, sondern sie auch
       sexuell missbrauchte, wandte sie sich an die Nachbar. Die riefen die
       Polizei. Matul war eine der ersten die auf der Grundlage des Trafficking
       Victims Protection Act ein Aufenthaltsrecht bekam. Heute arbeitet sie für
       die Coalition to Abolish Slavery and Trafficking in Los Angeles. Sie reist
       zu Vorträgen nach Südostasien, hält Vorträge, berichtet jungen Frauen von
       ihrem Martyrium. „Ich erzähle meine Geschichte, und am Ende kommen die
       Leute und fragen mich trotzdem, welche Wege es für sie gibt, in die USA zu
       kommen. Wir können die Menschen nicht davon abhalten, zu migrieren und ein
       besseres Leben zu suchen“, sagt sie.
       
       30 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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