# taz.de -- Kommentar Trumps Rede zur Nation: Kreide gefressen
       
       > Der US-Präsident gibt sich moderat, doch in der Sache bleibt er
       > spalterisch und hasserfüllt. Er streckt die Hand zu spät und nicht
       > glaubwürdig aus.
       
 (IMG) Bild: So lässt sich Trumps Rede einigermaßen ertragen
       
       Im Vergleich zu der düsteren Rede von dem „amerikanischen Blutbad“, die
       Donald Trump bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr gehalten hat, und im
       Verhältnis zu den Attacken, Beleidigungen und Lügen in seinen Tweets, klang
       seine [1][erste Ansprache zur Lage der Nation] geradezu harmlos. Vor dem
       Kongress kam er am Dienstagabend nicht nur ohne Verbalinjurien aus, sondern
       streckte sogar den Demokraten seine Hand aus. Er suchte nach
       „Gemeinsamkeiten“ und danach, die „Unterschiede beiseite zu lassen“. Und
       hielt sich bei besonders kontroversen Themen wie dem Bau einer Mauer
       entlang der Südgrenze auffallend zurück.
       
       Für den obersten Spalter im Weißen Haus war das ungewöhnlich und
       konziliant. Dahinter steckt einerseits, dass ein paar Hardliner, die ihm im
       vergangenen Jahr die Feder geführt haben, aus dem Weißen Haus verschwunden
       sind. Vor allem aber ist 2018 ein Wahljahr. Und wenn Trump im November die
       republikanischen Mehrheiten im Kongress halten will, muss er dafür sorgen,
       dass der Kongress endlich ein paar gesetzgeberische Erfolge zustande
       bringt. Und dazu wiederum braucht er sowohl eine geschlossene
       republikanische Partei, als auch eine gewisse Zusammenarbeit mit den
       Demokraten.
       
       Republikanische Kongressabgeordnete reagierten erleichtert auf Trumps erste
       „State of the Union“-Rede. Sie sprangen Dutzende Male aus ihren Sitzen, um
       zu applaudieren, und brachen mehrfach in lange „U-S-A“-Rufe aus. Für
       Republikaner, die lange vergeblich darauf gehofft haben, dass Trump endlich
       seinen aggressiven Wahlkampfmodus und das Zwiegespräch mit seiner rechten
       Basis hinter sich lässt und einen „präsidalen Ton“ anschlägt, scheint dies
       der Moment, der alles ändert.
       
       Doch Trump hat nur Kreide gefressen. In der Sache ist er spalterisch und
       hasserfüllt geblieben. Das zeigen sowohl die Themen, die er am
       Dienstagabend angesprochen, wie auch jene, die er ausgelassen hat.
       
       So hat er seine geplante Einwanderungsreform mit langen Ausführungen über
       Bandenmitglieder verbunden, die illegal in die USA gekommen seien. Und
       anstatt über die gesellschaftliche Verantwortung für Hunderttausende von in
       den USA aufgewachsenen jungen Einwanderern zu sprechen, brachte er einen
       Agenten der Ausländerpolizei ICE mit, der auf Abschiebungen spezialisiert
       ist und lobte dessen „Heldentum“ über den grünen Klee.
       
       ## Tiefe Risse in der Gesellschaft
       
       Große globale und nationale Ereignisse ignorierte Trump in der als
       Jahresbilanz gemeinten Rede komplett. Er sagte kein Wort über den
       Klimawandel und nichts über die gestörten internationalen Beziehungen.
       Stattdessen drohte er Ländern, die nicht mit den USA in der UNO stimmen,
       mit finanziellen Konsequenzen, kündigte die Einführung neuer Atomwaffen an
       und erklärte kategorisch, dass er das Gefangenenlager in Guantanamo weiter
       benutzen wird. „MeToo“, das größte gesellschaftliche Phänomen seiner
       bisherigen Amtszeit, erwähnte er nicht.
       
       Damit lassen sich die tiefen Risse, die Trump in seinem ersten Amtsjahr in
       der US-Gesellschaft verursacht hat, nicht überwinden. Von jenen Demokraten,
       die am Dienstag zu Trumps Auftritt erschienen sind, waren viele in Schwarz
       gekleidet, sie klebten in ihren Sitzen, klatschten nur selten und verhalten
       und buhten Trump stellenweise aus.
       
       Auch die Demokratische Partei ist längst im Wahlkampfmodus. In den Monaten
       bis zu den Halbzeitwahlen wird sie sich nicht auf die Suche nach
       Kompromissen mit den Republikanern und mit Trump konzentrieren, sondern
       darauf, im November Mehrheiten im Kongress zurückzuerobern.
       
       Trumps Versuch, der Opposition die Hand auszustrecken, kam – nach einem
       Jahr voller Hass – zu spät und zu oberflächlich. Für 800.000 junge
       „Dreamer“, deren Aufenthaltsgenehmigungen Trump ohne Not beendet hat und
       die im März zu Papierlosen werden, sieht die Zukunft nach dieser Ansprache
       zur Lage der Union noch düsterer aus.
       
       31 Jan 2018
       
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