# taz.de -- Aus Myanmar geflohene Rohingya: In der Sackgasse
       
       > Die Flüchtlinge sollten längst nach Myanmar zurückkehren. Tatsächlich
       > kommen viele Rohingya jetzt erst in Bangladesch an.
       
 (IMG) Bild: Auf der Flucht: Mit diesem Wagen kommt Aman zum Flüchtlingscamp in Bangladesch
       
       Cox's Bazar taz | Es ist Winter geworden in Bangladesch. Die einzelnen
       Zeltsiedlungen der Flüchtlinge aus Myanmar sind gewachsen und miteinander
       verschmolzen. Entwicklungshelfer nennen es das Megacamp mit mehr als
       hunderttausend Bewohnern. Flüchtlinge, die einst apathisch im Monsunregen
       am Straßenrand ausharrten, sind geschäftig dabei, sich mit dem, was sie
       besitzen, ein neues Leben aufzubauen. Die Straßen um die Camps sind nicht
       mehr mit bettelnden Menschen verstopft, sondern von den ordentlich
       durchnummerierten Vehikeln der Hilfsorganisationen. Wo vor ein paar Monaten
       Anarchie herrschte, ist endlich ein bisschen Normalität eingekehrt.
       
       Damit könnte es bald vorbei sein. Bangladesch und Myanmar haben eine
       Rückführung der geflüchteten Rohingya vereinbart, die Menschenrechtler als
       überstürzt und gefährlich bezeichnen. Mehr als 650.000 Männer, Frauen und
       Kinder der muslimischen Minderheit sind seit Ende August vor Myanmars
       Militär nach Bangladesch geflohen. Die Vereinten Nationen sprechen von
       einer ethnischer Säuberung und schließen nicht aus, das Myanmars Militär
       einen Völkermord an den Rohingya begangen haben könnte. Nun sollen die
       Flüchtlinge heimkehren, möglichst rasch, auch wenn Bangladesch am Montag
       den ursprünglichen für Dienstag geplanten Start der Repatriierung erst
       einmal verschoben hat.
       
       Doch während die beiden Regierungsdelegationen sich in der vergangenen
       Woche in Myanmars Hauptstadt Naypyidaw zu einem Rückführungspapier
       beglückwünschen, versteckt sich der 40-jährige Aman Ullah mit seiner Frau
       und den sechs Kindern in seiner Heimat in einem Wald vor den Soldaten.
       Sechs Tage harrt die Rohingya-Familie dort aus, bevor sie die Überfahrt
       über den Grenzfluss endlich wagen kann.
       
       Soldaten haben dem Rohingya gesagt, er müsse gehen, denn er sei ein Bengali
       und gehöre deshalb nach Bangladesch. So erzählt Aman es. In seinem Dorf
       würden jetzt Häuser für die ethnischen Rakhine gebaut. Aman Ullah und die
       rund 40 Nachbarn aus seinem Dorf sind unter den letzten Rohingya, deren
       Zuhause noch nicht niedergebrannt wurde. Als die Soldaten damit beginnen,
       Amans Bambushütte zu zerstören, kann auch er nicht mehr anders. Er nimmt
       seine Familie und geht. Jetzt sitzt Aman am Rande eines Marktes, dort wo es
       ruhiger zugeht, auf dem Betonvorsprung eines geschlossenen Geschäfts in
       einem bangladeschischen Grenzort. Ein Baby wimmert. Niemand hat in den
       letzten Tagen gut geschlafen, schon gar nicht in der letzten Nacht. Von 10
       Uhr nachts bis 4 Uhr morgens mussten Aman und seine Nachbarn auf einem Boot
       kauern, das sie über den Grenzfluss nach Bangladesch transportiert hat. Die
       Kinder haben noch Sand im Haar.
       
       „8 Männer, 16 Frauen, 20 Kinder“ notiert ein Polizist in sein Notizbuch. Er
       sagt „Bitte“, tritt zur Seite und macht eine großzügige Geste in Richtung
       der Flüchtlinge, die vor ihm auf dem Boden kauern und der Dinge harren, die
       da kommen. „Natürlich können Sie ein Foto machen“, sagt er zu der
       Reporterin. Der Polizist ist so lange auskunftsfreudig, bis es um die
       Rückführung der Rohingya geht. Dazu könne er nichts sagen. Er gibt seinen
       Kollegen am Telefon ein paar Daten durch, dann ist er verschwunden.
       
       ## Seit Jahrzehnten werden die Rohingya verfolgt
       
       Schon vor der Krise im August lebten rund 400.000 Rohingya in Bangladesch.
       Rückführungsaktionen gab es immer wieder, doch wirklich nachhaltig waren
       sie nie. Bangladesch musste sich regelmäßig die Kritik gefallen lassen, die
       Rohingya mit der Drohung, ihnen ihre Essensscheine zu entziehen, zur
       Rückkehr gezwungen zu haben.
       
       Dass die große Mehrheit der muslimischen Rohingya, der größten staatenlosen
       Gemeinschaft der Welt, nicht zurück nach Myanmar will, ist nicht
       verwunderlich. Dort werden sie seit Jahrzehnten verfolgt. Seit fünf Jahren
       leben die ethnischen Gemeinschaften voneinander getrennt. Viele Rohingya
       fristen ihr Dasein in Camps, die sie genauso wenig wie ihre Dörfer
       verlassen dürfen. Das Militär behauptet, das geschehe zu ihrem eigenen
       Schutz. Amnesty International nennt es Apartheid.
       
       „Nach Sonnenuntergang durften wir unsere Häuser nicht mehr verlassen“,
       erzählt Aman, der einmal Bauer war, Kühe und etwas Land besaß. Sogar im
       muslimischen Fastenmonat Ramadan mussten sie im Dunkeln essen, sagt er.
       Licht sei nicht erlaubt gewesen. „Wer einmal von den Soldaten mitgenommen
       wurde, der kam nie wieder.“ Wie solle man so leben, fragt er.
       
       Große Flüchtlingsströme nach Bangladesch gab es schon 1978 und 1992. Das
       Ausmaß der aktuellen Krise allerdings ist ohnegleichen. Die Rückführung
       dürfte sich nicht nur wegen der Masse an Menschen, sondern auch deshalb als
       schwierig erweisen, weil dieses Mal so viele Rohingya ihr Zuhause verloren
       haben.
       
       Das Ausmaß der Zerstörung ist sogar vom Weltall aus zu sehen. Mithilfe von
       Satellitenbildern konnten Human Rights Watch und Amnesty International
       nachweisen, dass Hunderte Dörfer in Schutt und Asche liegen. Die
       Rauchsäulen über den Rohingya-Dörfern waren jenseits des Grenzflusses in
       Bangladesch zu sehen – auch noch, als Myanmars Regierung behauptete, die
       „Sicherheitsoperation“ sei längst beendet.
       
       Das Unheil nimmt im August 2017 seinen Lauf. Aufständische Rohingya einer
       selbsternannten Befreiungsarmee greifen mehrere Grenzschutzposten an. Das
       Militär schlägt schonungslos zurück. Die Rohingya werden unter
       Terror-Generalverdacht gestellt. Eine gewaltige Fluchtbewegung setzt ein.
       
       Damals überbieten sich Bangladescher fast damit, die Flüchtlinge an der
       Grenze aufzulesen und sie in ihren Fahrzeugen zu den Camps zu bringen.
       Einheimische spenden so viele Kleidungsstücke, dass sich neben der Straße
       ein Textilsumpf bildet, das den Monsunregen aufsaugt.
       
       ## Ein Euro kostet die Fahrt zum Camp
       
       Damit ist es vorbei. Heute müssen Aman und seine Nachbarn dafür bezahlen,
       damit sie auf die Ladefläche zweier Trucks steigen dürfen. Umgerechnet
       einen Euro kostet die Fahrt ins Camp pro Passagier. Für Menschen, die fast
       nichts mehr besitzen, ist das sehr viel Geld. Auf halber Strecke hält der
       Wagen. Einer der Bangladescher will den Stapel an birmesischen Kyats in
       bangladeschische Taka wechseln. Wer in Myanmar mit Taka erwischt wird,
       riskiert eine Gefängnisstrafe.
       
       Aman und die anderen warten. Ein Bangladescher kommt und verteilt Kekse,
       Gurken und Wasserflaschen. Ein anderer hebt ein Baby aus dem Truck und
       sagt, während er mit dem kleinen Mädchen schäkert: „Wir können die
       Flüchtlinge nicht ewig hier behalten.“
       
       Andere haben weniger Geduld. Ein herannahendes Fahrzeug wird langsamer, als
       der Fahrer die Flüchtlinge sieht. Ein Mann lehnt sich aus dem Fenster.
       „Solche wie euch habe ich auf meiner Ladefläche auch mitgenommen. Und das
       haben wir jetzt davon, ihr seid schlecht“, schimpft er und rauscht davon.
       
       Hunderttausende Flüchtlinge haben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in
       der Stadt Cox’s Bazar verändert: Die Marktpreise haben sich dort in den
       letzten Monaten verdreifacht, das Lohnniveau ist dafür in den Keller
       gegangen. Kinder konnten wochenlang nicht zu ihren Schulen gehen, weil
       diese als Notunterkünfte dienten. Die menschengemachte Katastrophe hat die
       lokale Bevölkerung zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land gemacht.
       
       Aber kein einziger Vertreter Myanmars hat seit der Krise einen Fuß in eines
       der Flüchtlingslager gesetzt. Die humanitäre Belastungsprobe, die ihr Land
       den Bangladeschern aufbürdet, ist bei den Myanmarern kein Thema. Die
       Rohingya gehören nach Meinung der meisten sowieso nach Bangladesch. Es
       trifft sich deshalb gut, dass Mohammad Abul Kalam ein stoischer Mann ist.
       Im Anzug und mit blasslila Krawatte sitzt der Flüchtlingskommissar am Rande
       eines langgezogenen Büros in Cox’s Bazar an seinem mächtigen Schreibtisch.
       Hinter ihm thront ein Porträt von Premierministerin Sheik Hasina, die von
       ihrer Partei und dem Volk seit der Krise als die internationale Königin der
       Menschlichkeit und als Pionierin des Friedens verehrt wird. Mohammad Abul
       Kalam ist dafür verantwortlich, dass das so bleibt. Ende des Jahres stehen
       in Bangladesch Wahlen an.
       
       ## Die angekündigte Rückführung verzögert sich
       
       „Die Rückführung muss freiwillig und die Sicherheit der Flüchtlinge muss
       garantiert sein“, wiederholt er die Forderungen besorgter Menschenrechtler.
       Darüber, wie Bangladesch das sicherstellen will, möchte er keine genaue
       Auskunft geben. Lieber verweist er darauf, dass auch die internationale
       Gemeinschaft ihre Verantwortung annehmen müsse.
       
       Während Myanmars Regierungsvertreter wieder und wieder den 23. Januar als
       Starttermin der Flüchtlingsrückführung bestätigt haben und angeblich schon
       eine Liste der ersten Kandidaten existiert, scheint die bangladeschische
       Seite mehr darauf bedacht zu sein, ihr neues Image nicht zu verlieren und
       zugleich die eigene Bevölkerung bei Laune zu halten. Der
       Flüchtlingskommissar fasst es so zusammen: „Die Rückführung hat doch quasi
       schon begonnen: Ein Abkommen ist unterzeichnet.“ Dann lehnt er sich zurück.
       Erst an diesem Montag gibt Abul Kalam bekannt, dass es mit dem 23. Januar
       als Starttermin nichts wird.
       
       In einem überwucherten Transitcamp an der Grenze, wo in den neunziger
       Jahren Flüchtlinge für ihre Rückführung vorbereitet worden sind,
       inspizieren Regierungsvertreter das Gelände. Auf die Frage, wo denn die
       ominöse Liste sei und ob am 23. Januar Flüchtlinge in einem Boot nach
       Myanmar sitzen werden, lachen sie nur.
       
       ## Das Geld gestohlen, die Nacht bricht herein
       
       Aman, seine Familie und seine Nachbarn haben keine Ahnung, dass Bangladesch
       eigentlich gar keine Rohingya mehr aufnehmen, sondern sie vielmehr
       zurückschicken will. Sie haben erst einmal ein anderes Problem. Der
       Mittelsmann, der ihr Geld wechseln sollte, hat sich aus dem Staub gemacht.
       Der Fahrer weigert sich weiterzufahren. Die Sonne geht unter, bald wird es
       kalt.
       
       Dem offiziellen Procedere entsprechend, das Hilfsorganisationen und
       Regierung ausgearbeitet haben, sollten Aman und seine Familie eigentlich
       erst einmal in eine Auffangstation gebracht werden, wo sie registriert und
       ärztlich versorgt werden. Doch das Megacamp und seine kleineren Ableger
       bringen NGOs nach wie vor an ihre Grenzen. Viele Entwicklungshelfer haben
       die Idee von Wochenenden aus ihrem Terminkalender gestrichen. Nicht alles
       läuft nach Plan. In Regierungsbüros ist man sich uneinig, wie viele Camps
       es denn nun inzwischen seien. Man hat es mit der am schnellsten wachsende
       Flüchtlingskrise der Welt zu tun.
       
       Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der UNO ist nach wie vor nicht in die
       geplante Rückführung einbezogen worden. „Das ist alles Augenwischerei,
       nichts als ein politisches Spiel auf dem Rücken der Flüchtlinge“, sagt ein
       UN-Vertreter in Cox’s Bazar, der nicht namentlich genannt werden will.
       
       In Myanmar haben die Vereinten Nationen einen schweren Stand. Während viele
       internationale Beobachter ihr Tatenlosigkeit vorwerfen, klagen die
       Myanmarer, sie interessieren sich nur für die Muslime. Die UNO ist in die
       Schusslinie zwischen Menschenrechtsverfechtern und der Regierung geraten.
       Und Staatsrätin Aung San Suu Kyi, die Friedensnobelpreisträgerin und
       Demokratie-Ikone aus Myanmar, gilt vielen nun als Komplizin eines
       Völkermordes. Ihre Regierung tut die Vorwürfe von Mord, Vergewaltigung und
       Brandstiftung an den Rohingya als Fake News ab. Sie hat stattdessen die
       Versöhnung zwischen der Bevölkerung und der Armee nach einem halben
       Jahrhundert Militärdiktatur zur Priorität erklärt.
       
       ## Die Ausgewiesenen sind rechtlos
       
       In Bangladesch kommen Aman und seine Familie am Ende doch noch in einem
       Auffanglager an. Ein anderer Rohingya gibt ihnen etwas Geld. Im Camp hat
       sich Aman 70-Jähriger Nachbar Dil übergeben müssen, er kauert am Boden.
       Früher war er einmal Staatsbürger Myanmars. Jetzt ist er rechtlos und
       darauf angewiesen, dass Bangladesch und die internationale Gemeinschaft ihm
       helfen. Sein eigenes Land hat ihm die Papiere abgenommen.
       
       Abdullah, Amans zehnjähriger Sohn, sitzt auf einem Reissack mit den
       Kleidungsstücken und ein paar Küchenutensilien, die das Militär ihnen nicht
       weggenommen hat. Er hätte gerne seine Bücher mitgebracht und er sagt, dass
       er auf Englisch bis zehn zählen kann. Unter seinem Arm klemmt eine
       abgegriffene blumige Fleecedecke. Er hat sein Dorf bisher noch nie
       verlassen. Die Flucht war seine erste große Reise. „Deine Freunde kommen
       bestimmt auch noch“, sagt die Mutter, um ihren Sohn aufzumuntern. Die
       Flüchtlinge erzählen, dass noch viele andere Rohingya auf dem Weg nach
       Bangladesch seien.
       
       Aman weiß nicht, was nun mit ihnen passieren wird. Er weiß nur, dass die
       Soldaten in Myanmar ihm gesagt haben, dass er gehen soll. Alles, was er im
       Moment hofft, ist, dass er sich endlich waschen kann, um zu beten.
       
       Die Rohingya haben keine Stimme. Nicht in Myanmar und auch nicht hier im
       Camp in Bangladesch. Vereinzelt haben sich kleinere Protestgruppen
       gebildet, die fordern, dass sie nur unter der Bedingung zurückkehren
       werden, dass sie endlich ihre Rechte zurückbekommen und in Myanmar
       beschützt werden. „Lieber sterbe ich hier, als dass ich zurück nach Myanmar
       gehe“, sagt Yasemin, eine der Organisatorinnen. Soldaten in Myanmar haben
       ihren Mann und eines ihrer Kinder umgebracht.
       
       Ein paar Kilometer endloser Zeltreihen weiter. Die untergehende Sonne hüllt
       die Menschenmassen in gleißendes Licht. Zu Hunderten strömen sie zum Haus
       des Maji Yousuf, der als Vertrauter für sie mit Bangladeschs Militär
       zusammenarbeitet. Je näher man dem Haus kommt, desto lauter wird das Klagen
       und Weinen. Eine Verwandte des Maji stützt sich gegen die Bambusstange der
       Hütte. Sie bebt vor Schluchzen. „Mein Bruder ist tot, oh Allah, Allah.“
       Hinter einer Plastikplane wird der leblose Körper des Maji Yousuf gewaschen
       und balsamiert. Auf seiner Stirn klafft eine Schusswunde.
       
       Nach Einbruch der Dunkelheit sei eine Gruppe Unbekannter in das Zelt des
       Maji gekommen, heißt es von Umstehenden. Einer der Männer schoss ihm in den
       Bauch, den Mund und die Stirn. Er war sofort tot.
       
       23 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Verena Hölzl
       
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