# taz.de -- Blutrünstige TV-Krimis: Tod durch Fernsehen
       
       > Im ARD-Tatort wird so wenig gemordet, wie schon lange nicht mehr. Dennoch
       > bleiben TV-Krimis deutlich tödlicher als die Realität.
       
 (IMG) Bild: Wieder ein Toter mehr
       
       Kriminalstatistiken sind ja immer so eine Sache. Meist werden sie vor allem
       genutzt, um Angst zu machen oder eine bessere Ausstattung der Polizei zu
       fordern. Um so erfreulicher, wenn die Zahl der Opfer mal unübersehbar
       deutlich zurückgeht. In diesem Fall gleich um fast 50 Prozent – von 162 auf
       nur noch 85.
       
       Das ist die Zahl aller Leichen, die im Jahr 2017 bei neu ausgestrahlten
       Tatorten in der ARD zu sehen waren. Im Jahr zuvor hatten die Statistiker
       der Fanseite [1][tatort-fundus.de] noch 162 tödliche Opfer des Verbrechens
       ermittelt.
       
       Dennoch wurden in jeder der 35 neuen Folgen im Schnitt immer noch 2,43
       Menschen gekillt. Beliebteste Tötungsart war bei den DrehbuchautorInnen das
       Erschießen. Gleich 24 Mal kam jemand durch eine oder mehrere Kugeln ums
       Leben. Sechs mal wurde jemand erschlagen, in fünf Fällen wurde ein Mensch
       erstochen. Weitere Todesursachen sind verbrannt, überfahren, vergiftet und
       erhängt. Vier wurden durch eine Bombenexplosion getötet.
       
       Wer sich die Krimis Sonntag für Sonntag anschaut, bekommt ein
       eindrückliches Bild vom Zustand der Republik. Allerdings ein schiefes. Denn
       die Realität ist bei weitem nicht so blutig.
       
       ## Blutschwemme in Münster
       
       Das erkennt man etwa an einem Blick ins beschauliche Münster, das gleich
       zweimal pro Jahr als Kulisse für den Tatort mit dem laut Einschaltquoten
       äußerst beliebten Kommissar Thiel und dem Gerichtsmediziner Professor Börne
       herhalten muss. Aufs Jahr gerechnet verbrauchen die beiden – statistisch
       gesehen – im Schnitt fünf Mordopfer.
       
       Hinzu kommt aber auch noch der Privatdetektiv Wilsberg, der für die
       gleichnamige Krimireihe im ZDF nach Mördern sucht. Im Jahr 2017 war er
       gleich in fünf Erstausstrahlungen zu sehen. Legt man auch hier die
       Opferrate des Tatort zu Grunde, gingen dabei insgesamt etwa 12 Menschen bei
       drauf. Macht zusammen: 17 Opfer von Mord und Totschlag in Münster binnen
       eines Jahres.
       
       Ginge es tatsächlich brutal zu, wäre in der katholischen Provinzhauptstadt
       wohl der Teufel los. Laut Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes wurde
       im Jahr 2016 (Zahlen für dieses Jahr gibt es noch nicht) in Münster zum
       Glück nur ein einziger Mensch getötet. 2015 waren es zwei – ein absoluter
       Höchstwert. Denn in vielen Jahren kam dort überhaupt niemand durch ein
       Gewaltverbrechen ums Leben – außer in den Drehbüchern der Krimiautoren.
       
       Von denen aber gibt es Unmengen. Schließlich braucht es stets frisches Blut
       für all die deutschen Krimiserien, egal ob sie nun Alles Klara, Bella Block
       oder Der Alte heißen, völlig wurscht ob sie in Barcelona, Istanbul oder
       Friesland spielen, einerlei ob die Soko in Kitzbühl, Köln oder Leipzig
       angesiedelt ist, ob die Ermittler Kommissar Luca, Helen Dorn oder schlicht
       Heldt heißen, und auch unabhängig davon ob die Toten im Bodensee, auf
       Usedom oder an der Hafenkante gefunden werden.
       
       ## Bedarf: Jährlich 1.000 Leichen
       
       Zählt man alle Folgen deutscher Krimiserien zusammen, die im Jahr 2017
       allein von ARD und ZDF erstmals ausgestrahlt wurden, kommt man auf die
       mörderische Zahl von mindestens 414. Multipliziert mit der Tatort-Todesrate
       ergibt sich somit ein jährlicher Gesamtleichenbedarf von exakt 1.005. Und
       da sind die TV-Spielfilme, in denen ja auch gelegentlich mal jemand über
       den Jordan geschickt wird, nicht einmal mitgezählt.
       
       Da beruhigt nur noch ein Blick in die nüchternen Zahlen des
       Bundeskriminalamtes. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es in ganz
       Deutschland im Jahr 2016 nur 373 Mordopfer. Hinzu kommen weitere 503, die
       durch Totschlag oder Tötung auf Verlangen ihr Leben verloren – zwei neben
       dem klassischen Mord durchaus krimirelevante Straftaten.
       
       Insgesamt aber gab es dennoch nur 873 Todesopfer in realita, also deutlich
       weniger als die hochgerechneten 1.000 TV-Leichen. Damit wird klar: wer in
       Deutschland lebt, wird mittlerweile wahrscheinlicher Mordopfer in einem
       TV-Krimi von ARD und ZDF, als dass man tatsächlich umgebracht wird.
       
       Das liegt nicht nur an der kontinuierlichen Zunahme von TV-Krimis bei ARD
       und ZDF in den letzten Jahren, sondern auch am gleichzeitigen Rückgang der
       echten Gewaltkriminalität.
       
       Denn im Jahr 2000 gab es noch 1.015 Opfer von Mord und Totschlag in
       Deutschland, 2016 waren es fast 14 Prozent weniger. Während uns das
       Fernsehen also eine zunehmend brutale Fiktion vorspielt, wird das real life
       immer sicherer.
       
       30 Dec 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://tatort-fundus.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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