# taz.de -- Retrospektive Ernst Lubitsch: Bis zum Hals im Faktischen
       
       > Das Kino Arsenal widmet dem Meister geistreicher Komödien eine Filmreihe
       > – mit einem Schwerpunkt auf seine Zeit in Hollywood
       
 (IMG) Bild: „Ninotchka“ (USA 1939) mit Greata Garbo als linientreue Sowjet-Funktionärin
       
       Im Herbst 1913 dreht der Regisseur Carl Wilhelm den Film „Die Firma
       heiratet“. Am 23. Januar 1914 uraufgeführt, läuft er zwei Wochen lang in
       acht ausverkauften Lichtspieltheatern. „Ein boshafter, satyrischer und
       frecher Schritt in die heiligen Räume der Mode …“ steht dazu in der
       Lichtbild-Bühne zu lesen. Ein Burleskfilm, ein Slapstick, zeitgleich mit
       dem amerikanischen Slapstick geboren.
       
       Und mit dem 22-jährigen Ernst Lubitsch, der darin seine erste Hauptrolle
       spielt, das Pendant zu Charlie Chaplin. Chaplin, der den deklassierten
       Engländer darstellt, steht Lubitsch als der jüdische Karrierist aus Berlin
       gegenüber. Chaplin: brutal, skrupellos, sentimental. Lubitsch: frech,
       unverfroren, charmant. Beide asozial. Beide Karikaturen. Beide Auslöser
       eines „Affekts des kollektiven Gelächters“, wie es Walter Benjamin nannte.
       
       Ssimcha Lubitsch, Inhaber der „Betriebswerkstätte für Damenmäntel“,
       Schönhauser Allee 183, hatte seinen 16-jährigen Sohn vor den Spiegel
       gestellt. „Schau dich an! Und du willst ans Theater? Bei mir kannst du auch
       mit diesem miesen Gesicht Geld verdienen.“ Widerwillig fängt Ernst eine
       kaufmännische Ausbildung an und landet zwei Jahre später doch beim Theater.
       
       Der Komiker Victor Arnold hat ihm ein Entree bei Max Reinhardt verschafft.
       So steht er ab August 1911 auf der Bühne. Das Max-Reinhardt-Ensemble ist
       die erste Elite. Allerdings stiehlt der Kintopp dem Deutschen Theater die
       Zuschauer weg. Für Lubitsch Grund, sich 1913 dem Film zu verschreiben.
       
       Er legt stante pede einen furiosen Tanz aufs Parkett: 37 Filme bis
       Kriegsende, meist als Drehbuchautor, Regisseur und Darsteller in einer
       Person. Als Ladenschwengel, Schuhverkäufer, Konfektionär und Kommiss macht
       er sich selbst zum Gespött und nimmt so den Antisemiten den Wind aus den
       Segeln, denn die Zuschauer lachen sich krumm und erheben ihn zum
       Publikumsliebling.
       
       Wie Chaplin will sich auch Lubitsch nicht auf Komödien beschränken. Doch
       während jener mit dem Melodram „A Woman of Paris“ eine Bauchlandung macht,
       feiert Lubitsch einen Erfolg nach dem andern – mit Kostümfilmen wie „Madame
       Dubarry“ (1919), „Sumurun“ (1920), „Anna Boleyn“ (1920), „Das Weib des
       Pharao“ (1921). Sie werden mit gewaltigem Aufwand und hohen Kosten gedreht,
       doch ins Ausland verkauft bringen sie das Doppelte ein.
       
       Dazwischen Komödien wie „Die Austernprinzessin“, „Kohlhiesels Töchter“ oder
       „Die Puppe“, ein Film, der die katholische Kirche Sturm läuten lässt. In
       der amerikanischen Filmzeitschrift Variety rätselt man, wer dieser „Emil
       Subitch“ denn sei. Bald schon kann sich Amerika ein Bild von ihm machen.
       Ende 1922 trifft er nämlich in Hollywood ein.
       
       Samson Raphaelson, der für Lubitsch Drehbücher schrieb, erinnerte sich
       seiner als naiv, einfach, bescheiden, frei von Argwohn und
       Scheinheiligkeit, ein Mann, der ständig Lesebrille, Zigarren und
       Manuskripte vergaß. „Er hatte keine Zeit für Manieren, doch sogar die Garbo
       lächelte in seiner Gegenwart, und auch Sinclair Lewis und Thomas Mann.“ Als
       Regisseur ist Lubitsch anspruchsvoll, ökonomisch, präzise.
       
       Aus seinen Filmen ist alles Vage und Unformulierte verbannt. Ihm gilt als
       Devise: Keinen Eindruck schinden mit Dekorationen, der Zuschauer muss bis
       zum Hals im Faktischen stecken – wobei ihm Fakten Würfel und Spielkarten
       sind. Dazu kommt, was man bald den „Lubitsch-Touch“ nennt, ein Spotten und
       Preisen, welches keine Schnittstelle kennt, etwas Unbenennbares, Leichtes,
       das man aber deutlich verspürt. Und Türen!
       
       Der Production Code, nach seinem Initiator auch Hays-Code genannt, hatte
       die „saubere Leinwand“ zum Ziel. Unter dem Druck der katholischen Kirche
       entstanden, soll er vor sexuellen, verbrecherischen, gotteslästerlichen und
       amoralischen Darstellungen schützen.
       
       Lubitsch legt die Moralisten aufs Kreuz, indem er die Funktion von Türen
       inszeniert. Da, was hinter diesen geschieht, in der Fantasie des Zuschauers
       umso fantastischer blüht, setzt er sie so in die Handlung, dass der Film
       zum Regiewechselspiel mit dem Publikum wird. Lubitsch, der Meister der
       Türen.
       
       Jean Renoir meinte, Lubitsch habe das moderne Hollywood erfunden. Doch
       diese Ehre gebührt Charlie Chaplin, der mit „A Woman of Paris“ neue
       stilistische Maßstäbe setzt. Jedoch nimmt Lubitsch sie auf und reicht sie
       weiter an Regisseure wie Alfred Hitchcock, Otto Preminger, Frank Borzage,
       Billy Wilder. Auch stellt für ihn der Tonfilm eine kinemathografische
       Bereicherung dar.
       
       Keinem Genre verpflichtet, bringt er Operetten und Revues auf die Leinwand,
       Dramen, Komödien, Agentenfilme und Krimis. Pola Negri, Greta Garbo, Marlene
       Dietrich, Jeanette MacDonald, Maurice Chevalier, John Barrymore, Gary
       Cooper, die großen Hollywood Stars und die unzähligen Sternchen umkreisen
       ihn in der Hoffnung, eine Rolle oder ein Röllchen angeboten zu kriegen. Der
       Konfektionslehrling aus der Schönhauser Allee erobert die Vereinigten
       Staaten und viele andere Länder.
       
       Den Nazis ist der Berliner Jude verhasst. Seine Filme werden aus den Kinos
       verbannt, ihm selbst die deutsche Nationalität aberkannt. Lubitsch zahlt es
       ihnen mit seiner schärfsten Waffe zurück: dem jüdischen Witz. „To Be or Not
       To Be“ (1942) ist, wie Peter Bogdanovich schrieb, nicht nur Satire, sondern
       das Hohelied auf den unbezwingbaren Mut und Humor der Menschen im Angesicht
       des Unglücks und bewirkt, was die Nazis am härtesten trifft: das Gelächter
       des Publikums über ihre Nichtig- und Lächerlichkeit.
       
       Vor 70 Jahren, am 30. November 1947, stirbt Ernst Lubitsch – die dicken
       schwarzen Zigarren! – 55-jährig an einem Herzinfarkt, dem 1945 bereits
       einer vorausging. Beigesetzt wird er auf dem Forest Lawn Memorial Park in
       Glendale. Zu den zahlreichen Trauergästen gehören seine Kollegen Billy
       Wilder und William Wyler. Auf dem Weg zurück vom Begräbnis, bricht Wilder
       das Schweigen. „Kein Lubitsch mehr.“ „Schlimmer“, entgegnet ihm Wyler,
       „keine Lubitsch-Filme mehr.“
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       21 Dec 2017
       
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