# taz.de -- Die Wahrheit: Haallloooo, Kiiinder!
       
       > Vor Weihnachten müssen Kinder sich unbedingt Theateraufführungen ansehen,
       > um zu leiden unter dem Schrott, der auf den Bühnen gegeben wird.
       
 (IMG) Bild: Viel verleihen kann Marietta Kneip bald nicht mehr, die Wohnung der Familie ist schon halb leer
       
       Weihnachtszeit bedeutet in Schulen und Kindergärten: Theaterzeit. Man will
       den Nachwuchs wegholen von den Smartphone-, Fernseh- und
       Computerbildschirmen, auf denen hochwertige Filme und Serien zu bestaunen
       sind. Stattdessen sollen sich Regiearbeiten des nächstgelegenen
       Schauspielhauses auf den unschuldigen Netzhäuten abzeichnen.
       
       Deshalb lassen jugendaffine Theatermacher ihre Akteure als Peter Pan, Balu
       der Bär oder Alice im Wunderland auftreten und „HAAALLLOOOOOOO,
       KIIIINDER!!!“ brüllen. Pädagogen erhoffen sich davon vermutlich, die von
       dem eindrucksvollen Erlebnis Geschädigten mögen ihren Internetzugang
       hernach wirklich zu schätzen wissen.
       
       In Ramschkostümen aus der düstersten Fundusecke und vor im
       Feuerzangenbowlensuff zusammengeschreinerten Bühnenbildern kaspern die
       Mimen dann herum. Fragen: „Nanuuu? Wo ist denn die böse Hexe?“, die bloß
       anderthalb Meter entfernt lauert. Die enervierten Mädchen und Jungen ziehen
       seufzend die Augenbrauen gen Stirn, tun den armen Seelen aber den Gefallen
       und rufen: „Hinter dir!“, sind sie doch noch reinen Herzens und bringen es
       nicht über selbiges, den Irren da vorne auflaufen zu lassen, „obgleich er
       es allemal verdient hätte, der Depp“ (Ophelia-Marie, sechs Jahre alt).
       
       Zu keiner Sekunde lassen sich die Sprösslinge bei solchen Aufführungen
       anmerken, wie furchtbar all das ist, was sich in hiesigen Kindertheatern
       abspielt. Da wird auf den Brettern geschrien, gepupst und gedummbeutelt,
       dass es nur so einiges hat, aber keine Art.
       
       Der Höhepunkt des grausamen Spiels ist erreicht, wenn die Darsteller, noch
       angeglimmert vom Vorabend, umherrumpeln und wenn Räuber Hotzenplotz nicht
       nur lallt, sondern auch eine Fahne mit sich führt, als hätte er sich fünf
       Tankerflotten Ouzo in den Ösophagus manövriert. Es mag wie eine
       Übertreibung klingen, doch welches Kind hat nicht selbst schon diese
       Mischung aus Schminke, Kotze und Fusel gerochen?
       
       Dabei wissen die Kulturschaffenden doch eigentlich um die Bedeutung der
       Kinderkundschaft: Zwar zahlen die Halbwüchsigen in der Regel nur die
       Hälfte, sie erscheinen dafür aber auch in Scharen. Die teilweise
       verblüffend hohen Auslastungszahlen der Häuser wären ohne die Schwärme der
       von Bildungs- respektive Erziehungseinrichtungen zum Besuch Gezwungenen
       erheblich niedriger.
       
       Allein: Solange Paare noch zuverlässig ihre statistisch immerhin 1,5 Kinder
       produzieren, gibt es ausreichend Nachschub an Grundschul- und
       Unterstufenklassen, die das kirremachende Gegurke über sich ergehen lassen.
       Man sieht: Ein Volkssterben könnte auch Vorteile haben.
       
       Dass sich heute approximativ nur noch ein Prozent der Deutschen ins Theater
       traut, liegt also möglicherweise weder an genereller Kulturverdrossenheit
       noch an konkurrierender Popkultur. Kindheitstraumata sind die Ursache.
       
       20 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cornelius Oettle
       
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