# taz.de -- Grundeinkommen in Deutschland: Existenzangst ist nicht mehr
       
       > Was macht es mit Menschen, wenn sie sich keine Sorgen um Einkünfte machen
       > müssen? Drei Protokolle über eine neue individuelle Freiheit.
       
 (IMG) Bild: Wenn Lasten abfallen
       
       Hilde, 59, gewann 2015 das Grundeinkommen Nr. 23. Sie lebt in Berlin und
       zählt sich zum „künstlerischen Prekariat“. Sie möchte „aus beruflichen
       Gründen“ anonym bleiben.
       
       Ich hatte relativ viele Schulden und war gerade an dem Punkt angelangt,
       Hartz IV beantragen zu müssen. Das war und ist für mich der absolute
       Horror. Ich war seit 2006 nicht mehr in dieser Behörde – und ich will da
       auch nicht wieder rein! Ich dachte also gerade, es ist so weit, ich kann
       jetzt nicht noch jemanden anpumpen. Und dann kam dieses Grundeinkommen.
       
       Das war natürlich erst einmal eine Befreiung, weil ich wusste, mir bleibt
       der Gang ins Jobcenter erspart. Ich hatte ein Gefühl riesengroßer
       Dankbarkeit. Zu Anfang dachte ich ständig, das musst du jetzt aber
       weitergeben, das kannst du nicht für dich behalten. Mich daran zu gewöhnen,
       dass das bedingungslos ist, dass ich dafür nichts tun muss, das ist mir
       ganz schwer gefallen.
       
       Was ich am stärksten empfinde, ist eine größere Leichtigkeit im Leben, auch
       jetzt noch. Es geht beim Grundeinkommen meiner Meinung nach gar nicht
       primär ums Finanzielle. Es verschieben sich Wertigkeiten. Ich hatte die
       Zeit und den Raum zu gucken, was ich will und was ich nicht mehr will. Ich
       habe zum Beispiel eine schon seit zehn Jahren bestehende Arbeitsbeziehung
       beendet, weil ich plötzlich gemerkt habe: Das stimmt für mich gar nicht
       mehr.
       
       Ich konnte das ohne Aggression tun, obwohl mich dieses Arbeitsverhältnis
       immer wieder mit Zorn erfüllt hatte. Wenn man unter Existenzangst steht,
       kann man diese Ruhe nicht entwickeln, oder es fällt einem wesentlich
       schwerer, solche Entscheidungen zu treffen.
       
       Das Grundeinkommen hat mich in eine andere Verhandlungsposition gebracht.
       Ich habe gemerkt, dass meine Arbeit ein Angebot ist – und darüber reden der
       Auftraggeber und ich dann. Ich fühle mich nicht mehr so sehr als
       Bittstellerin. Diese Veränderung in der Einstellung ist nachhaltig. Ich
       verdiene viel besser als vorher, einfach weil ich mich und meine Arbeit
       inzwischen anders präsentiere und mit einem anderen Selbstbewusstsein
       auftrete.
       
       Das ist auch der entscheidende Unterschied zu Hartz IV. Das Grundeinkommen
       würdigt und respektiert dich, in dem wie du bist und was du machst. Und
       dieses Gefühl, wertgeschätzt zu sein, das öffnet Schleusen, das gibst du
       weiter. Ich glaube, dass ist ein ganz natürlicher Reflex. Ich habe eine
       richtige Lust am Teilen und Weitergeben entwickelt. Ich lade oft Menschen
       zum Essen ein, was ich vorher finanziell nicht konnte. Das macht richtig
       Spaß!
       
       Mit Teilen meine ich aber auch Zeit, Wissen, Emotionen. So banale
       Kleinigkeiten wie jemanden zu besuchen, der nicht aus dem Haus kann,
       jüngere Kollegen zu coachen oder mit jemandem für sein Englisch-Examen zu
       üben. Finanzielle Not macht es dir unmöglich, zu teilen oder teilzuhaben.
       Das macht eine Gesellschaft auf Dauer kaputt.
       
       Bei Hartz IV bist du abhängig von einem Apparat, der dich als Person nicht
       wahrnimmt. Mit dem Grundeinkommen kommt ein Gefühl von Freiheit,
       Entscheidungen zu treffen und nicht nur Empfängerin von Entscheidungen zu
       sein. Damit geht auch ein Verantwortungsbewusstsein einher: für dein
       eigenes Leben und für dein Umfeld.
       
       ***
       
       Marc Wander, 30, lebt in Kassel und gewann 2015 das 13. Grundeinkommen. Das
       ermöglichte ihm eine Auszeit, durch die sich seine chronische Krankheit
       stark verbesserte.
       
       Als das Grundeinkommen kam, lebte ich gerade vom Krankengeld und es wäre
       zwei Monate später ausgelaufen, ohne dass eine wirkliche Genesung in so
       kurzer Zeit denkbar war.
       
       Ich habe Morbus Crohn, eine chronisch entzündliche Magen-Darm-Erkrankung.
       Nach Jahren der Kortisonbehandlung und Ernährungsumstellung habe ich mit
       einer Psychoanalyse begonnen. Dadurch habe ich sehr viel über die
       Wechselwirkungen zwischen meinem Körper und meiner Psyche und über die
       inneren Ursachen für meine Krankheit verstanden. Mein damaliger Job warf
       mich in meinem Genesungsprozess aber immer wieder zurück: Ich habe mich
       eine Zeit lang total für die Arbeit ausgepowert und war anschließend wieder
       krank. Auch mit einer Arbeitszeitreduzierung wurde es nicht besser.
       
       Schließlich musste ich eine Auszeit zu nehmen, um mich ganz meiner
       psychischen Gesundung widmen zu können und habe Krankengeld beantragt. Das
       bedeutete allerdings, dass ich alle sechs bis acht Wochen aufs neue darum
       kämpfen musste, dass meine Arbeitsunfähigkeit anerkannt wird. Den
       Krankenkassen geht es vor allem darum, dass du schnell wieder
       funktionierst, an einer langfristigen Heilung scheinen die nicht
       interessiert zu sein.
       
       Durch das Grundeinkommen musste ich auf einmal nicht mehr in diesem Sinne
       funktionieren, mit Behörden verhandeln, mich rechtfertigen, warum ich die
       Zeit brauche. Ich konnte mich einfach dem widmen, was in meinem Inneren
       seit 30 Jahren danach schreit, dass ich mich ihm annehme. Ich habe gespürt:
       Das darf jetzt Raum haben.
       
       Ich konnte die Medikamente weiter reduzieren. Nach einem halben Jahr konnte
       ich das Kortison ganz weglassen, zum ersten Mal seit zehn Jahren! Zuvor war
       das Signal, das ich durch die ständige Auseinandersetzung mit den Behörden
       bekommen hatte, gewesen: Wenn ich mir die Zeit nehme, mich mit diesem Teil
       von mir zu beschäftigen, gefährdet das meine Existenz. Das hatte bei mir in
       eine tiefe Kerbe geschlagen.
       
       Dieses Gefühl der Existenzangst hat mir das Grundeinkommen zum ersten Mal
       genommen. Es hat mir das Gefühl vermittelt: Es ist o.k., wie du gerade
       bist.
       
       Ich bin ein viel lebendigerer Mensch geworden. Neulich habe ich meine Tante
       zufällig wieder getroffen und habe jetzt wieder Kontakt zu ihr. Sie hat
       einen Hund. Ich wollte schon als Kind einen Hund haben, aber meine Eltern
       meinten, die machen nur Dreck. Ich gehe jetzt regelmäßig mit den Hund
       Gassi, passe auf ihn auf, wenn meine Tante mal übers Wochenende weg ist.
       Bis vor ein oder zwei Jahren wäre mir das gar nicht möglich gewesen, ich
       war wie versteinert. Inzwischen lebe ich viel spontaner meine Emotionen.
       
       Ich habe von meinem früheren Arbeitgeber eine Abfindung erhalten, davon
       zahle ich mir jetzt weiterhin selber ein Grundeinkommen aus. Auch bei
       diesen Verhandlungen hat mir das Grundeinkommen den Rücken gestärkt.
       Langsam wird es mir möglich, meine Bedürfnisse und die Ansprüche der
       Arbeitswelt zu vereinbaren. Ich habe viel positives Feedback für meine
       Blogeinträge bekommen und beschlossen, ein Buch zu schreiben. Es ist ein
       erster Versuch, wieder eine Arbeitsleistung zu erbringen. Das klappt noch
       nicht immer, aber es wächst langsam heran.
       
       ***
       
       Eike Wendland, 41, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Berlin
       und arbeitet freiberuflich als Grafiker und Produktioner. Sein 6-jähriger
       Sohn Miko gewann 2016 das Grundeinkommen. 
       
       Es war der 6. Dezember, Nikolaus, wir hatten Besuch und ich war gerade am
       Kochen als meine Cousine anrief und meinte, Miko hätte das Grundeinkommen
       gewonnen. Ich wollte sie erst abwimmeln, weil ich beschäftigt war, ich habe
       gar nicht verstanden, wovon sie sprach. Als es mir dann dämmerte, war die
       Freude natürlich groß, dass der kleine Knirps jetzt der Glücksbringer für
       die Familie ist.
       
       Meine Frau und ich sind beide freiberuflich, ich hatte 2014 einen schweren
       finanziellen Einbruch. Da ist so eine Geldspritze für ein Jahr natürlich
       super, um entspannter durch den Familienalltag zu gehen. Jeden Monat aufs
       Konto zu gucken und zu sehen, geil, es ist wieder drauf – das hat uns
       unheimlich entlastet.
       
       Ich schlafe seitdem besser. Ich denke nicht mehr so sehr drüber nach, wie
       ich diese Scheißmiete bezahlen soll, weil Kunde XY noch immer nicht das
       Geld überwiesen hat. Ich kann mit gutem Gewissen sagen: Heute mach ich mal
       nichts. Oder: Nein, ich mach jetzt keine Reinzeichnung, weil ich
       Reinzeichnungen hasse wie die Pest.
       
       Die Kinder dürfen sich jetzt jeden Monat ein Buch aussuchen. Wir sind auch
       das erste Mal seit Jahren in Urlaub gefahren, zu Freunden in die Schweiz.
       Die Jungs waren total glücklich, unsere Freunde endlich wieder zu sehen.
       Meine Frau und ich haben für zehn Tage das Handy ausgemacht, keine E-Mails
       gelesen, wir haben einfach quality time miteinander verbracht. Das war ein
       Lebensgefühl, das ich gar nicht mehr kannte!
       
       Seitdem wir das Grundeinkommen haben, gibt es ab und zu wieder diese
       Momente, in denen die Freiheit durchblitzt: Wenn ich auf dem Fahrrad durch
       die Gegend gondele, ohne mir Gedanken zu machen, was ich später noch
       erledigen muss. Dann merke ich, da ist noch so viel mehr Freisein,
       Menschsein drin!
       
       Ich habe nicht mehr diese Existenzangst und denke deshalb auch anders
       darüber nach, was ich noch in meinem Leben ändern möchte. Ich habe gemerkt:
       Ich muss nicht die nächsten 20 Jahre so weitermachen wie bisher und mit 65
       bedauern, dieses und jenes nicht gemacht zu haben. Ich würde gerne 50
       Prozent weniger arbeiten und dann gucken, was ich mit dem Rest der Zeit
       mache. Vielleicht ehrenamtlich was mit Kindern.
       
       Auf jeden Fall habe ich durch das Grundeinkommen gemerkt: Ich möchte mich
       mehr an der Gesellschaft beteiligen, als ich das bisher getan habe. Ich
       möchte mehr dafür arbeiten, dass es alle kriegen.
       
       24 Dec 2017
       
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