# taz.de -- Debatte Politische Bildung an Schulen: Gegen Hass und Gewalt
       
       > Nur eine Wochenstunde Sozialkunde in der Schule? Politische Bildung muss
       > ausgebaut werden. Sie befähigt zum Leben in Freiheit.
       
 (IMG) Bild: Schule soll ihren Bildungsauftrag einlösen – von der ersten bis zur letzten Jahrgangsstufe
       
       Das lange Zeit Unvorstellbare ist geschehen: Die Alternative für
       Deutschland (AfD) ist in den Deutschen Bundestag eingezogen. Erstmalig in
       der knapp 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik hat die zwischen
       Rechtsextremismus und Rechtspopulismus changierende Fremdenfeindlichkeit
       ein parlamentarisches Standbein.
       
       Zahlreiche Kommentatoren erkennen in dem parlamentarischen Arm der
       Rechtspopulisten eine „europäische Normalität“. Aber all die Verweise auf
       die belgische Regionalpartei Vlaams Belang, die europafeindliche britische
       Partei Ukip, den französischen Front National oder die von Geert Wilders
       begründete Partei für die Freiheit in den Niederlanden können den
       Wahlerfolg der AfD nicht relativieren. Denn eines steht fest: Das
       (parlamentarische) Erstarken des Rechtspopulismus bedroht die Demokratie.
       
       Eine wehrhafte Demokratie muss sich dem Aufstieg der Rechtspopulisten
       entgegenstellen. Gerade im Schatten unserer Historie können wir nicht zur
       Tagesordnung übergehen. Es braucht einen Kraftakt der Demokratinnen und
       Demokraten. Zivilcourage und politisches oder soziales Engagement müssen
       jedoch erlernt werden. Wenn nach einer unlängst veröffentlichten
       repräsentativen Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung vier von zehn
       Schülerinnen und Schülern nicht wissen, dass Auschwitz-Birkenau ein
       Konzentrations- und Vernichtungslager während des Zweiten Weltkriegs war,
       dann müssen die Alarmglocken auch in den Kultusministerien schrillen.
       
       Während rechtspopulistische Parolen von Flensburg bis Passau wabern, so
       muss jetzt auch der Ruf nach (mehr) politischer Bildung als „Gegengift“
       lauter schallen denn je. Latent bedroht war die Demokratie durch Apathie,
       Extremismus und Populismus schon immer. Nun aber wird die Bedrohung mit der
       parlamentarischen Aufwertung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
       virulent.
       
       ## Perspektiven von Geflüchteten
       
       Vergessen wir nicht, dass geistige Monokulturen dann besonders prächtig
       gedeihen, wenn sich die Feinde der offenen Gesellschaft formieren und die
       Unentschiedenen mit postfaktischen Verklärungen für sich zu gewinnen
       versuchen. Es wird Zeit, dass wir der Flut unvollständiger und falscher
       Informationen sachlich begründete Fakten entgegenstellen. Und wir müssen
       endlich ehrliche Fragen stellen: Würden wir selbst nicht auch vor den
       Truppen des syrischen Machthabers Assad flüchten, wenn wir in Aleppo,
       al-Bab oder al Aqra lebten?
       
       Wenn wir die Perspektive der Geflüchteten besser verstehen wollen, müssen
       wir mehr über deren Schicksale und Fluchtgründe erfahren. Auch dafür
       brauchen wir (mehr) Bildung, die auch ein Mehr-Wissen um das, was
       Gesellschaften ausmacht und was politisches Handeln bewirken kann,
       einschließt.
       
       Doch darf nach politischer Bildung in der Schule nicht nur in akuten
       „Krankheitsphasen“ verlangt werden, ist sie doch konstant zur Stärkung der
       Demokratie verpflichtet. Die Förderung politischer Bildung vollzieht sich
       eben auch und gerade auf der schulorganisatorischen Ebene, das heißt in
       Form von ausreichend vielen Schulstunden, einschlägig ausgebildeten
       Lehrkräften und ansprechenden (obligatorischen) Lehrerfort- und
       -weiterbildungen.
       
       Die Realität der Stundentafeln zeichnet indes ein düsteres Bild. So werden
       in Sachsen – also just in dem Bundesland, in dem die AfD stärkste Partei
       wurde – dem Fach Gemeinschaftskunde in der neunten und zehnten Klasse nur
       zwei Wochenstunden zuteil. Im Zwei-Städte-Staat Bremen ist zwar von der
       fünften bis zur neunten Jahrgangsstufe der sogenannte Lernbereich
       Geografie, Geschichte und Politik abgedeckt – dies jedoch mit nur knapp
       zweieinhalb Wochenstunden. Selbst der „Bildungsvorreiter“ Bayern schneidet
       im Ländervergleich dürftig ab: So wird an bayerischen Gymnasien im Laufe
       von acht Schuljahren nur drei Jahre lang das Fach Sozialkunde unterrichtet
       – mit einem Stundenkontingent von einer Wochenstunde in den Jahrgangsstufen
       zehn bis zwölf.
       
       ## Historische Verpflichtung
       
       Soll Schule ihren Bildungsauftrag einlösen und wollen wir weder
       Politikverdrossenheit noch Geschichtsvergessenheit zum Schulprogramm
       erheben, dann muss politische Bildung von der ersten bis zur letzten
       Jahrgangsstufe ausgebaut werden. Historisch verpflichtet sind wir dazu
       schon durch das Reeducation-Programm, das uns die Alliierten nach 1945 im
       erstaunlicherweise unerschütterten Glauben an die stabilisierende Kraft der
       Demokratiepädagogik auferlegten.
       
       Wir sollten uns darüber hinaus dringend die Worte Hannah Arendts ins
       Gedächtnis rufen: Politische Bildung befähigt zum Leben in Freiheit. Denn
       allein politische Bildung ermöglicht es, sich von Vorurteilen und
       Verblendungen zu befreien, Reflexions-, Kritik- und Urteilsfähigkeit
       auszubilden und damit Distanz zum scheinbar allmächtigen Zeitgeist zu
       gewinnen.
       
       Da demokratisches Bewusstsein keine anthropologische Konstante darstellt,
       sondern Tag für Tag erlernt werden muss, führt an der Aufwertung
       politischer Bildung an Schulen, Hochschulen und Einrichtungen der
       Erwachsenenbildung kein Weg vorbei. Es darf nicht länger nur dann nach ihr
       gerufen werden, wenn sie gerade mal wieder als „Feuerwehr“
       gesellschaftliche Brandherde wie Politikverdrossenheit,
       Fremdenfeindlichkeit oder Jugendgewalt bekämpfen soll.
       
       Die Forderung, politische Bildung auszubauen, ist weder revolutionär noch
       illusionär. Ein parteienübergreifender Konsens sollte daher leicht
       herstellbar sein – zumal der Ausbau politischer Bildung auch noch
       vergleichsweise preiswert ist. In Schulen ist er durch eine bloße
       Neuordnung des Fächerkanons sogar beinahe zum Nulltarif zu haben. Auch in
       außerschulischen Bildungseinrichtungen sind die Kosten überschaubar – wenn
       wir uns einig sind, dass sozialer Frieden ein kostbares Gut ist.
       
       Wenn wir dem Populismus entgegentreten wollen, ist es Zeit, dass wir uns
       auf den Weg machen. Andernfalls läuft uns die Demokratie davon.
       
       3 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Engartner
 (DIR) Lisa-Marie Schröder
       
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