# taz.de -- Der Stein, der nicht flog
> Künstler, Wohnungssuchende: Alle sind von Verdrängung betroffen. Im Spor
> Klübü initiierte Matthias Mayer dazu eine Ausstellungsserie, die mit Ingo
> Gerken sehr spröde endet
(IMG) Bild: Mit freundlichen Grüßen aus New York, Blick in „The Real Estate Show Extendet/Berlin“ im Mai, im Vordergrund eine Arbeit von Adrian Schiesser Foto: Matthias Mayer
Von Julia Gwendolyn Schneider
Es gibt ein Loch in der Scheibe, Scherben auf dem Boden und den
vermeintlichen Übeltäter zu sehen: einen Backstein. Er ist neben den
Glasscherben auf dem weißen Teppichboden gelandet und zieht im leeren
Ausstellungsraum den Blick auf sich. Dass es sich bei diesem Szenario im
Projektraum Spor Klübü im Wedding um eine bewusste Inszenierung handelt –
das Fenster wurde im Atelier per Hammer und nicht vor Ort durch einen
Steinwurf zerstört –, mag im Vorbeigehen erst mal unklar bleiben.
Matthias Mayer zeigt Ingo Gerkens Installation als letzte Ausstellung
innerhalb von „Changes on the fly“, einer Reihe, die sich dem
„künstlerischen Umgang mit räumlichen Veränderungsprozessen in Berlin“
widmet. Gerkens Eingriff zieht die Blicke auf sich, aber Mayer möchte gar
nicht so viel Aufmerksamkeit erwecken. Für die Kunst schon, aber Gerkens
eingeworfene Fensterscheibe könnte von Passanten auch einfach nur als
Angriff auf einen Raum verstanden werden. Daher haben Mayer und Gerken
einen Kompromiss geschlossen. Zur Eröffnung war es zugig, seitdem verdeckt
eine Sperrholzplatte das klaffende Loch in der Scheibe.
## Protestaustausch
„Changes on the fly“ startete Ende Mai mit einem Blick auf New York City,
Anfang der 1980er Jahre. Im damaligen Spekulanten-Eldorado Lower East Side
eröffnete das Künstlerkollektiv Colab am 1. Januar 1980 in einem
leerstehenden Ladenlokal „The Real Estate Show“ mit Werken zum Thema
Immobilienspekulation. Nachdem Colab erfolglos versucht hatten, legal an
den Raum zu gelangen, nahmen sie kurzerhand eine Besetzung vor. Nur einen
Tag nach der Eröffnung wurde die Show von der Polizei geschlossen.
Zufälligerweise war Joseph Beuys in der Stadt, bei dem ein Colab-Künstler
studiert hatte, und beteiligte sich am Protest gegen die Schließung. Das
mediale Aufsehen reichte bis in die New York Times.
Kurze Zeit später bekam die Gruppe tatsächlich einen Raum zugesprochen. Es
entstand das ABC No Rio, ein Ort für soziale Vernetzung und künstlerische
Kreativität, der bis heute existiert. Becky Howland von Colab hatte bereits
2014 in New York eine Dokumentation der Original-Show präsentiert, die sie
mit Mayers Hilfe nun nach Berlin brachte.
Dem Auftakt folgte eine auf Berlin bezogene Gruppenausstellung mit über 60
Künstlern sowie vier Einzelausstellungen. Die Serie stand in einem engen
Bezug zur Berliner Stadtentwicklung, von der gemeinhin bekannt ist, dass
die Freiräume knapp werden, die Mieten steigen, Investoren einfallen und
maximal profitieren.
Wenn Mayer von der „Real Estate Show Extended/Berlin“ spricht, ist es ihm
wichtig herauszustellen, dass sich unter den Werken zum Beispiel auch ein
Projekt zur angespannten Lage des Berliner Wohnungsmarkts befand. Pia
Lanzingers 2014 begonnenes Gentrifizierungsspiel „Würfeln um Berlin“ ist
ein überdimensionales Brettspiel für öffentliche Plätze. Das Spiel, das
schon in Moabit, Neukölln, Hellersdorf und Kreuzberg mit Kreidefeldern auf
den Boden gemalt wurde, widmet sich der Gentrifizierungsthematik mit
politischer Weitsicht und bindet die lokale Bevölkerung mit ein.
Bezeichnenderweise ist auch Gerkens minimale Inszenierung vor dem
Hintergrund einer konkreten räumlichen Veränderung entstanden, die
unmittelbarer gar nicht sein könnte. Der Backstein im Ausstellungsraum
bildet eine Brücke zu einem Trümmer- und Erdfeld, das nur ein Haus weiter
liegt. Der Stein stammt aus einem ehemaligen gewerblich-industriell
genutzten Gebäudekomplex, dessen Abriss sich zufällig während der Zeit der
Ausstellungsserie ereignete. Bisher ist unklar, was auf dem leergeräumten
Grundstück entstehen wird.
Gerken zeigt ein metaphorisches Bild für eine Gemengelage, die beim Anblick
der frisch erzeugten Baulücke die Spekulationen ins Rollen bringt. Mit dem
weißen Teppich spielt der Künstler auf mögliche Aufwertungsprozesse an, die
auch Projekträume anstoßen können, meistens aber erst durch private
Spekulanten zu einer ausufernden Verdrängungswelle werden, der oftmals auch
die freie Kunstszene weichen muss. Geschickt lässt Gerken die Alarmglocken
läuten und stellt visuell den Gentrifizierungsprozess zwischen Aufwerten
und Zerstören gleichermaßen dar. Der Raum ist nicht nur schick, per
Steinwurf wird die Gegenreaktion gleich mitgeliefert.
In die aggressive Stimmungslage schleicht sich aber noch eine ganz andere
Ästhetik ein: Die glänzenden Scherben und der moosbedeckte Stein lassen an
die meditative Ruhe eines japanischen Zen-Gartens denken.
Ingo Gerken, „Stein der Weisen“. Spor Klübü, Freienwalder Straße 31, bis 9.
12. (Mi.–Sa., 15–18 Uhr)
27 Nov 2017
## AUTOREN
(DIR) Julia Gwendolyn Schneider
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