# taz.de -- Jamaika-Sondierungen finden kein Ende: Angst vor der Basis
       
       > Die Jamaika-Sondierer tun sich schwer mit Kompromissen – vor allem die
       > Kleinparteien. Bei den Grünen ging es bis an die Schmerzgrenze.
       
 (IMG) Bild: Es geht um sein politisches Überleben: Horst Seehofer wird das Ergebnis auf jeden Fall als Sieg verkaufen
       
       Berlin/München taz | Ein sehenswerter Klassiker dieser Jamaika-Sondierungen
       sind die Videos, die die grünen Spitzenleute nach stundenlangen
       Nachtsitzungen ins Netz stellen. Katrin Göring-Eckardt redet dann zum
       Beispiel am frühen Morgen um 4.34 Uhr mit müden Augen in eine Kamera: „Das
       ist noch nicht fertig. Ich weiß immer noch nicht, ob es fertig wird.“ Am
       Freitagmorgen war das, und auch am Sonntagabend war man nicht schlauer.
       
       Die Verhandler um Angela Merkel saßen tagsüber wieder zusammen, dieses Mal
       in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin. Bis Redaktionsschluss
       zeichnete sich keine Einigung über ein gemeinsames Sondierungspapier ab.
       Stattdessen Wasserstände: leichte Annäherung bei Klimaschutz und Finanzen,
       tiefe Gräben in der Flüchtlingspolitik. Am Nachmittag saßen die Parteichefs
       in kleiner Runde zusammen, um zu überlegen, ob man weiterreden solle,
       erfuhr ein ZDF-Journalist. Hochrangige Parteivertreter sagten ihm: „Spitz
       auf Knopf ist keine Übertreibung.“
       
       Doch die Social-Media-Offensive der Grünen belegt, worum es bei dem zähen
       Ringen, das nun vier Wochen andauert, auch geht: Alle Parteien müssen in
       dieser ungewöhnlichen Konstellation ihrer Basis vor Augen führen, wie
       engagiert sie für ihre Anliegen kämpfen. Ein Showkampf findet nicht statt,
       dafür sind die Differenzen zu ernst. Aber ein bisschen Show für die Galerie
       ist immer dabei.
       
       Noch nie mussten in einer Koalition so viele kleine Partner mit so
       unterschiedlichen Klientelanliegen zusammenarbeiten, noch nie war der
       Erfolgsdruck für alle so groß: Die FDP braucht die Soliabschaffung,
       CSU-Chef Horst Seehofer eine Begrenzung in der Flüchtlingspolitik, die
       Grünen Erfolge beim Klimaschutz.
       
       Das führt zu einer seltsamen Offenheit. Diese Sondierungen sind bisher wohl
       die transparentesten der bundesdeutschen Geschichte. Verhandler aller
       Parteien fotografierten nach ersten Runden Papiere ab, auf die sie sich
       geeinigt hatten – und posteten sie stolz auf dem Kurznachrichtendienst
       Twitter. So konnte die interessierte Öffentlichkeit fast in Echtzeit
       verfolgen, wo Einigkeit herrschte und wo sich Gräben auftaten. In der
       großen Verhandlungsrunde sitzen über 50 PolitikerInnen, auch das sorgt für
       Informationsfluss. Irgendeiner findet sich immer, der über Interna
       plaudert.
       
       ## Über die Schmerzgrenze hinaus
       
       Auch das öffentliche Zur-Schau-Stellen der eigenen Leiden gehört zum
       Ritual: Die Grünen hätten sich in den Verhandlungen über die Schmerzgrenze
       hinaus bewegt, betonte der grüne Verhandlungsführer Cem Özdemir am Sonntag.
       Jetzt stelle sich die Frage, ob diese Verantwortung für das Land für alle
       gelte – „denn nur dann wird’s funktionieren“. In der Tat boten die Grünen
       am Samstagabend einen weitreichenden Kompromiss in der Flüchtlingspolitik
       an. Sie erklärten sich bereit, einen Rahmen von 200.000 Flüchtlingen pro
       Jahr zu akzeptieren, kamen also der CSU entgegen. Im Gegenzug forderten
       sie, dass das Grundrecht auf Asyl unangetastet bleibe – und der
       Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ab März 2018 wieder möglich
       sei.
       
       Gerade für linke Basisgrüne sind solche Offerten eine Provokation. Die
       demokratieverliebte Ökopartei setzt deshalb auf Transparenz. Die Chefs
       wollen, dass ihre Motive verstanden werden, auch damit alle mitziehen. Der
       Parteitag am Samstag gilt als entscheidende Hürde für ein
       Regierungsbündnis. Dann sollen die Delegierten abstimmen, ob offiziell
       Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.
       
       Deshalb die Videos der Spitzenleute Göring-Eckardt und Özdemir, deshalb die
       Homepage, die detailliert über Fortschritte und die Zusammensetzung des
       vierzehnköpfigen Sondierungsteams informiert. Deshalb die Ansagen von
       Bundesgeschäftsführer Michael Kellner: „Nichts ist geeint, bevor nicht
       alles geeint ist.“ Solche Sätze sollen nervöse Basisgrüne beruhigen, die
       aus den Medien nur schlaglichtartige Eindrücke aus den Verhandlungen
       erhalten.
       
       Doch nicht nur die Grünen tun sich schwer. Für CSU-Chef Horst Seehofer geht
       es in Berlin um mehr als das Erreichen einer regierungsfähigen Koalition.
       Es geht um sein eigenes politisches Überleben. Gelingt es ihm nicht, mit
       einem Verhandlungsergebnis nach Hause zu kommen, das sich als Erfolg der
       CSU verkaufen lässt, wird es eng für ihn. Die bayerische Junge Union
       forderte schon klar einen personellen Neuanfang. Nicht wenige
       Seehofer-Gegner in der CSU-Landtagsfraktion hofften deshalb in den
       vergangenen Wochen insgeheim auf ein Scheitern.
       
       ## Ein guter Verkäufer
       
       Dabei könnten sie jedoch unterschätzt haben, dass Seehofer nicht nur ein
       Spieler mit unbändigem Machtwillen, sondern auch ein sehr guter Verkäufer
       ist. Überspitzt gesagt: Egal, wie das Ergebnis aussieht, Seehofer wird es
       in jedem Fall als einen CSU-Erfolg verkaufen. Selbst das Scheitern von
       Jamaika könnte ein Seehofer den Sondierungspartnern in die Schuhe schieben
       und als Rettung bayerischer Interessen darstellen.
       
       Zum anderen ist es ja so: Seehofer hat einiges an Verhandlungsgeschick
       bewiesen. Während er seinen ausgebildeten Wadenbeißern Dobrindt und Scheuer
       immer wieder lange Leine ließ, gab er sich selbst als den
       kompromissbereiten, ausschließlich an höheren Interessen orientierten
       Verhandlungsführer. Auf der Berliner Bühne – das wissen selbst seine Gegner
       – kann in der CSU derzeit niemand mit dem alten Schlachtross Seehofer
       mithalten.
       
       In der CSU-Spitze gibt es noch immer viele, die loyal zu ihrem Chef stehen
       – und das Feld keinesfalls kampflos dem Rivalen Söder überlassen wollen.
       Und Söder dürfte noch gut erinnerlich sein, wie es nach dem Putsch gegen
       Edmund Stoiber weiterging: Ein Jahr regierten die Nachfolger Günther
       Beckstein und Erwin Huber – bis sie bei der Landtagswahl ein katastrophales
       Ergebnis einfuhren. Dann kam Seehofer.
       
       19 Nov 2017
       
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 (DIR) Ulrich Schulte
 (DIR) Dominik Baur
       
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