# taz.de -- Die Wahrheit: Kerfen in höchster Not
       
       > Mit einem Winterhilfswerk will die Bundesregierung dem Insektensterben
       > entgegenwirken. Denn der Kerfenschwund reißt ein Loch in die Kassen.
       
 (IMG) Bild: Muss dringend gerettet werden: die gemeine Ritterwanze
       
       Das Summen ist verstummt. Wo sich einst Kleiner Fuchs und Haselnuss gute
       Nacht sagten, wo Fliegen flogen und Schwärmer schwirrten, ist die Luft nun
       still und klar. Doch nicht allein der nahe Winter ist hierzulande Ursache
       geringer Kerbtierdichte. Um mehr als 75 Prozent ist die Biomasse der
       Fluginsekten in den letzten 27 Jahren zurückgegangen. Bei den übrigen
       Kerfen sieht es wohl nicht anders aus. Diese Entwicklung betrifft jeden
       Einzelnen von uns!
       
       Denn ein solcher Einschnitt in der artenreichsten Tierklasse setzt eine
       Kettenreaktion im Ökosystem in Gang – deren Leidtragender am Ende der
       Mensch ist. Weniger Insekten, das heißt: weniger Vögel, die sich von den
       Insekten ernähren. Somit weniger Gratisfutter für unsere Miezekatzen, das
       vom Menschen mit teurem Whiskas ersetzt werden muss.
       
       Weniger Kaufkraft der Katzenhalter in anderen Bereichen bedeutet aber auch:
       höhere Verbraucherpreise insgesamt. Den Insektenschwund spüren wir alle
       direkt im Portemonnaie.
       
       Im Bundesumweltministerium ist man darob bereits alarmiert und blättert
       hektisch in dicken Leitz-Ordnern voller schwerverständlicher Zahlen. Über
       die Ursachen des sinkenden Bestandes an Getier besteht noch Unklarheit;
       klar ist jedoch: Es muss gehandelt werden. Sofort. Aus diesem Grund hat man
       das Insektenwinterhilfswerk ins Leben gerufen.
       
       ## Deutsches Volk gefragt
       
       Nach dem Vorbild des „Winterhilfswerks des Deutschen Volkes“ einer
       Vorgängerregierung soll mit einem Bündel von Maßnahmen die
       Insektenpopulation möglichst zahlreich über den Winter gebracht werden, auf
       dass sich die Biester im Frühjahr wieder üppig vermehren und uns am
       Einschlafen hindern können.
       
       Eine zentrale Rolle kommt dabei der Bevölkerung zu. Auf freiwilliger Basis
       soll jeder notleidende Hexapoden vor dem Tod bewahren. Nochumweltministerin
       Barbara Hendricks ist optimistisch, dass auch schwache Schultern die ganz,
       ganz schwachen von Blattlaus, Zitronenfalter & Co wenigstens ein bisschen
       stützen können: „Jeder kann helfen. Ob nun ein richtiger Wintergarten für
       Schmetterlinge bereitsteht, eine Nagekäferfamilie im Dachstuhl einquartiert
       wird oder bloß ein paar warme Wolldecken für die Motten bereitgehalten
       werden.“ Im Ministerium selbst geht man mit gutem Beispiel voran: „Wir
       haben diverse Terrarien aufgestellt und eigens Insektenpornos gedreht, die
       den Wintergästen nun zwecks Anregung des Fortpflanzungstriebes in
       Dauerschleife gezeigt werden.“
       
       Erste Tierfreunde haben sich bereits im Ministerium gemeldet und warten auf
       Vermittlung für sie passender Spezies. Werno Heiking, ein gutsituierter
       Mittvierziger mit Katze auf der Schulter, steht seit Stunden vor der
       „Landesagentur für rasche Vermittlung von Entomonen“ (LARVE). Heute ist der
       große Tag, an dem ihm ein Paket Wildbienen ausgehändigt werden soll. Zu
       Hause ist bereits alles vorbereitet: „Ich war gestern beim Floristen und
       habe mir einige Sträuße mit bunten Blumen zusammenstellen lassen. Außerdem
       bin ich noch mal durch den Garten und habe alle Vögel totgeschlagen.
       Katzenfutter hin oder her! So können die Summseln an schönen Tagen auch mal
       nach draußen.“
       
       Zusammen mit seinem Verein „ProBrumm“ will er zudem leerstehende Häuser in
       Insektenhotels verwandeln. „Ich denke da insbesondere an die Steinlaus“,
       erklärt der Experte in Sachen Krabbelviecher, bevor er im kokonförmigen
       Gebäude der LARVE verschwindet.
       
       So viel Begeisterung und Einsatzwille sind selten. In Teilen der
       Bevölkerung stößt die Aktion sogar auf Unverständnis und Ablehnung. „Als
       Allergikerin kann ich nur sagen: Ich bin heilfroh, wenn endlich die
       Pflanzen aussterben. Und dafür ist der Tod aller Insekten ja wohl
       Voraussetzung!“, plärrt Alina Haag und schnäuzt sich ausgiebig, bevor sie
       im ganzen Gesicht grün anläuft und ohnmächtig umkippt.
       
       ## Tombola für Brummer
       
       Um auch solche hartnäckigen Fälle für die Sache der Natur zu gewinnen,
       veranstaltet das Winterhilfswerk eine Tombola zu fünf Euro das Los.
       Hauptgewinn ist ein nagelneuer VW mit softwareoptimiertem Dieselantrieb,
       dessen intelligente Windschutzscheibe heranfliegende Insekten vor dem
       Aufpatschen automatisch erfasst und an die Statistikabteilung der LARVE
       meldet. „Auf diese Weise ergibt sich eine genauere Schätzung der noch
       vermittelbaren Tiere und wir können die Fallen präziser aufstellen.
       Umweltschutz beginnt bei uns hinter dem Steuer“, freut sich Ministerin
       Hendricks. Bis 2021 sollen die Modelle aller Hersteller entsprechend
       ausgerüstet sein.
       
       Noch ist jedoch viel zu tun, bis das Hilfsprogramm auf vollen Touren läuft.
       Das muss auch Werno Heiking einsehen, der statt der erwarteten Wildbienen
       einen Sack Grillen in die Hand gedrückt bekommen hat. „Juckt mich nicht“,
       zirpt er. „Am wichtigsten ist es doch, dass ich irgendwem helfen kann.“ Die
       Katze auf Heikings Schulter nickt bestätigend und schleckt sich genüsslich
       den Bart.
       
       7 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valentin Witt
       
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